Werbung
Werbung
Werbung

Jubiläen folgen Bücherberge auf den Fuß.Auch Schillers 200. Todestag hat seine Spuren auf vielen Seiten hinterlassen. nikolaus halmer hat sie kritisch durchlesen.

Der 200. Todestag von Friedrich Schiller prägt die mediale Jubiläumsszene dieses Jahres. Im großen Schillerbasar findet sich ein reichhaltiges Angebot: Neue Biografien wurden verfasst, das Liebesleben akkurat dokumentiert und Psychokitsch produziert. Der Schweizer Historiker Jacob Burckhardt sprach bereits anlässlich der Feiern zum 100. Geburtstag Schillers 1859 von einem "Philistertum", das er grässlich fand.

Nur das Werk bleibt?

Ein Beispiel für solch ein Philistertum ist Sigrid Damms Buch "Das Leben des Friedrich Schiller". Die promovierte Germanistin versteht ihr Werk als Wanderung durch Schillers Leben. Sie interessiert sich vor allem für den Menschen Schiller, der von Krankheit, finanzieller Abhängigkeit und ständigem Produktionsdruck bedrängt wurde. Dabei beschreibt die Autorin auch ihre eigene Beziehung zu Schiller. Eigentlich kann sie ihn gar nicht so gut leiden, hegt Vorurteile gegen ihn. Bereits der raunende Tonfall des ersten Satzes vermittelt den "Zauber des Authentischen": "Ich gehe mit dem Gedanken um, über Friedrich Schiller zu schreiben", verkündet sie verheißungsvoll und präsentiert eine Vielzahl von kleinen Erzählungen, die vor allem den Alltag Schillers beleuchten. Damm stützt sich dabei vor allem auf die Briefe Schillers; gehaltvolle Interpretationen oder Analysen der Dramen sucht man vergebens; die ästhetischen Schriften werden kaum kommentiert. Die Leser erhalten den Rat, "das Buch aus der Hand zu legen und nach Schillers Texten zu greifen". Damms Schreibstil spiegelt die Anstrengungen einer Wanderung wider. Ein unaufhörliches Stakkato wirkt auf die Dauer ermüdend: "Geldnot. Schulden. Hilft Charlotte von Kalb ihm? Es gibt darüber keine Belege." Nach 472 Seiten verlässt die Autorin Friedrich Schiller. Ihr Fazit? "Es bleibt nichts als das Werk." Das kann ja nun gelesen werden.

Schwungvolle Gestalt

Das Spektakel des Jubiläumsjahres wartet jedoch auch mit positiven Überraschungen auf: So beschreibt Rüdiger Safranski in seinem glänzend geschriebenen Buch "Schiller oder die Erfindung des deutschen Idealismus" den Klassiker als universellen, kritischen Intellektuellen. Besonders wichtig ist für Safranski Schillers emphatischer Einsatz für die Freiheit. Sein Ziel sei der "Bau einer wahren politischen Freiheit als das vollkommenste aller Kunstwerke". Laut Safranski sah Schiller das menschliche Leben als ein Experiment an, das auch scheitern könne. Wichtig sei die authentische Persönlichkeit, die "mit der Kraft der Begeisterung länger lebt als es der Körper erlaubt".

Diese enthusiastische Haltung verkörpert für Safranski die Grundlage des deutschen Idealismus, mit dem man "auf Dinge, Menschen und auf sich selbst einwirken kann - nach Maßgabe von Ideen, Absichten, Konzepten". Der Enthusiasmus Schillers hat offensichtlich auch Safranski beflügelt, der den Klassiker als "eine der schwungvollsten Gestalten der deutschen Literatur" bezeichnet. Seine Biografie ist tatsächlich eine Wanderung. Im Gegensatz zu Sigrid Damm durchwandert er die Textlandschaften Schillers auf kongeniale Weise. Dabei stößt man auf luzide Interpretationen der großen Dramen, die mit Querverweisen zur Philosophie versehen sind. Penibel rekonstruiert er die Ergebnisse der Kantlektüre, wie sie in dem Aufsatz "Über Anmut und Würde" oder in den Briefen "Über die ästhetische Erziehung des Menschen" präsentiert werden. Schiller beklagte darin, dass die moderne Zivilisation eine Bedrohung für das kreative Potenzial des Menschen darstelle. Verantwortlich dafür machte er die Arbeitsteilung, die das Individuum zum "Bruchstück", zum "Abdruck seines Geschäfts" degradiere. Seine illusionslose Analyse führte Schiller dazu, ein Mittel zu finden, um der drohenden Barbarisierung etwas entgegenzusetzen. Dieses Mittel fand er in der Kunst: "Es ist die sanfte Kraft der Kunst, die Empfindungen schult und verfeinert." Die Aufgabe der Kunst bestand für ihn darin, ein Modell vorzustellen, das die tief greifende Entfremdung kurzfristig aufhebt. Dies geschieht im Spiel, in dem die Zweckrationalität und Nützlichkeit ihren alles beherrschenden Status verlieren. Safranski sieht im Spiel das "Betriebsgeheimnis" von Schillers literarischer Werkstatt. "Wo Ernst war, soll Spiel werden". Es ist "eine Lockerungsübung für Herz, Sinn und Verstand."

Aus Ernst soll Spiel werden

Safranski erhebt Schiller in den Rang eines seriösen Philosophen, der den "grobstofflichen Realien" misstraut und vielmehr die Einbildungskraft nobilitiert: "Werft die Angst des Irdischen von euch / Fliehet aus dem engen, dumpfen Leben / In des Ideales Reich."

Dem Enthusiasmus Safranskis setzt Norbert Oellers in seiner Werkmonografie "Schiller. Elend der Geschichte, Glanz der Kunst" eine ebenfalls brillante, allerdings eher nüchterne Einschätzung des Klassikers entgegen. Vor allem die von Safranski vorgenommene Stilisierung zum Kulturphilosophen teilt Oellers nicht: Er findet Schillers philosophischen Schriften "nicht sonderlich originell". In der Schrift "Über naive und sentimentalische Dichtung" tauchen Reflexionen auf, "die im Ansatz stecken geblieben sind" und dem Leser Probleme bereiten, "weil sie in systematischer und terminologischer Hinsicht nicht immer stringent sind". Im Gegensatz zu Safranski beschränkt sich Oellers auf eine konzise Darstellung der dichterischen und theoretischen Werke Schillers und verzichtet auf interpretatorische Höhenflüge.

Ausgehend von einer kurz gefassten Rezeptionsgeschichte gibt Oellers einen Überblick über das Werk Schillers, das nach Gattungen geordnet ist. Bei den Dramen bemerkt er "einen Hang zum Theatralischen, zum pompös Opernhaften"; die Gedichte zeichnen sich "durch den üppigen Gebrauch moralisierender Tendenzen" aus und die Prosa ist für ein Lesepublikum bestimmt, "das weniger poetisch bewegt als (spannend) unterhalten werden wollte." Im gesamten Werk ortet Oellers - ähnlich wie Safranski - einen Dualismus: hier "Elend der Geschichte", mit dem der Mensch ständig konfrontiert wird, da der Glanz der Kunst, der die Geworfenheit in die geschichtliche Faktizität wenigstens kurzfristig kompensiert.

Empfehlenswert sind auch die Bücher von Peter-André Alt und Kurt Wölfel über Schiller. Beide Autoren sind ausgewiesene Kenner, die aus einem reichen Fundus an Informationen schöpfen können. Die kompetenten, kurz gefassten Einführungen verstehen sich als Wegweiser, die erste Orientierungen in der Textlandschaft von Schillers Werken anbieten. Sie sind wiederum nach Gattungsarten gegliedert; auch die theoretischen Schriften werden konzis und verständlich referiert. Wölfels Biografie zeichnet sich durch zahlreiche farbige Abbildungen aus; markante Zitate werden extra hervorgehoben. Das Buch von Alt ist eine Kurzfassung seines opus magnum "Schiller. Leben - Werk - Zeit. Eine Biografie". Dieses zweibändige, 1377 Seiten umfassende Werk stellt eine wissenschaftlich fundierte Biografie dar, die auch das politische und intellektuelle Umfeld Schillers ausführlich und anschaulich beschreibt.

Wandel eines Dichterbildes

Einen anderen Zugang zu Schiller wählt die Germanistin Monika Carbe in ihrem Buch "Schiller. Vom Wandel eines Dichterbildes". Carbe beschreibt darin die einzelnen Stationen der Schiller-Rezeption: Von der Verehrung nach seinem Tod über die Zeit der Gründerjahre bis zu den Forschungen der Gegenwart. Erwähnt wird auch die Bedeutung Schillers während des Ersten Weltkrieges. Spannend zu lesen ist auch das Kapitel über den Nationalsozialismus, der den Klassiker ideologisch "einfärben" wollte. In diesem Buch erhalten die Leser zahlreiche Informationen über die kulturgeschichtliche Bedeutung Schillers, der versuchte, die versteinerten Strukturen der Macht zum Tanzen zu bringen.

Das Leben des Friedrich Schiller

Eine Wanderung

Von Sigrid Damm

Insel Verlag, Frankfurt am Main 2004

489 Seiten, geb., e 25,60

Schiller oder die Erfindung des Deutschen Idealismus

Von Rüdiger Safranski

Hanser Verlag, München 2004

559 Seiten, geb., e 26,70

Schiller

Elend der Geschichte, Glanz der Kunst

Von Norbert Oellers. Reclam, Stuttgart 2005. 519 Seiten m. Abb., geb., e 20,50

Schiller

Leben-Werk-Zeit. Eine Biographie

Von Peter André Alt

C. H. Beck Verlag, München 2004

2 Bde., 737, 686 Seiten, geb., e 35,90

Friedrich Schiller

Von Peter-André Alt (Kurzfassung)

C.H.Beck Verlag, München 2004

128 Seiten, kart., e 8,20

Friedrich Schiller

Von Kurt Wölfel. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2004

187 Seiten, kart. mit zahlr. Abb., e 10,30

Schiller

Vom Wandel eines Dichterbildes

Von Monika Carbe. Wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt 2005

208 Seiten, geb., e 25,60

Weitere Bücher

Zahlreiche Abbildungen von Porträts, Landschaften und Schriften ergänzen die folgende Biografie, der auch die Abbildungen dieses Dossiers auf Seite 22 und 23 entnommen sind:

Friedrich Schiller

Ich kann nicht Fürstendiener sein

Eine Biographie von Marie Haller-Nevermann. Aufbau-Verlag, Berlin 2004

Mit e. Nachw. v. Walter Müller-Seidel

303 Seiten, geb., mit zahlr. Abb., e 25,60

Versuch über Schiller

Von Thomas Mann

87 Seiten, geb., m. Audio-CD, e 17,40

S. Fischer Verlag, Frankfurt 2005

Schiller und seine Verleger

Von Stephan Füssel

Insel Verlag, Frankfurt 2005

354 Seiten, geb., e 27,70

Schiller

Rebell aus Arkadien

Von Birgit Lahann

Deutsche Verlags-Anstalt, München 2005

237 Seiten, geb., m. zahlr. Abb., e 25,60

Schillers Pitaval

Merkwürdige Rechtsfälle als ein Beitrag zur Geschichte der Menschheit. Hg. u. komm. v. Oliver Tekolf. Verlag Eichborn, Frankfurt 2005. 47 Seiten, geb., e 32,90

Schiller-Werkausgaben sind u.a. im Deutschen Taschenbuch Verlag erhältlich: Sämtliche Werke in fünf Bänden, 5808 Seiten, kart., e 49,90; diverse Anthologien gibt es als Insel-Taschenbücher und auch auf CD-Rom kann man Schillers Werke, basierend auf der 1962 erschienenen Buchausgabe der "Sämtlichen Werke", lesen: www.digitale-bibliothek.de

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung