Forscher an den Schaltstellen des Gehirns

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Das menschliche Gehirn zu studieren, heißt von einem Rätsel wachgehalten zu werden, könnte man in Anlehnung an Emmanuel Lévinas behaupten. Die Gehirnforschung hat heute jedenfalls oberste Priorität, wie das "Human Brain Project“ verdeutlicht, das alle beteiligten Disziplinen auf europäischer Ebene zusammenführen soll. Am Montag, als das 1,19 Milliarden Euro schwere EU-Flaggschiffprojekt startete, wurden in Stockholm die diesjährigen Medizin-Nobelpreisträger bekannt gegeben. Einer davon ist der deutsche Hirnforscher Thomas Südhof, seit 2008 Professor an der Stanford Universität in Kalifornien, USA. Der gebürtige Göttinger, der als akribischer Wissenschafter mit Vorliebe für Sportpullover beschrieben wird, konnte wesentlich zum Verständnis der Schaltstellen im Gehirn beitragen. Wie die US-Amerikaner James Rothman (Yale-Universität) und Randy Schekman (Universität von Kalifornien) wurde Südhof für bahnbrechende Entdeckungen im Bereich der zellulären Transportsysteme ausgezeichnet.

"Jede Zelle ist eine Fabrik, die Moleküle produziert und transportiert. (…) Die drei Nobelpreisträger haben die Prinzipien entdeckt, die festlegen, wie diese ‚Ladung‘ zur richtigen Zeit an den richtigen Ort geleitet wird“, schrieb das Nobelpreiskomitee. Diese Transportsysteme sind elementar für viele Stoffwechselvorgänge, auch für den Schwerpunkt von Südhofs Arbeit: die Kommunikation zwischen den Nervenzellen, die Voraussetzung für unser Denken, Fühlen und Handeln. Der 57-jährige Forscher, der in Fachkreisen schon länger als Anwärter auf den weltweit wichtigsten Wissenschaftspreis galt, entdeckte biologische Mechanismen, die ein präzises "Timing“ bei der Freigabe von Botenstoffen ermöglichen. Die in den Nervenzellen produzierten Moleküle werden in kleine Bläschen verpackt, die an die Zellmembran andocken, um den Inhalt gleichsam auf Kommando in die Schaltstellen der Synapsen freizugeben. Wie Südhof nachwies, spielt der Einstrom von Kalzium-Ionen in die Zelle eine zentrale Rolle bei der Steuerung der Abläufe.

In seinem Labor an der Stanford Universität erforscht Südhof die molekularen Grundlagen von Erkrankungen des Gehirns wie Alzheimer, Parkinson oder Autismus. Grundlagenforschung zum Gehirn könnte aber auch technisch fruchtbar werden. Im "Human Brain Project“ soll nun auch aus Sicht der Informatik geklärt werden, wie neuronale Schaltkreise funktionieren und ob sich ihre Funktionsweise auf Computerbausteine im Nanobereich übertragen lässt.

Martin Tauss

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