Forschung mit Kerzen- und Fiaker-Rechnungen

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Beethoven in Böhmen: Ein tschechisches Werk mit neuen Erkenntnissen fand spät, aber doch den Weg zu uns.

Goethes Aufenthalte in den westböhmischen Bädern sind hinreichend dokumentiert. Wir wissen fast alles über Mozarts Reisen nach Prag. Wie lückenhaft unsere Kenntnisse über Beethovens Ausflüge bisher waren, belegt ein voluminöses Buch aus Prag: "Beethoven im Herzen Europas" trägt zwar das Erscheinungsjahr 2000 auf dem Einband, kommt aber erst jetzt in den internationalen Buchhandel. Der Start wurde im Haus der Wiener Gesellschaft der Musikfreunde gefeiert.

Das Melodram "Ariadne auf Naxos" des böhmischen Komponisten Georg Anton Benda hat der junge Beethoven schon in Bonn kennengelernt. Die Dramaturgie des von Musik begleiteten gesprochenen Wortes griff er später etwa in seiner Musik zu Goethes "Egmont" auf. Beethoven war zeitlebens von Musikern aus Böhmen, dem "Konservatorium Europas", umgeben, die man im späten 18. Jahrhundert in fast allen besseren Adelskapellen traf. Natürlich auch in der Bonner Residenz, erst recht in Wien. Nicht zuletzt bei seinen Aufenthalten in Böhmen kam es zu Kontakten oder sogar Freundschaften.

Musikalisches Böhmen

Die Musikwissenschaft in Böhmen hat sich sehr früh mit Beethoven beschäftigt. So erschien 1828, im Jahr nach seinem Tod, die erste Biographie - und zwar in Prag. Johann Aloys Schlosser wollte mit dem Ertrag allerdings zur Finanzierung eines Denkmals für Joseph Haydn beitragen. In den letzten Jahrzehnten haben tschechische Gelehrte (oft in der ländlichen Abgeschiedenheit von Adelsschlössern und mit wenig Kontakt zur Außenwelt) erstaunliche Detailforschung geleistet, die unser Beethoven-Bild erweitert. Wir wissen, dass der böhmische Adel in der Musikalität nirgendwo in Europa erreicht wurde. Er sorgte auch mit großem Eifer für die musikalische Bildung des Volkes. Die Lehrerstellen in den Dörfern wurden nur mit musikalisch geschultem Personal besetzt. 1796 hieß es in einem Wiener Musikalmanach: "In Böhmen war es vormals Sitte und Schulmeisterpflicht, dass der Vorsteher der Schule alle Jahre eine neue Messe selbst verfasste..."

Die großen Mäzene Beethovens sind allgemein geläufig: Lobkowicz, Waldstein, Lichnowsky, Clary-Aldringen, Kinsky... Weniger denkt man daran, dass die hohen Herrschaften sich nur im Winter in ihren Wiener Palästen aufhielten, im Sommer aber in ihre Schlösser und Landsitze übersiedelten, die überwiegend in Böhmen und Mähren lagen, und dass viele auch ein Haus in Prag hatten. Wenn man also im festlichen Theatersaal des Wiener Palais Lobkowicz an die Uraufführung der "Eroica" denkt, so weiß man jetzt, dass es einige Voraufführungen 1803 in den Lobkowicz-Schlössern Raudnitz (Roudnice nad Labem) und Eisenberg (Jezeri) gab. Fürst Lobkowicz hatte für ein halbes Jahr das alleinige Aufführungsrecht erworben und machte davon mehrfach Gebrauch.

Beethoven nahm nach diesen Klangeindrücken noch Korrekturen vor, was sich auch belegen lässt. Ein kleines, aber qualifiziertes Publikum durfte das Werk kennenlernen und die Kunde davon weitertragen. Dazu gehörte etwa der preußische Prinz Louis Ferdinand, der selbst komponierte und leider allzu früh im Kampf gegen Napoleon fiel.

Beethoven hat sein Werk bekanntlich mehrfach gewidmet und umgewidmet. Man vermutet, dass die letzte Widmung dem preußischen Prinzen galt: "Sinfonia eroica composta per celebrare la morte d´un´Eroe".

Wenn es über solche ländliche Veranstaltungen keine Zeitungsberichte oder Tagebuchaufzeichnungen gibt, kann die Forschung auch auf Umwegen zum Ziel kommen. Vom Archiv der Güterverwaltung der Lobkowicz sind ungezählte Schachteln mit Rechnungen erhalten. Findet man keinen Beleg über die Honorierung eines Komponisten, dann vielleicht eine Rechnung über Kerzen für eine bestimmte Veranstaltung. Der Beweis dafür, dass Joseph Haydn seinem kurzzeitigen Schüler Beethoven auch privat begegnete, fand sich in der Rechnung eines Fiakers, der die beiden zu einem Schloss beförderte.

Schroffe Manieren

Beethoven hat seine ersten Konzerte in Prag in den Jahren 1795, 1796 und 1798 gegeben - was gar nicht leicht herauszufinden war. Sicher aber weiß man, dass er in der böhmischen Hauptstadt auf einen höchst lebendigen Mozart-Kult stieß. Seit der Uraufführung des "Don Giovanni" war ja erst ein Jahrzehnt vergangen. Das Publikum, die Kritik, die Musiker, nicht zuletzt die vielen komponierenden Kleinmeister waren auf Mozart eingeschworen. Mit Beethoven kam eine neue Epoche, gegen die man sich zunächst sträubte. Es ist fesselnd, nachzuerleben, wie Beethoven durch seine Adelsbeziehungen Zugang fand und bald auch Publikum gewann, wie er Mozart überwinden konnte, ohne ihn zu verdrängen, also die Musik bereicherte. Seine schroffen Manieren sind in längst bekannten Anekdoten überliefert. Es fällt aber auf, dass man sie heute mehr psychologisch deutet, nicht so sehr als Rebellion eines Revolutionärs gegen die finstere Reaktion, wie man das noch vor nicht allzu langer Zeit hören konnte.

Heute darf auch gesagt werden, dass ein Fürst mit Noblesse über Beethovens Entgleisungen hinwegging. Der böhmische Adel hatte das größte Verständnis für Beethovens Kunst, "auch für seinen sonderlichen Charakter", so OldÇrich Pulkert im Buch. Auch der Adel war ja in einer Öffnung und Verbürgerlichung begriffen, so dass die Etikette nicht mehr so großes Gewicht hatte und Beethoven zwangsloser ein- und ausgehen konnte als noch sein Lehrer Haydn.

LUDWIG VAN BEETHOVEN im Herzen Europas, Leben und Nachleben in den böhmischen Ländern. Herausgeber: OldÇrich Pulkert und Hans-Werner Küthen. Ceské lupkové závody, Prag 2000. 596 Seiten, 250 Bilder, geb., bis 31.9.2002 e 126,31, dann e 153,85

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