Fragen eines lesenden Laien

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Zu "Spe salvi - Auf Hoffnung hin errettet", der zweiten Enzyklika Benedikts XVI.

Aufregung gab es keine. Auch das Erstaunen, das Benedikt XVI. vor zwei Jahren mit seiner ersten Enzyklika "Deus caritas est - Gott ist die Liebe" auslöste, hielt sich in Grenzen. Heute ist es nicht mehr außergewöhnlich, dass sich der neue Papst keines lehrerhaften Tons oder vatikanischer Verlautbarungssprache befleißigt, sondern theologisch argumentierend, meditierend und werbend seine Botschaft an Frau und Mann zu bringen sucht. Sympathisch im Ton auch das zu Adventbeginn erschienene zweite Lehrschreiben dieses Pontifikats "Spe salvi - Auf Hoffnung hin errettet" (vgl. Seite 7 dieser Furche). Es steht jedem Christenmenschen wohl an, sich auf die Hoffnung in Jesus Christus zu besinnen und darauf, dass dies einen Gegenakzent zu Machbarkeitswahn und Fortschrittsfetischismus darstellt und dass diese Hoffnung eine jenseitige Dimension hat.

Dennoch befremdet den lesenden Laien an "Spe salvi" einmal mehr die Geschichtsbetrachtung von Neuzeit und Moderne, welche der Papst vorlegt: Benedikt XVI. ist sanft im Ton, aber glasklar in der Sache, wenn er seine Aufklärungs- und Neuzeit-Kritik vom Stapel lässt. Natürlich ist diese Kritik auch angebracht - wer würde die Barbareien der Französischen Revolution leugnen oder die Menschenverachtung der "realen" Systeme, die sich auf den Marxismus beriefen? Klar, dass ein Christ dies mit der Gottesfrage bzw. mit Gottvergessenheit korreliert. Die Fragen treten dort auf, wo die Dialektik der Christentumsgeschichte nicht wirklich in diese Kritik hineingenommen wird. Dass etwa die katholische Kirche heute die Menschenrechte auf ihre Fahnen heftet, wurde in einer langen Auseinandersetzung auch von Strömungen gegen diese Kirche errungen. Davon ist in der Geschichtskritik dieses Papstes keine Rede. Noch mehr Fragen tun sich dabei auf, worüber "Spe salvi" gerade nicht spricht: Von den großen Unheilsideologien des 20. Jahrhunderts wird nur der Marxismus gebrandmarkt, und auch dem ökonomistischen Liberalismus wie dem Kapitalismus sind keine Zeilen gewidmet.

Vielleicht hatte es ja Hintersinn, dass der deutsche Kardinal Karl Lehmann in seiner ersten Wortmeldung zu "Spe salvi" auch das "Prinzip Hoffnung" von Ernst Bloch ansprach, das "zu den Grundbüchern der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts" gehöre. Der Papst, immerhin Professorenkollege des späten Bloch in Tübingen, geht mit keinem Wort auf diesen Versuch einer "Säkularisierung" der Hoffnung explizit ein. Ebenso findet sich kein Wort zur "Theologie der Hoffnung", auf deren Protagonisten - den Katholiken Johann B. Metz und den Protestanten Jürgen Moltmann - Lehmann in seiner Stellungnahme gleichfalls hinwies.

Am auffallendsten - und schmerzlichsten - ist aber, dass bei Benedikts Tour d'horizon durch die neuzeitliche Ideen- und Christentumsgeschichte das II. Vatikanum nicht einmal in einer Fußnote vorkommt, wo doch etwa das Konzilsdokument "Lumen Gentium" die Hoffnung markant thematisiert, die Pastoralkonstitution über Kirche und Welt "Gaudium et Spes - Freude und Hoffnung" führt sie gar im Titel. Die nachkonzilare Gemeinsame Synode der bundesdeutschen Bistümer (1971-75), an der Joseph Ratzinger mitwirkte, hat das heute noch beeindruckende Glaubensbekenntnis "Unsere Hoffnung" verabschiedet, und der Grundtext zum Österreichischen Katholikentag 1983, der letzten Großmanifestation des heimischen Katholizismus in all seiner Breite, begann und endete mit: "Unsere Hoffnung ist Jesus Christus: der Gekreuzigte ist auch der Auferstandene".

All dies zeigt, wie sehr "Hoffnung" im kirchlichen wie im nichtkirchlichen Diskurs der letzten Jahrzehnte präsent war. Dem lesenden Laien drängt sich die quälende Frage auf, warum dies in "Spe salvi" mit keinem Wort zur Sprache kommt bzw. wie diese Kirche mitten in der Welt und im Leben stehen kann, wenn ihr Pilgerweg der letzten Jahrzehnte so ausgeblendet bleibt.

Man mag einwenden, dass ein kirchlicher Lehrmeister sub specie aeternitate denkt und schreibt. Und es mag sein, dass das Konzil in dieser Dimension auf die Ewigkeit hin nicht einmal eine Fußnote ist. Aber hier und heute geht es einmal mehr um das Projekt, diese Kirche mit der Moderne und mit der Aufklärung zu versöhnen. Doch die Hoffnung, dass solches Projekt vom gegenwärtigen Papst weitergetrieben wird, nährt dieses Dokument über die Hoffnung einmal mehr nicht.

otto.friedrich@furche.at

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