Paulo Coelho begeistert die Massen. Dabei sind seine Bücher schlecht geschrieben und seine Botschaften fragwürdig.
So manch katholischer Theologe müsste sich eigentlich freuen. Der angesagte "Megatrend Spiritualität" scheint durch die Auflagenzahlen der Bücher von Paulo Coelho mehr als bewiesen: dessen neuester Roman "Der Zahir" ist soeben in deutscher Sprache in einer Startauflage von 250.000 Exemplaren im Diogenes Verlag erschienen und schon hat er seinen Platz auf Bestsellerlisten und in den Schaufenstern. Begeisterte Fans finden sich auf der ganzen Welt, den wahren Umfang dieser Coelhomanie konnte man auf der Frankfurter Buchmesse 2003 erahnen, als Coelho 51 verschiedensprachige Ausgaben seines Romans "Der Alchimist" signierte und damit einen Weltrekord aufstellte.
Ein unglaublicher Erfolg, der vieles über den Markt verrät und mehr noch über den Zeitgeist, auf dessen Kompost dieser Markt blüht und gedeiht. Kann "schlecht" sein, was so vielen gefällt? Natürlich kann es. Aber Coelho-Fans wollen keine Kritik an seine Bücher herankommen lassen. Coelho selbst rechnet mit einer Abfuhr von Seiten des kritischen Feuilletons und will ihr in seinem neuesten Roman wohl zuvorkommen, mit unzähligen, auch aggressiven Wortmeldungen gegen seine Kritiker: "Wenn es um Politik geht, sind sie Demokraten, aber wenn es um Kultur geht, sind sie Faschisten. Sie meinen, die Leute seien fähig, eine Regierung zu wählen, aber keine Filme, Bücher und Musik." Klugerweise hat Coelho diese Worte zumindest seinem fiktiven Ich-Erzähler in den Mund gelegt. Dennoch: die Parallelen zu Autor Coelho sind so deutlich, dass dieser mit derartigen Seitenhieben mehr über sich selbst und sein Denken erzählt, als ihm lieb sein kann. Es klingt nach Paranoia, gepaart mit Größenwahn, wenn sich Coelhos Alter Ego schließlich sogar zur These versteigt, er werde mit diesen Kritiken bestraft, weil er es geschafft habe, aus der Mittelmäßigkeit auszubrechen.
Kritik an Kritikern
Literaturkritiker müssen trotz der Faschismus-Keule, die ihnen entgegengeschwungen wird, und gerade wegen ihr auch nach der Lektüre von Coelhos neuestem Roman bei ihrer Einschätzung bleiben: Coelhos Bücher hinterlassen einen mehr als schalen Nachgeschmack. Und das nicht, weil sie aus der Mittelmäßigkeit ausbrechen. Denn der Haupteinwand aus literaturkritischer Perspektive müsste lauten: Coelhos Romane sind - schlicht und einfach gesagt - schlecht geschrieben.
Man kann diese Behauptung mit zahlreichen Hinweisen belegen, es soll hier nur einer genügen: Coelho schafft es nicht, aus seinen Typen, die für bestimmte Lebenswege und -situationen Modell stehen, Menschen aus Fleisch und Blut zu machen, er schreibt an ihnen kilometerweit vorbei. Krasses Beispiel: Maria, die Brasilianerin, die in der Schweiz zur Prostituierten wird, im Roman "Elf Minuten": Sie schreibt in einem Stil Tagebuch, der weder zu ihrer Herkunft noch Bildung passt, sondern einzig und allein zu Coelho. Ein anderes Beispiel: Im Roman "Der Zahir" begegnen sich Mann und Frau am Ende nach Jahren wieder und führen einen Penelope-Odysseus-Dialog, der so aufgesetzt ist, dass man sich fragt, ob man im falschen Film gelandet ist.
Trivial und simpel
"Kein Thema ist per se gut oder schlecht in der Literatur", meint der Schriftstellerkollege Mario Vargas Llosa aus Coelhos Nachbarland Peru. "Alle Themen können beides sein, das hängt nicht vom Thema ab {...}. An der Form zeigt sich, ob eine Geschichte originell oder trivial, tiefgehend oder oberflächlich, komplex oder simpel ist. Sie entscheidet über Dichte, Doppeldeutigkeit, Glaubwürdigkeit der Personen oder macht aus ihnen leblose Karikaturen oder Kasperlpuppen." Diese Unterscheidung lässt - auf Coelhos Literatur angewandt - diese trivial, oberflächlich und simpel aussehen - so tief gehend und bedeutend fürs Leben die gewählten Themen auch sein mögen. Coelhos Figuren sind trotz aller Aufbrüche und Sinnsuchen leblose Statisten, reine Transportmittel für Heilsbotschaften.
Auch wenn Coelho wieder und wieder beteuert, es gehe ihm nicht um eine Botschaft, sondern ums Erzählen: Art und Weise seines Erzählens belegen das Gegenteil, hier sollen Werte und Weisheiten, Lebenshilfe und Lehrsätze vermittelt werden. Die Frage der Ästhetik ist zweitrangig.
Und die Inhalte? Die gewählten Themen sind brisant, sie geben die Lebenssituationen vieler wieder. So geht es etwa im neuesten Roman um Ehepaare, die nach außen das Bild eines glücklichen Paars abgeben, "das sich gegenseitig stützt, dieselben Interessen hat. Es taucht hier ein Geliebter, dort eine Geliebte auf, nichts Ernstes selbstverständlich. Wichtig, notwendig, entscheidend ist, so zu tun, als wäre nichts." Mit Paaren in solchen Situationen können sich viele identifizieren. Probleme und Lebenskrisen stellen sich im Folgenden immer als überwindbar dar, die Komplexität und Undurchschaubarkeit des Lebens als übersichtlich. Die verlorene geliebte Frau wird wieder gefunden, die andere räumt verständnisvoll den Platz. Aufbrüche sind leicht möglich, man gehe einfach einmal als Reicher zu den Bettlern in Paris und freue sich darüber, mit ihnen auf der Straße zu sitzen und zu philosophieren. Das ist Leben! Diese Idealisierung, ja Idyllisierung von Armut ist ebenfalls nachzulesen im Roman "Der Zahir".
Von Biografie geprägt
Alle Texte Coelhos sind von der Biografie des Autors geprägt. Unangenehm spürbar bleibt seine Vergangenheit: Erfahrungen mit "Tue, was du willst"-Sekten, schwarzer Magie und diversen sexuellen Praktiken. Auch heute noch, sagt Coelho in Interviews und so ist es auch aus seinen Büchern zu lesen, glaubt er an die magische Dimension des Lebens und an ein offizielles Wissen, das diese nicht akzeptiert, also an eine Art Weltverschwörung, die verhindert, dass die Menschen zu sich kommen.
Coelhos Antworten auf Probleme lauten stets gleich und scheinen daher immer zu passen: das Leben in die Hand nehmen, Träume verwirklichen, immer das Ziel vor Augen halten, auf die Stimme des Herzens hören, sich selbst erkennen und den eigenen Weg und diesem dann folgen. Die synkretistische Religiosität und die Kultur- und Institutionsunabhängigkeit seiner Botschaften sorgen dafür, dass sich sein Werk weltweit verbreiten konnte. Katholische Spiritualität vermengt sich mit großen Portionen Gnosis, mit Magie und Dämonenglauben bis zur Unkenntlichkeit und bezahlt dies mit dem Verlust eines persönlichen Gottes.
Über vieles könnten Theologen sich mit Coelho streiten und sollten es wohl auch tun - etwa über das Gottesbild -, eine Tatsache aber steht auf jeden Fall außer Streit und sollte einen Einwand auch aus theologischer Perspektive nach sich ziehen, behauptet Coelho doch sich in guter katholischer Tradition zu wissen: das Ausblenden von Gesellschaft, einem gemeinsamen Unterwegssein. Coelhos neuester Roman etwa entspringt deutlich einer satten Wohlstandgesellschaft, der es so gut geht, dass sich das Individuum nur mehr selbst Leid tut oder von Event zu Event trabt auf der Suche nach etwas, das die Leere füllen könnte. Als Medikament dagegen verabreicht Coelho Sinn. Träume. Innere Stimmen. Vor allem Selbstverwirklichung. Kaum werden Vernetzungen des Individuums ins Gesellschaftliche erwähnt. Unabhängig von sozialen Systemen, in die ein Individuum geboren ist, in denen es lebt, liebt und leidet, soll es ihm jederzeit möglich sein, sein Leben zu ändern. Coelho kann damit beide trösten: die Reichen in ihrem Gefühl der Sinnlosigkeit, die Armen in ihrer Tatsache der Mittellosigkeit.
Gesellschaft ausgeblendet
Diese Ausblendung von Gesellschaft, von Gemeinschaft ist insofern erstaunlich, weil Coelho selbst einst aufgrund von regimekritischen Songtexten mehrmals von der brasilianischen Militärjunta verhaftet wurde. Heute unterhält er eine Stiftung, die Kindern und alten Menschen in Brasilien eine menschenwürdigere Zukunft ermöglichen soll. In seinen Büchern kommen soziale Anliegen und sein Heimatland aber kaum vor.
Gehören also Coelhos Botschaften zu jener gegenwärtigen Respiritualisierung, die wahrzunehmen sich manche Theologen freuen? Oder wird in Coelhos Büchern eine Spiritualität verkauft, die einfach nur perfekt der Nachfrage am Lebenshilfemarkt entspricht?
Coelho schreibt nicht, wie man erstaunlicherweise immer wieder hören kann, gegen den Trend der Zeit. Coelhos Bücher schwimmen im Gegenteil auf den Wellen des Zeitgeistes, die da heißen: Besinnung auf die eigene Befindlichkeit, auf Veränderungskraft, die aus der eigenen Mitte kommt, schlichte Sprache, noch schlichtere Lösungen, die schlichtesten Wahrheiten. Kriege bilden bloß den nötigen Kontrast, um sich selbst wieder zu spüren, und politische Zusammenhänge, wirtschaftliche Abhängigkeiten oder schreiende Ungerechtigkeiten gibt es nicht. Denn alles, was ein Mensch persönlich nicht bewältigen kann, wird ausgeklammert. So lebt es sich leichter, den eigenen Weg entlang.