"Frankl wurde vereinnahmt"

Werbung
Werbung
Werbung

Psychiater Alexander Friedmann, Vorstandsmitglied der Israelitischen Kultus-gemeinde, im Interview.

Die Furche: Ist es gerechtfertigt, Viktor Frankls "Logotherapie" als "Dritte Wiener Schule der Psychotherapie" zu bezeichnen?

Alexander Friedmann: Wenn wir Frankl mit Sigmund Freud und Alfred Adler vergleichen - den Begründern der ersten beiden Schulen -, dann ist er sicher um einiges weniger bedeutend. Das ändert aber nichts daran, dass Frankl ein Prinzip in die Psychotherapie eingeführt hat, das sehr wichtig ist: nämlich dass sich die Kranken nicht einfach nur mit ihrem Kranksein beschäftigen, sondern eine Statusfeststellung ihres Selbst in ihrer Lebensgeschichte - und damit auch den Sinn ihres Lebens betreffend - finden. Das ist etwas Wichtiges und Neues - was natürlich damit verbunden ist, dass Frankl im Gegensatz zu den anderen psychotherapeutischen Schulgründern durch eine Extrembelastungssituation gegangen ist mit einer ganz dramatischen, chronischen Lebensgefährdung. Hier ist es nahe liegend, dass man sich mit diesen Fundamenten auseinandersetzt.

Die Furche: Sie haben 1994 esra, das psychosoziale Zentrum für Holocaust-Überlebende und MigrantInnen, gegründet - eine Einrichtung der Israelitischen Kultusgemeinde und der Stadt Wien. Tatsächlich war das Verhältnis zwischen Frankl und der Kultusgemeinde äußerst angespannt...

Friedmann: Dazu möchte ich Folgendes sagen: Ein Mensch, der Auschwitz überlebt hat, überlebt es nicht folgenlos - egal wie er nachher mit seinem Leben zurechtkommt. Das heißt: Man muss Frankls Haltungen und sein Handeln immer vor diesem Hintergrund sehen. Wenn die fpö sich seiner bemächtigt, dann tut sie das unter Hintanhaltung dessen, wodurch Frankl zu diesem Frankl geworden ist. Es gibt Menschen, die haben das kz überstanden und sind zerbrochen gewesen. Andere sind aus dem kz herausgekommen und haben ihr Leben einem Prinzip gewidmet und nicht mehr ihrem eigenen Leben - das war auch eine Art von Flucht. Beispiel dafür ist Simon Wiesenthal. Viktor Frankl hat seine eigene Art der Bewältigung gesucht und er tat das mit Konstrukten, die mir durchaus kritisierenswert erscheinen: Durch seine Haltung gegenüber den Tätern und durch seine Desolidarisierung gegenüber den Opfern hat er sich eine Position geschaffen, die es leicht machte, ihn zu vereinnahmen - und er wusste, dass er vereinnahmt wird. Aber dennoch glaube ich nicht, dass ein Nachgeborener sich das Recht anmaßen kann, ein strenger Richter über einen Überlebenden zu sein.

Die Furche: Frankls Aussage aus dem Jahr 1988, wonach es "zwei Rassen von Menschen" gäbe, "die Rasse der Anständigen und die Rasse der Unanständigen", war nach Aussage seiner Schüler durchaus versöhnlich gemeint...

Friedmann: Ich war damals selbst am Wiener Rathausplatz und habe mir lange den Kopf darüber zerbrochen, insbesondere weil das eine so griffige Formulierung ist. Natürlich gibt es unter den Tätern sehr unterschiedliche Täterqualitäten, und es gibt eine Menge Menschen, die nicht bei der ss waren und viel schwerer moralisch belastet waren als unter Umständen jemand, der in der schwarzen ss-Uniform gelandet ist. Und es ist natürlich auch wahr, dass es unter den elf Millionen zivilen Toten, die während der Nazi-Verfolgung ermordet wurden, nicht nur Heilige gegeben hat. Und es ist sicher richtig, dass in der kz-Situation die menschliche Moral bei den Häftlingen auch herunternivelliert wurde bis auf ein geradezu tierisches Niveau - und dass es vorgekommen ist, dass ein Häftling dem anderen das Brot weggenommen hat. Trotzdem: Unabhängig davon, welche Qualität ein Opfer hat, ist es zuerst einmal als Opfer und seine Schergen als Schergen wahrzunehmen. Sonst beginnt man Rechtfertigungen für Grausamkeiten zu erfinden, indem man sagt: Das Opfer war aber auch kein Guter. Zweitens sprechen wir ja nicht von der Zeit während des Geschehens, sondern von der Zeit danach. Frankl wusste, dass eine verhältnismäßige Minderheit von Menschen millionenfach mit Mord beschäftigt war. Da kann man nicht hergehen und sagen: Es gab da und dort Unanständige und Anständige. Und schließlich sind die Menschen, die diesen Ausspruch als versöhnlich empfinden, mit Sicherheit keine Opfer, sondern jene, die Täter waren oder sich zumindest in irgendeiner Form schuldig fühlen und dankbar einen Satz aufgreifen, der ausschaut, als wäre er versöhnlich. Es ist in Deutschland und Österreich in einer bestimmten Generation ein Charakteristikum, so zu tun, als hätten die Täter und Opfer einander etwas zu verzeihen. Aber Versöhnung ist nicht möglich, so lange die Täter die Versöhnung einfordern statt alles daran zu setzen, sie möglich zu machen. Frankl wurde damit - ob willkürlich oder unwillkürlich - zu einem Handlanger jener, die es als unanständig hinstellen, wenn die Opfer den Tätern nicht verzeihen. Als mildernden Umstand möchte ich aber für Frankl ins Treffen führen, dass auch er selbst ein Veränderter war.

Das Gespräch führte Doris Helmberger.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung