Frauen finden ihre Formen

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Pionierinnen der Architektur der 1920er Jahre in Wien zu sehen.

In den "wilden" Zwanzigern begannen Frauen, sich von Heim und Herd zu lösen, ihre Potentiale zu entdecken und Männerberufsfestungen zu stürmen. Doch viel, was die weibliche Avantgarde der Bauhaus-, technischen Hochschul- und Akademieabsolventinnen zu Design und Architektur der Moderne beitrug, ging im Schatten ihrer Partner unter.

Auf den Spuren der "neuen Frauen im neuen Bauen Deutschlands" erforschten Ute Maasberg und Regina Prinz diverse Archive. Die Essenz davon zeigt die Schau "Die Neuen kommen!", die nun um Wien-Bezüge erweitert im Ringturm zu sehen ist: 30 Frauenpersönlichkeiten und ihr Wirken sind neu oder wieder zu entdecken.

Im Schatten ihrer Partner

Im gestreiften Rock, breitbeinig, halbhoch beschuht, lächelnd, mit verzogenen Schultern, die Reißschiene vor sich gepresst, malte Nikolaus Sagrekow Ursula, die Tochter des Architekten Leo Nachtlicht. Sie verkörpert den neuen, technikversierten Frauentyp: ein Selbstbewusstsein auf der Startrampe, das sich noch nicht ganz traut. Das Bild illustriert, was für viele Frauen gilt: hingebungsvoll integrativ bringen sie sich in Teams ein, treten aber kaum ins Rampenlicht.

Sie bereicherten Theorie und Praxis, Kunst und Architektur von der Handtasche bis zu Großbauten. So entwarf Lucy Hillebrand für das "Fest der Technik" von Sonderschau ein Kostüm und mit Robert Michel eine moderne, flugbedachte Dapolin-Tankstelle. Interdisziplinär realisierte sie nach dem Krieg Wohnungen, Schulen, Heime, unter anderem ein oktogonales Haus für Kinder, was deren Bewegung mehr entspricht als das Rechteck. Hanna Loev war die erste Regierungsbaumeisterin Bayerns, der Beamtenstatus blieb ihr "aus grundsätzlichen Erwägungen" verwehrt. In Münchner Postbauschulen-Manier verband sie Tradition und Moderne. Die Kostüme zum Klassiker "Der Golem, wie er in die Welt kam" sind ebenso von Marlene Moeschke-Poelzig wie ein avantgardistisch multifunktionales Junggesellinnenwohnheim, Erna Meyers Schriften und Zettelkästen revolutionierten die Haushalte.

Als hoch kompetent galten Frauen bei Interieurs, sozialem Wohn- und Kindergartenbau. Margarete Schütte-Lihotzky deckte das ganze Spektrum ab; Highlight ist ein Original ihrer Frankfurter Küche. Ab 1919 entwickelte sie modellhaft funktionelle Wohn-und Möbellösungen, die den Frauenalltag erleichterten. Sie arbeitete unter anderen eng mit Adolf Loos, Bruno Taut und Ernst May am Frankfurter Siedlungsamt zusammen, wo sie kompakte Einbaupionier-Küchen plante. Vorbildlich schonen sie weibliche Energien: Funktionsabläufe sind auf Kürzestdistanzen, Möbel auf die Arbeit im Sitzen bemessen, Kleinräume optimal genutzt. Vorm Tisch am Fenster ist ein klappbares Bügelbrett, die Mehllade aus mottenresistenter Eiche, die Salzlade aus Fichte. In der Wärmetruhe am Herd köchelt sich das Essen fertig, während Frau ihre Kinder abholt. Schütte-Lihotzky folgte May zur Stadtplanung nach Sibirien, immer folgte sie ihrem Gewissen. Im Widerstand gegen das ns-Regime entkam sie nur knapp der Todesstrafe, lebenslang blieb sie sich und ihrer sozialen Ader treu. Die erste Architektin Österreichs stellte viele in den Schatten.

In Auschwitz vergast

"Friedl war klein, energiegeladen, temperamentvoll. Sie konnte keine Manieriertheit dulden. Einmal lachte sie mich aus, weil ich Zeichnungen stolz datiert und signiert hatte," so Edith Kramer über das große Multitalent Friedl Dicker. 1923 gründete sie mit ihrem Lebenspartner Franz Singer das Atelier Dicker/Singer. Sie signierte nie, ihr Gesamtbeitrag zum Team ist bis heute nicht zu ermessen. Innovativ kombiniert ein Stoffmuster Textil und Leder, ein Speisezimmer flexible Lebensnähe und Ästhetik: Sessel lassen sich unterm Regalbord stapeln, mehrere Quadrate wachsen zum Tisch für bis zu 15 Personen. Bestechend elegant schwingt sich die Treppe auf die Terrasse des Gästehauses Heriot in Wien, wo ein gepolstertes Liegebett zum Sonnenbad lädt, die Brüstung zur Bank wird. 1942 wurde Friedl Dicker nach Theresienstadt deportiert, wo sie Kindern Zeichenunterricht und Hoffnung gab, 1944 wurde sie in Auschwitz vergast. Ihre beseelten Zeichnungen und Möbel blieben.

"Die neuen kommen!"

Weibliche Avantgarde in der

Architektur der zwanziger Jahre

Ausstellungszentrum im Ringturm

1010 Wien, Schottenring 30

Bis 2. 9. Mo-Fr 9-18, Do 9-19.30 Uhr

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