Frauenberger Engelsgespräche

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Während der Restauration der Wallfahrtskirche Frauenberg bei Admont waren Schriftsteller Bodo Hell und Zeichner Norbert Trummer anwesend. Auszug aus dem originellen Ergebnis, das als Buch vorliegt.

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Während der Restauration der Wallfahrtskirche Frauenberg bei Admont waren Schriftsteller Bodo Hell und Zeichner Norbert Trummer anwesend. Auszug aus dem originellen Ergebnis, das als Buch vorliegt.

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Folgendes Gespräch wird von den 24 Stuckkaryatiden hoch oben aus den Auflagern der Gewölbejöcher herunter geführt, in West-Ost-Richtung des Durchschreitens des Kirchenraums vom Westeingang her zum Altar hin, bisweilen auch kreuz und quer vernehmbar.

ENGEL 10:

leicht genervt: als noch das Baugerüst respektive das Renovierungsgerüst vor meiner Nase gestanden ist und sich immer wieder Restaurateure und Restaurateurinnen an mir vorbeigezwängt haben (von den Wasserdampfwolken ganz zu schweigen, mit denen er mich - und nicht nur mich - nämlich jener sonst so umgängliche Stuckrestaurator Hans Erlacher, traktiert hat), da kommt also glatt eines Tages eine bedächtige Gestalt mit ihrem eigenen BauScheinwerfer heraufgetapst (ich habe noch immer diese schleifenden Nachgeräusche solcher Gänge übers Gerüst im Ohr) und dieser Herr, eben jener extrem geduldige Serienmaler/Detailzeichner Norbert Trummer (von dem ich schon erzählt habe), setzt sich akkurat auch noch in meine Nähe auf seinen mitgebrachten Stuhl am Umgangsbrett, eingewickelt wie eine Marktfrau im Winter im Freien in eine Decke, und schaut mich stundenlang an, zwischendurch auch immer wieder aufs Zeichenblatt konzentriert, 100e Male abwechselnd, als hätte ich irgendeinen Makel an mir, den es noch ausfindig zu machen gälte, ja sogar des Nachts, wenn alle anderen weggegangen waren und ihn nichts mehr stören konnte, ist er auf diesem Stuhl gesessen, um mich zu hypnotisieren, vielleicht hat es ihm aber auch nur meine übergroße Gürtelschnalle angetan, die er auf seiner Buntstiftzeichnung allerdings nur angeschnitten hat

ENGEL 9:

tief ausgeschnitten, ein Gewanddreieck oder einen ebensolchen Polster am Schoß: da hatte ich es wesentlich leichter, denn das Gerüst war zu dem Zeitpunkt schon weg, als mich dieser uns längst vertraute Serienmaler/Detailzeichner vom Parterre her ins Auge gefaßt hat, um mich als Ganzfigur samt Gesimsen und Scheinwerfern, deren Lichtkegeln wir neuerdings ausgesetzt sind, zu porträtieren, und daß Kirchenbesucher und Wallfahrer von ganz unten heraufschauen, bin ich (und sind wir) ja von Anbeginn an (eben seit 1687) gewöhnt und fühlen uns dabei nicht so sehr behelligt, denn die Bildfresken der Stichkappen (hier "Darbringung" mit Taubenkäfig und "Beschneidung" mit Küchenmesser) sowie die großen Hauptszenen des Mittelgewölbes (hier die Krippe vor BethlehemRuinen) stechen den meisten Besuchern (von den Gottesdienstfeiernden einmal ganz abgesehen) eher ins Auge als wir Träger und Trägerinnen oder Scheinträger und Scheinträgerinnen selbst, die gewissermaßen im überreichen Stuckschmuck der oberen Partien mit aufgehen, für den passageren Blick über Blatt- und Fruchtgirlanden hinweg (alles Vegane italienischer Provenienz), ganz gleich, ob ich wie jetzt tief ausgeschnitten, einseitig schulterfrei und hochgeschürzt dastehe oder züchtig zugezogen, wie es sich gehört, denn Engel haben normalerweise nichts Irdisches im Sinn

ENGEL 12:

leicht verschreckt: aber gerade unser aller ästhetische Blässe und das offensichtliche Schweben zwischen den Geschlechtern macht uns doch für aufmerksamere Betrachter so anziehend, und wenn ich einmal wie jetzt eben in die Tiefe zurückschaue, auf diese perspektivisch gestauchte Menschengestalt da unten, dann wird man mir den Schreck, der mich über derartiges Empor-Starren erfaßt hat, ansehen und man wird ihn auch in meiner gestischen Antwort auf solch herausfordernden Aufblick (gar mittels Fernglas) wahrnehmen können

ENGEL 11:

ebenfalls im Abwärtsblick: ihr habt gewiß genauso wie ich von dieser serbisch-amerikanischen KörperKünstlerin gehört, die sich selbst in keiner Weise schont, gar in der Schweizer Kartause Ittingen hat sie eine schwer erträgliche Installation mit glühenden und messerbesetzten Leitern eingerichtet, und diese sonst so selbstverletzende Marina sitzt neuerdings Museumsbesuchern tagelang gegenüber, ohne jedwede Bewegung, mit strengem Blickregime, intakt und statuenhaft: was im ausgesuchten Publikum zu unglaublichen Halluzinationen geführt haben soll, ich dagegen muß bei jeder sich bietenden Gelegenheit verlegen dreinschauen und mich leicht irritiert kratzen

ENGEL 10:

noch immer wie überfordert: und daß ich's nicht vergesse: selbst das AneinanderReiben von schwankendem Gerüst und festen Holzteilen bei Nacht sowie dessen Nachwippen, als ob ein Mondsüchtiger drüberginge oder eben drübergegangen ist, hat mich jedesmal aus meinem Augen-offen-Schlaf geweckt

MATRI MITRAM

Engelsgespräche/Bildersturm

Von Bodo Hell und Norbert Trummer

Bibliothek der Provinz 2014

104 S., geb., € 20,-

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