"Friedliche Konfliktregelung" statt "Dialog"?

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"Keine Naivität im Umgang mit dem Islam!" mahnt ein informativer, aber nicht unproblematischer Sammelband ein.

Als nach den Anschlägen des 11. September der christlich-islamische Dialog eine plötzliche Konjunktur erlebte, ging ein deutscher Pfarrer zu einem Imam. Er lud ihn zu einem Gespräch ein. Der Imam reagierte höflich und schenkte dem Pfarrer den Koran, der sich bedankte und im Gegenzug eine Bibel überreichte. Der Imam blickte ihn entsetzt an und verweigerte die Annahme, ja sogar die schlichte Berührung des heiligen Buchs der Christen.

Aus Sicht des Göttinger Politikwissenschafters Bassam Tibi haben sich beide Geistliche im Kontext ihres Wertekanons richtig verhalten und gleichzeitig die grundlegenden Differenzen ihrer Religionen offengelegt. Der moderne westliche Theologe zeigt sich pluralismusfähig - sein Gegenüber nicht. Die Bibel als Geschenk kann der Imam nur als versuchte Missionierung betrachten. Einen Koran zu verschenken, ist dagegen dawa, ein Aufruf zum Islam - also ein in seinen Augen legitimer Missionsversuch. Auch Europa ist in dieser Perspektive Missionsgebiet. Nach Sure 3:19 gibt es nämlich keinen Pluralismus der Religionen, sondern nur einen Glauben: "Die Religion bei Gott ist der Islam."

Dialog als Täuschung?

Tibi, der diese Geschichte in seinem Beitrag "Selig sind die Betrogenen. Christlich-islamischer Dialog - Täuschungen und westliches Wunschdenken" zu dem von Ursula Spuler-Stegemann herausgegebenen Buch "Feindbild Christentum im Islam" schildert, fordert Christen wie Muslime auf, sich ein Mindestmaß an theologischen, kulturellen und historischen Grundlagen der anderen Religion anzueignen. Der Dialog müsse als "friedliche Konfliktbewältigung" und nicht als "Zusicherungen des guten Willens" betrieben werden.

Unmissverständlich ist das informative Bändchen, zu dem Journalisten, Pfarrer, Wissenschafter und Verfassungsschützer 14 teils wissenschaftliche, teils persönlich-essayistische Beiträge geliefert haben, darin, dass der Islam einen Absolutheitsanspruch vertritt, der von den Gläubigen durchzusetzen ist. Damit rückt die kompromisslose und politisch gefährliche Dimension von Religion ins Zentrum der Betrachtung, die gerade Europa vor immense Rätsel stellt. Es muss ja nicht erst eine Botschaft in Nahost brennen und ein wütender Mob martialische, antiwestliche Parolen brüllen, um den Europäer ins Grübeln über den Graben der Glaubenssysteme zu bringen.

Anderes Glaubenssystem

Die Islamwissenschafterin Christine Schirrmacher des evangelikalen "Instituts für Islamfragen" in Bonn lenkt deshalb den Blick auf die Frühzeit des Islam und beleuchtet die Stellung der Christen im Koran, in der sich wohl die Erfahrungen Mohammeds mit jüdischen und christlichen Stämmen auf der arabischen Halbinsel spiegeln. Christen und Juden gelten als Besitzer heiliger Schriften, werden deshalb mit Respekt behandelt, sollen aber Mohammed als Abschluss der Offenbarung Gottes akzeptieren. Jesus Christus wird als Gesandter Gottes betrachtet.

Drei Christengötter?

Theologisch inakzeptabel sei für den Koran die trinitarisch gedachte Gottessohnschaft Christi. Sie werde als Dreigötterverehrung (miss)verstanden und sei die größte Sünde gegen die Einzigartigkeit Allahs.

In der späteren Überlieferung, den Hadiths, werden die Christen deshalb als Ungläubige bezeichnet, die es zu bekehren gelte, denn der Islam sei die letzte und damit überlegene Offenbarungsreligion. Wer ihr nicht folge, werde in der Hölle schmoren (Sure 98:6). Heutige islamische Apologeten leiten daraus die Fehlentwicklungen der westlichen Welt ab - wie Alkoholismus, Prostitution, Homosexualität, Drogen, Verschwendungssucht.

Heilung könne der Westen erfahren, wenn er sich dem Islam zuwenden würde. Hinsichtlich der aktuellen Karikaturen-Debatte empfahl Schirrmacher jüngst in einem dpa-Interview, dass sich der Westen von militanten Muslimen nicht einschüchtern lassen solle. "Verständnis und Respekt für religiöse Werte sind gut, aber einer politischen Instrumentalisierung darf nicht nachgegeben werden."

In der arabischen Welt hätten sich die theologischen Überzeugungen in rechtlichen Fixierungen niedergeschlagen, die ein gleichberechtigtes Nebeneinander von Christen und Muslimen ausschlössen: Ein Muslim darf eine Christin heiraten, eine Muslima aber keinen Christen. Der Weg vom Christentum zum Islam ist erlaubt, die andere Richtung bei Todesstrafe verboten. Allerdings haben die meisten islamischen Staaten die Todesstrafe abgeschafft.

Sozialer Druck

Erfahrungsberichte über zwei zum Christentum übergetretene Muslime machen deutlich, dass auch heute der soziale Druck enorm ist. Verfolgung und Ausgrenzung von Christen in Nigeria oder Iran geschehen heute nicht mit dem Schwerte, sondern sozial, wirtschaftlich oder juristisch. Erschreckend sei vor dem Hintergrund der EU-Beitrittsfrage die noch immer systematische Diskriminierung von Christen in der Türkei, die vom staatlichen Eingriff ins kirchliche Schulwesen, fehlenden theologischen Akademien bis zum Verbot des Kirchenneubaus reichten, so der ehemalige deutsche Pfarrer in Istanbul, Gerhard Duncker.

Kein Dialog-Buch

Ursula Spuler-Stegemann kritisiert scharf die Dialog-Naivität speziell protestantischer Kirchenvertreter in Deutschland. Wer den christlichen Wertekanon auf den islamischen oder umgekehrt übertragen wolle, kommuniziere unter falschen Voraussetzungen. Noch ärgerlicher findet es die Marburger Islamwissenschafterin, wenn sehenden Auges fundamentale politische oder religiöse Probleme ausgeblendet würden. Sie führt als Beispiele falsch verstandener Toleranz die Theologin an, die Frauenbeschneidung als religiös konstitutiv und deshalb nicht kritisierenswert betrachtet, einen Pfarrer, der sich aus Dank für eine Einladung vor einem aufrecht stehenden Imam verbeugt, oder die evangelische Kirche, die leer stehende Kirchen an Moscheenvereine abzugeben bereit sei. Kirchenvertreter sollten nicht zu Multiplikatoren des Islam werden, sonst würde ihr freundliches Auftreten bei den Muslimen unter "Missionserfolge" abgebucht.

Spuler-Stegmanns Buch ist eine Warnung vor einem naiven Umgang mit dem Islam. Auffälligerweise nimmt die Wissenschafterin heute eine sehr viel islamkritischere Haltung ein als in früheren Schriften. Sie scheint dialog-frustriert zu sein. Dass allerdings das Christentum wirklich das Feindbild im Islam ist, wie es der reißerische Titel unterstellt, wirkt übertrieben und kann nur punktuell belegt werden. Ein bisschen Hoffnung leuchtet dann auf, wenn sie am Schluss ihres Buches einige gelungene Dialog-Beispiele oder praktiziertes Zusammenleben in Schulen und Kindergärten nennt. Eine Handreichung für einen kritisch-konstruktiven Dialog ist Spuler-Stegemanns Buch nicht.

Feindbild Christentum im Islam Eine Bestandsaufnahme. Hg. v. Ursula Spuler-Stegemann. Verlag Herder, Freiburg 2004; 189 Seiten, kt., e 10,20

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