Frische Sitcom statt resignierter Schwere

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Gestützt auf ein Star-Ensemble legt der junge australische Regisseur Simon Stone eine gleichermaßen riskante wie bemerkenswerte Neuinterpretation von Ibsens "John Gabriel Borkman" vor.

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Gestützt auf ein Star-Ensemble legt der junge australische Regisseur Simon Stone eine gleichermaßen riskante wie bemerkenswerte Neuinterpretation von Ibsens "John Gabriel Borkman" vor.

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Seit Simon Stone vor zwei Jahren bei den Wiener Festwochen mit seiner in Australien erarbeiteten, so ganz untragischen Interpretation von Henrik Ibsens "Wildente" auf sich aufmerksam gemacht hat, zählt er nicht nur in Europa zu den vielversprechendsten und gefragtesten Regisseuren und gilt als der Spezialist wenn es darum geht, alte Geschichten heutig zu erzählen. Nun ist das, mit Blick auf die anhaltenden Skandale in der Finanzwelt, für Ibsens Drama, in dem der zwielichtige Finanzjongleur John Gabriel Borkman im Zentrum steht, der für sein Scheitern mit seinem persönlichen Glück und auch dem anderer bezahlt, gewiss nicht ganz so schwer. Nicht unbedingt neu als vielmehr in diesem Sinne heutig mutet daher vor allem die abenteuerlich unbekümmerte Art an, wie Stone Ibsens Schauspiel "John Gabriel Borkman" umgeschrieben hat, um es konsequent als Komödie zu erzählen. Dabei beginnt zunächst alles ganz anders.

Metaphorische Seelenlandschaft

Wenn der kalt-blaue Vorhang des Wiener Akademietheaters sich in der Mitte teilt, gibt er den Blick frei auf eine Schneelandschaft vor offener Brandmauer. Knöcheltief liegt der Schnee auf Katrin Bracks Bühne, da und dort ist ein Schneehäufchen auszumachen, sonst aber ist sie vollkommen leer. Zwei pausenlose Stunden wird es vom Schnürboden weiter unaufhörlich schneien. Statt das Familiengut der Rentheims, wo der frühere Bankdirektor John Gabriel Borkman im oberen Stockwerk seit acht Jahren in fast völliger Einsamkeit über seiner Frau Gunhild haust, ohne ihr je zu begegnen, zeigt Stone eine metaphorische Seelenlandschaft: eine erkaltete, leere Welt. Aber schon wenn sich aus einem der Schneehaufen zuerst Birgit Minichmayr als Gunhild Borkman und kurz darauf aus einem anderen Caroline Peters als deren Zwillingsschwester Ella Rentheim erheben, ändert sich die Betriebstemperatur, was nicht zuletzt die rote Haarfarbe der Schwestern sogleich ahnen lässt.

Komik liegt nicht nur in diesem Auftritt, sondern vor allem in der Art und Weise wie Stone Minichmayr und Peters und später auch Martin Wuttke als Borkman ihre verschütteten Seelen enthüllen lässt. Wie die drei durch die Vergangenheit aneinander geketteten und sich doch zutiefst fremd gewordenen Menschen ihr verborgenes Leben in einer modernen, alltäglichen Sprache in der Helle der Bühne ausbreiten, ist nah an Ibsen dran. Und doch sind es heutige Menschen, ist gerade wie sich jeder für sich selbst rechtfertigt, wie sie durcheinander und aneinander vorbei reden, so ungemein nah an unserer Gegenwart erzählt.

Nichts ist zu spüren von der nordischen Schwere, von resigniertem Sinnieren über die Gründe des Scheiterns im Leben. Vielmehr erinnert Stones Personal in ihrem mitleidslosen Sarkasmus, den egoistischen und narzisstischen Posen an Protagonisten aus angelsächsischen Sitcoms. So ersäuft Gunhild ihre Schande aus der Vergangenheit in Alkohol, die nicht zuletzt deshalb nicht vergehen kann, weil sie beim Googeln stets daran erinnert wird, oder lässt sich über Skype psychotherapieren. Ella buhlt unzimperlich um Erhart, den Sohn der Schwester, damit etwas bleibt von ihr, wenn der Krebs sie schon bald besiegt haben wird. Erhart muss natürlich weg, damit das Scheitern nicht von einer Generation auf die nächste übergeht und er sein eigenes Leben leben kann.

Lyrische Phase des Kapitalismus

Der Bankrott und das Gefängnis haben Borkman (Martin Wuttke) nicht brechen können. Äußerlich heruntergekommen mit langen fettigen Haaren bleibt er ganz ein Unternehmer im Ibsen'schen Sinne. Obwohl despotisch, destruktiv auch gegen sich selbst, indem er sich für das Geschäft und gegen die Liebe entschied, bleibt er ein angeberischer und lächerlicher Visionär, der noch immer glaubt, seine Zeit wird kommen. So forciert Stone dessen zwielichtige Finanzmanöver auch nicht als Veruntreuung, nicht als Betrug, sondern als kurzzeitiges Darlehen zur Verwirklichung eines visionären Projektes. Es ist fast, als hätte Stone Franco Morettis Buch "Der Bourgeois" gelesen, in dem Borkman gleichsam als Vertreter der lyrischen Phase des Kapitalismus auftritt. Im Rausch seiner unternehmerischen Visionen, verleugnet er die Gegenwart und spekuliert, blickt er stets in ein weit entferntes Morgen, wobei die Realität getilgt, stets vom bloß spekulativen Möglichen überschrieben wird.

So liegt bei Stone die Tragik nicht im Tod, sondern ist im Leben selbst beheimatet. Daher inszeniert er Borkmans Tod ganz untragisch. Als er vorn an der Rampe tot in sich zusammensackt und sich die Schwestern über der Leiche zaghaft umarmen, hebt er leicht die Hand zum Victory-Zeichen. Sogar im Tod triumphiert dieser Borkman über das Leben.

John Gabriel Borkman Akademietheater, 6., 7., 8. Juni

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