Frischer Wind für Russlands Kirche

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Gute Kontakte zu Russlands Politikern, erfolgreiche Missionsarbeit im In- und Ausland und engere Beziehungen zu Rom sind die Bilanz von einem Jahr Kirill I.

Gebührend eindrucksvoll wurde der erste Jahrestag der Inthronisation von Patriarch Kirill von Moskau und der ganzen Rus im Rahmen einer großen Festversammlung von Bischöfen, Priestern und einigen Hunderten Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens Anfang Februar in der Moskauer Christus-Erlöser-Kathedrale gefeiert. Neben Russlands Präsident Dmitri Medvedev und Ministerpräsident Vladimir Putin gratulierte auch der jüngst ernannte Metropolit Hilarion (Alfeev) von Volokolamsk (Leiter des kirchlichen Außenamtes; bis Jänner 2009 Bischof von Wien und Österreich) dem Kirchenoberhaupt.

Mit den 151 in Moskau versammelten Bischöfen wurde auch eine Konferenz abgehalten, die vor allem vom beeindruckenden Rechenschaftsbericht des Patriarchen geprägt war. Allein die statistischen Zahlen sind beachtenswert: Im abgelaufenen Jahr wurden 900 neue russisch-orthodoxe Pfarren errichtet, sodass heute die Gesamtzahl der Pfarrgemeinden 30.142 beträgt, die von 28.434 Priestern und 3625 Diakonen pastoral betreut werden. Die Kirche gliedert sich derzeit in 160 Diözesen mit insgesamt 207 Bischöfen. Zum Vergleich: Im Jahr 1988 verfügte die russisch-orthodoxe Kirche über 6893 Pfarren, 76 Diözesen, 74 Bischöfe und 7397 Kleriker.

Schwerpunkt der Arbeit im ersten Jahr als Oberhaupt der russischen Orthodoxie war die Festigung der eigenen Stellung innerhalb der eigenen Kirche: insgesamt visitierte der Patriarch 24 Diözesen in der Russischen Föderation, in der Ukraine, in Weißrussland, Aserbaidschan und Kasachstan, wobei dem Pastoralbesuch in der Ukraine eine besondere kirchenpolitische und auch politische Bedeutung zukam.

Sein erster offizieller Auslandsbesuch galt aber – ganz nach alter Tradition – dem Ehrenoberhaupt der Orthodoxie, dem Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. Damit wollte er ein doppeltes Signal setzen: Ein klares Bekenntnis zur innerorthodoxen Brüderlichkeit, trotz aller Verstimmungen zwischen Moskau und Konstantinopel (Ökumenisches Patriarchat) in den letzten Jahrzehnten, aber auch, um die Stellung und den Mit-Leitungsanspruch des Moskauer Patriarchats innerhalb der Orthodoxie deutlich zu machen.

Zusammentreffen mit Obama

In der Beziehung zum Staat erreichte er durch persönliche Gespräche mit Präsident Medvedev drei große Anliegen: die Einführung eines schulischen Freifaches „Grundlagen orthodoxer Kultur“ vorerst als Pilotprojekt an ausgewählten Schulen (trotz Widerstände aus intellektuell agnostischen Kreisen); den Ausbau der Militärseelsorge und die Zusage, dass die Kirche Teile ihres zu Sowjetzeiten enteigneten Eigentums zurückbekommt. Wie schon unter seinem Vorgänger Patriarch Aleksij II. waren bei fast allen offiziellen Staatsbesuchen im Kreml auch Begegnungen mit Patriarch Kirill eingeplant, darunter eine mit US-Präsident Barack Obama.

Dass er vor Kurzem die russische Olympiamannschaft vor ihrer Abreise nach Vancouver mit seinem Segen verabschiedete, ist nicht verwunderlich: Bei der russischen Bevölkerung genießt das orthodoxe Kirchenoberhaupt große Sympathie. Bei der Umfrage eines staatlichen Meinungsforschungsinstituts im vergangenen Dezember erreichte er in der „Elite-Rangliste“ Platz vier – höher rangierten nur Ministerpräsident Putin, Präsident Medvedev und eine Musikerin.

Auch von katholischer Seite gibt es eine Reihe positiver Reaktionen. So äußerte sich der ehemalige, langjährige katholische Erzbischof in Moskau, Tadeusz Kondrusiewicz, in einem Interview mit der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA): „Er (Patriarch Kirill) ist ein sehr guter Organisator, sehr aktiv, gut vorbereitet, sehr beredt und beliebt, nicht nur in Russland, sondern weltweit bekannt, eine echte Führungspersönlichkeit.“ Auch hätten sich die Beziehungen zur katholischen Kirche stark entwickelt, in theologischen Fragen gäbe es fast vollständig Übereinstimmung mit Papst Benedikt XVI.

In der jüngsten Ausgabe des deutschsprachigen L’Osservatore Romano (Nr. 5 von 5. 2. 2010) wird die neue Publikation des Moskauer Patriarchats „Die geistliche Heimat Europas“ mit Predigten und Ansprachen von Papst Benedikt XVI. in italienischer und russischer Sprache vorgestellt.

Problem der unierten Ostkirchen

Im Vorwort beklagt Metropolit Hilarion den militanten Säkularismus, der auf der Ebene der europäischen Union eine strikte Trennung der Kirchen vom Staat und damit eine Verbannung der Religion aus dem gesellschaftlichen Raum fordert. In der Forderung, den Wert der Kirchen und Religionen und ihren unverzichtbaren Beitrag zum Prozess der Europäischen Integration anzuerkennen, sieht die russische Orthodoxie in der römisch-katholischen Kirche einen wichtigen Bündnispartner.

Was ein mögliches Treffen der beiden Kirchenoberhäupter betrifft, herrscht aber nach wie vor große Zurückhaltung, denn die eigentlichen Probleme zwischen den beiden großen Kirchen sind nach Ansicht der Russen noch nicht befriedigend gelöst: die Frage der mit Rom unierten katholischen Ostkirchen und ihr missionarisches Wirken (besonders in der Ukraine) und die des Proselythismus, der gezielten Abwerbung von Gläubigen.

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