Führung und Moral

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Amerikas Causa Prima ist auch ein Test für die Vertrauenswürdigkeit der USA als Führungsmacht.

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Amerikas Causa Prima ist auch ein Test für die Vertrauenswürdigkeit der USA als Führungsmacht.

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Die Clinton-Hatz geht weiter. Angeknackst ist längst auch das Präsidentenamt - und einiges mehr. Denn die Führungsschicht der USA hat in der Innenpolitik soviel Egoismus und politische Kurzsichtigkeit an den Tag gelegt, daß man sich fragen muß, ob sich Amerikas Eliten in ihrer internationalen Rolle weniger egoistisch und kurzsichtig verhalten. Die eine Hälfte des politischen Establishments hat der Welt ein vom Haß verzerrtes Gesicht gezeigt.

Nur im Mief eines lang schwelenden Hasses ist eine solche Intrige möglich: Erst die Frage nach Bill Clintons außerehelicher Beziehung, von der klar war, daß er sie mit "nein" beantworten mußte, dann der Zwang, aufs simple Nein das Nein unter Eid zu setzen (jetzt konnte er nicht mehr zurück), dann die Anklage wegen des Meineides, der vielleicht gar keiner war, weil sich der Jurist Clinton genügend unklar auszudrücken wußte, und schließlich eine Schmutzkübelkampagne, wie die USA sie schon lang nicht gesehen haben. Nicht nur der Präsident bietet ein trauriges Bild, sondern auch die politische Oligarchie der USA. Oder zumindest jene Hälfte, der es nichts ausmacht, mit der Person das Amt des angeblich mächtigsten Mannes der Welt zu demontieren, um den politischen Gegner zu treffen.

Woher dieser Fanatismus? Wird da wirklich nur, wie manche meinen, Restwärme von der Watergate-Erniedrigung Präsident Nixons und der Republikaner abgeführt? Oder ist er doch jüngeren Datums? Haben ihn sich Bill und vor allem Hillary Clinton etwa zugezogen, als sie eine öffentliche Sozialversicherung einführen wollten und damit an Amerikas Heiligstes rührten, nämlich die Unternehmensgewinne? Notabene der gewinnträchtigen Versicherungsbranche? Schließlich kostet Kranksein die Amerikaner um rund fünf Prozent des Bruttosozialprodukts mehr, als in Europa die Länder mit den teuersten Sozialversicherungssystemen dafür ausgeben. Die Vermutung, die Clinton-Hatz könnte auch als Warnung für künftige Präsidenten zu verstehen sein, dieses Tabu zu berühren, enthält vielleicht mehr als nur ein Körnchen Wahrheit.

Die virulentere Frage aber lautet: Wie weit kann die Welt ihrer einzigen Führungsmacht noch trauen? Kann ihr nach allem, was sie in letzter Zeit zeigte, die Welt noch abnehmen, daß sie andere Interessen als die eigenen im Sinne hat, andere als die eigenen überhaupt noch zur Kenntnis nimmt? Amerikaner nehmen im Weltwährungsfonds (IWF), in der Weltbank, in der World Trade Organisation (WTO, einst Gatt), in der G7, aber auch in der UNO, der sie ihre Beiträge schuldig bleiben, Spitzenpositionen ein. Die USA sind überall, wo für die Welt wichtige Entscheidungen getroffen werden, ganz vorn dabei. Wie rüde sie dabei ihre Interessen durchdrücken, dafür gibt es Beispiele aus letzter Zeit.

Daß Richard Butler, der oberste Waffenstillstandsinspektor der UNO im Irak, im Zusammenhang mit Spionage für die CIA kräftig angepatzt, aber noch immer nicht abgelöst wurde, bedeutet einen gewaltigen Image-Schaden für die Vereinten Nationen, vor allem in der Dritten Welt. Die Spionagetätigeit amerikanischer UNO-Beobachter war auch ein Vertrauensbruch gegenüber den Verbündeten in Europa. Aber was ist das gegen die planmäßige Instrumentalisierung internationaler Organisationen für amerikanische Interessen?

Klartext darüber sprach dieser Tage bei einem Besuch in Wien ein gewiß unverdächtiger Zeuge, nämlich der neoliberale Harvard-Professor und Leiter des Harvard-Instituts für Internationale Entwicklung, Jeffrey Sachs, der die Regierungen von Rußland, Polen und Bolivien berät. Er wirft dem IWF vor, durch eine "schlicht fahrlässige" Währungspolitik, deren Baumeister "Brasiliens Regierung, der IWF und die US-Wirtschaftsbehörden" gewesen seien, Brasilien und ganz Lateinamerika ernormen Schaden zugefügt und sich "wieder einmal zu Wall Street-fixiert" verhalten zu haben: "Klar, wenn zum Beispiel eine US-Bank in Brasilien investiert, ist sie bis zur Rückzahlung an einem festen Wechselkurs interessiert", wen kümmere schon, was danach passiert (Sachs in einem "Standard"-Gastkommentar). Als die Katastrophe nicht mehr zu vermeiden war, so erklärte Sachs dann bei seinem Vortrag in Wien, gab der IWF Brasilien einen letzten 41-Milliarden-Dollar-Kredit, mit dem die Forderungen der ausländischen Banken befriedigt wurden. Zurückzahlt werde er auf Kosten der brasilianischen Steuerzahler und der Armen.

Großmächte haben stets "Ordnungspolitik" betrieben und sich dabei selten uneigennützig verhalten. Doch noch nie war Ordnungspolitik so sehr wie heute Wirtschaftspolitik, noch nie schlugen die Konsequenzen von Fehlentscheidungen und Entscheidungen in eigener Sache weltweit so durch, und noch nie hat eine Großmacht so unangefochten dominiert wie die USA heute. Daher müssen die Urteilsfähigkeit und Vertrauenswürdigkeit ihrer Führungsschicht heute besonders kritisch beurteilt werden. Daher ist alles kritisch zu betrachten, wovon die USA erklären, es sei gut für die Welt. Daher ist immer die klassische Frage zu stellen: Cui bono? (Wem nützt es?) Auch beim Niederreißen aller Handelsschranken, vulgo Globalisierung, wird man zumindest fragen dürfen, überprüfen müssen, ob sie für alle Volkswirtschaften gleich nützlich oder nicht doch in erster Linie eine Veranstaltung zum Nutzen sehr weniger Länder sei, unter denen sich die USA ganz gewiß befinden. Auch die jüngste Ankündigung des möglichen nächsten US-Präsidenten, Al Gore, in Davos, die USA würden in der nächsten WTO-Runde die Abschaffung ausnahmslos aller europäischen Agrarsubventionen fordern, ist in diesem Lichte zu beurteilen: Amerikas Farmer würden profitieren, Europas Bauern noch mehr dezimiert.

Die USA bieten das Bild eines Landes, in dem erst die Zerrissenheit des politischen Establishments das Oval Office zum "Oral Office" degradierte, denn Sex der nicht ganz korrekten Sorte hat es im Weißen Haus bekanntlich fast immer gegeben. Im Impeachment-Verfahren gipfelt der Egoismus einer Oberschicht, der in der Ära Reagan seinen Durchbruch erlebte und heute das Denken in den Unternehmen bestimmt - und die Lehre an den meisten Wirtschaftsuniversitäten der westlichen Welt.

Dabei dürfen wir nie vergessen, daß Amerika nicht immer so war und gewiß nicht immer so bleiben wird. Es ist ein Land der Schwärmer wie der Realisten, der sozial verantwortlich Denkenden wie der Egoisten, und es ist auch heute in mancher Hinsicht vorbildhaft, siehe Gores Ankündigung eines Schuldenerlasses für die Dritte Welt. Antiamerikanismus ist genauso falsch wie Amerika-Hörigkeit. Derzeit aber ist Vorsicht angesagt gegenüber vielem, was Amerika mit der Versicherung, es sei gut für sie, der Welt aufs Auge drücken will.

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