Für die Zukunft gut gerüstet

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Intendant Thomas Angyan über das 200-Jahr-Jubiläum der Gesellschaft der Musikfreunde in Wien, junges Publikum und neue Formen der Vermittlung.

Mit Händels "Timotheus oder Die Gewalt der Musik“ eröffnete die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien ihre Tätigkeit. Anfangs lag der Schwerpunkt auf dem Unterricht. 1909 ging das Konservatorium der Gesellschaft in die heutige Universität für Musik und darstellende Kunst über. Seitdem zählt die Gesellschaft zu den weltweit bedeutendsten Konzertveranstaltern, bei der längst die Jugendarbeit beinahe die Hälfte der Tätigkeit ausmacht.

Die Furche: Herr Angyan, wie wichtig sind Jubiläen für Sie als Veranstalter? Man hat fast das Gefühl, ohne sie ist ein Programm nicht mehr möglich. Täuscht dieser Eindruck?

Thomas Angyan: Im Allgemeinen täuscht der Eindruck nicht. Ich bin nur eingeschränkt ein Freund von Jubiläen. An einem Wagner- und Verdi-Jahr wird man nicht vorbeigehen können - man konnte als Konzertveranstalter auch am Schubert- und Brahms-Jahr nicht vorbeigehen. Dass heuer Debussy ein Jubiläum hat, wird schon nicht mehr so wahrgenommen wie in Frankreich. Jubiläen kann man ergänzend zu seinem Programm nehmen. Wenn man damit die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien anspricht, so sind 200 Jahre schon ein besonderes Ereignis, im Speziellen bei einer Konzertinstitution, die zu einer Zeit gegründet wurde, in der man Konzerte in der heutigen Form nicht gekannt hat.

Die Furche: Wie begehen Sie dieses Jubiläum?

Angyan: Die Gesellschaft besinnt sich auf die Zeit ihrer Gründung zurück. Sie erfolgte mit einem Benefizkonzert zugunsten der Witwen und Waisen der gefallenen Soldaten der Schlacht bei Aspern gegen Napoleon. Man muss sich das vorstellen: ein Benefizkonzert in der Spanischen Hofreitschule mit ungefähr 450 Mitwirkenden. Die Gesellschaft - auch das sollte man sich vergegenwärtigen - entstand außerdem in einer Zeit, in welcher ein Zusammenschluss von Bürgern als gefährlich angesehen wurde. Schließlich war die Französische Revolution gerade vorbei, und der Kaiser hatte kein Interesse, dass diese Entwicklung auf Österreich übergreift. Wäre allerdings der Bruder des Kaisers, Erzherzog Rudolph, nicht Protektor gewesen, wäre es nie zur Gründung der Gesellschaft der Musikfreunde gekommen. Wir feiern das Jubiläum mit den Schwerpunkten unserer bisherigen Tätigkeit, werden daher Werke aufführen, die von der Gesellschaft uraufgeführt und ihr gewidmet wurden und mit Werken, die bei uns im Archiv - eine der weltweit wichtigsten Sammlungen - liegen. Nur eines von vielen Beispielen: Schubert hat seine große C-Dur-Symphonie der Gesellschaft gewidmet und gehörte dem ersten Direktorium an.

Die Furche: Jubiläen sollen weiterwirken. Gibt es dazu konkrete Überlegungen?

Angyan: Jubiläen dürfen sich natürlich nicht im Rückblick erschöpfen. Man muss auch nach vorne schauen. Mit dem Bau der Neuen Säle haben wir in den letzten zehn Jahren einen guten Schritt in diese Richtung gemacht. Wir setzen weiterhin auf das große traditionelle Repertoire im Großen Saal. Dafür gibt es ein großes, interessiertes, im Übrigen nicht kleiner sondern größer werdendes Publikum. Man muss nicht etwas zwanghaft verändern, was funktioniert. Mit den Neuen Sälen wollen wir ein anderes Publikum, das möglicherweise einen anderen Zugang zur Musik hat, durch entsprechend anders präsentierte Musik zusätzlich gewinnen.

Die Furche: Sehen Sie generell Tendenzen für eine Veränderung des Publikums?

Angyan: Wie sich die Musikszene in den nächsten Jahrzehnten entwickeln wird, lässt sich nicht vorhersagen. Aus meiner Beobachtung kann ich sagen, dass sich das Verhalten des Publikums nicht, wie manche meinen, in fünf Jahren verändern wird. Geändert hat sich das Konsumverhalten in der CD-Industrie: Es gibt Internet-Foren, aber auch die sehr erfolgreichen Opernübertragungen in Kinosälen. Da gibt es freilich ein Gemeinschaftserlebnis, und das - meine Überzeugung - ist das Entscheidende. An mediale Verwertung von Konzerten im Internet, aus dem sich jemand ein Konzert herunterlädt und alleine zu Hause im Computer anschaut, glaube ich nur beschränkt.

Die Furche: Seit 1988, damit ein Achtel der Geschichte der Gesellschaft der Musikfreunde, sind Sie Intendant und damit Hausherr des Wiener Musikvereins. Was waren die wichtigsten Veränderungen, die Sie mitgestaltet haben?

Angyan: Vor allem die Einführung von Kinder- und Jugendprogrammen, die es zuvor in diesem Haus nicht, jedenfalls nicht in dieser Form, gegeben hat. Mittlerweile machen sie vierzig Prozent unseres gesamten Programmangebots aus: 40.000 Kinder besuchen jährlich 180 Veranstaltungen. Dabei handelt es sich nicht nur um Proben, sondern es gibt auch Gelegenheit mit den Künstlern zu diskutieren. Dieses Angebot wird nicht nur von Wienern genutzt, es kommen genauso Kinder und Jugendliche extra angereist aus Niederösterreich, Burgenland, sogar Salzburg. Eine weitere wichtige Veränderung waren die Neuen Säle und damit verbunden eine erweiterte Programmausrichtung. In den letzten Jahren wurde das Haus total saniert und restauriert, die neue Orgel für den Goldenen Saal ist in diesem Zusammenhang gewissermaßen der "Tupfen auf dem I“.

Die Furche: Welche grundsätzlichen Perspektiven sehen Sie, nicht zuletzt aus Ihrer langjährigen Erfahrung, für Ihre Branche für die Zukunft?

Angyan: Die Gesellschaft der Musikfreunde hatte zu Beginn nicht die Konzerte als Schwerpunkt, sondern die Lehrtätigkeit. Bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurden jährlich kaum mehr als 15 Konzerte veranstaltet. Wir versuchen jetzt in den Neuen Sälen durch die Zusammenarbeit mit der Musikuniversität und dem Konservatorium die Studierenden zu einem Teil wieder in den Musikverein zurückzubringen. Kein Thema, das kann ich definitiv sagen, wird die Alterspyramide sein. Damit wurde ich schon bei meinem Antritt als Intendant konfrontiert. Wenn man heute in die ersten zwölf Reihen des Großen Saales schaut, wird man keine 15-Jährigen finden, auch keine 25-Jährigen, die können sich die teuren Karten nicht leisten. Die gehen spontan auf billige Plätze, auf den Stehplatz, der nie mehr als sechs Euro kostet. Wir werden nie alle, die in ihrer Jugend im Musikverein waren, auch für später gewinnen können, aber ein Teil kommt wieder, wenn er beruflich und privat arriviert ist, bringt dann auch die Kinder in die Kinder- und Jugendprogramme, das lässt sich beweisen. Mittelfristig bin ich in Österreich - das betone ich ausdrücklich - sehr optimistisch, dass das Konzertleben in der bisherigen Form weitergehen wird. Es gibt freilich Künstler, die vormachen, wie man das Publikum noch viel mehr an sich binden kann. Man gehe nur einmal in ein Konzert des Concentus Musicus. In fast jedem wird sich Nikolaus Harnoncourt umdrehen und mit den Worten "Ich kann’s nicht lassen, ich muss Ihnen was erzählen“ kurz zum Programm sprechen. Das Publikum fühlt sich wie eine große Familie, mit den Künstlern in einem Boot, die Identifikation ist gigantisch, der Erfolg umwerfend. Das könnte beispielhaft für die Zukunft sein.

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