Für ein neues Konzil

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Damals war ich begeistert: Es war diese Begeisterung, die mich zur katholischen Kirche brachte. Das weltfromme Konzil von 1962 ff. war nötig. Jetzt brauchen wir schlicht ein frommes Konzil.

I. Was blieb vom II. Vatikanum? Meine Antwort lautet: ein neues Konzil ist nötig. In den vierzig Jahren seit 1962 hat sich die Welt umstürzend verändert. Damals ging es darum, die Kirche zur Welt zu öffnen. Das ist gelungen, und zwar allzu gut. Heute geht es darum, einer hilflos, ratlos, sinnlos gewordenen Welt die Kirche als Fels anzubieten, der ihr Halt und Hoffnung gibt.

Damals hatte die Kirche Nachholbedarf. In der Welt schien es Errungenschaften zu geben, die von der Kirche nachzuholen waren. Heute ist es umgekehrt. Die Welt ist so voll Misserfolg, dass sie Nachholbedarf hat, dass sie Sehnsucht hat nach Glauben, Hoffnung. Liebe. Die Sehnsucht ist da, aber sie läuft an der Kirche vorbei. Das neue Konzil muss ein Konzil der Sehnsucht sein, keines des Nachlaufens nach der Welt.

II.

Heute glaubt eigentlich kein Mensch mehr an den Fortschritt. Damals gelangte der Fortschritt sogar in den Titel einer Enzyklika "Populorum progressio", ,,Fortschritt der Völker, 1967, von Papst Paul VI.

Fort-Schritt ist ein verflixt zweideutiges Wort. Wovor laufen wir fort? Wovon sind die Völker fort-geschritten? War es, ist es ein Fort-Schritt fort von Gott?

Man muss sich getrauen, solche Fragen zu stellen. Die Gewissheit, dass "fortschrittlich" auf jeden Fall gut ist, "konservativ" auf jeden Fall schlecht, ist Torheit.

Lese ich heute Konzilspapiere oder die Enzyklika "Populorum progressio" - wird mir komisch zumute. Damals war ich so begeistert; es war die Begeisterung der konziliaren Dynamik, die mich zur katholischen Kirche brachte (ich war evangelisch).

Ich bin noch immer begeistert. Zugleich aber denke ich mir, wenn ich diese alten Texte lese: welch rührende Naivität! Soviel Glauben an den Fortschritt, wie in diesen kirchlichen Texten mitschwingt - soviel Fortschrittlichkeit bringen heute nicht einmal die Allerfortschrittlichsten auf. 40 Jahre vorbei, und es ist Lektüre aus einer vergangenen Epoche.

Da waren Theologen am Werk, die den ,,fortschrittlichen Kräften" in der Welt - wo sind sie heute, die "fortschrittlichen Kräfte"? - zurufen: Ja, wir wissen, wie weit die Kirche hinten ist, aber seht, wie wir uns bemühen, euch nachzukommen, seht: jetzt ist die Kirche genau so "fortschrittlich" wie ihr.

Kirche, die der Welt folgt. Statt dass die Welt der Kirche folgt. Wir brauchen also ein neues Konzil.

III.

Das weltfromme Konzil von 1962 ff. war nötig. Jetzt brauchen wir ein schlicht frommes Konzil, das der irregelaufenen Welt die Richtung weist. In den alten Konzilsdokumenten steht soviel, was die "Welt" damals sagte und die Kirche nun gleichfalls sagt. Gut so. Jetzt aber geht es nicht um das, was die Welt sagt - und wovon sich soviel als verkehrt erwiesen hat - , jetzt geht es um das, was die Kirche sagt. Jetzt geht es um das, was nur die Kirche sagen kann. Und was eben drum befreiend und rettend ist.

Es geht um die innerste Zuständigkeit der Kirche als Leib Christi.

Mit einer wunderbar einfachen Geste hat einst Papst Johannes XXIII. den Journalisten geantwortet, die fragten, was das II. Vatikanum soll. Er ging zum Fenster und öffnete es. Jetzt ist das Fenster offen. Die Zukunft der Welt kann herein. Jetzt muss sich, ganz andersherum, die Kirche weit aus dem Fenster lehnen, mitten in der Zugluft der Welt, und das Ihre sagen.

Draußen in der Welt ist soviel Sehnsucht und soviel Ungenügen an den arroganten Führern dieser Welt. Sie sind oberg'scheit, und ihre Obergescheitheit ist Dummheit. Die Krise ist die Chance. Jetzt muss die Kirche reden: das ist der Sinn des neuen Konzils.

"Denn wir wissen, dass alle Kreatur seufzt und in Geburtswehen liegt bis zum heutigen Tag" (Paulus an die Römer 8,22).

IV.

Das neue, fromme Konzil: aber natürlich bin ich auch für (fast) alles, was "fortschrittliche" Forderungen sind: Frauen sollen Priester sein; mehr Demokratie; noch viel mehr soziales Engagement daheim und auf dem Globus. Das sind alles wichtige Nebensachen. Die Seufzer der Kreatur werden sie nicht beheben, dazu sind sie zu altbacken. Das hebt niemanden vom Stockerl, das wird alles sowieso kommen. Die riesengroße Sehnsucht der Welt nach Halt, Führung und Heilung: das muss Hauptthema des neuen Konzils sein.

Frau und Kirche: die Frau ist Inbegriff von Kirche: Maria ist Inbegriff von Kirche. Maria als Ziel aller Frauenbewegung. Mut zu einer sexuellen Theologie, die von den drei Buchstaben SEX hinauf führt zur leiblichen und geistigen Fülle des Sexus.

Demokratie und Kirche: sehr viel weiter als die mangelhafte politisch-parlamentarische Demokratie reicht die ekklesía kyriaké, die von Gott einberufene Volksversammlung namens Kirche. Gott ist kein Demokrat: das ist der Grund für die Möglichkeit von Demokratie unterhalb seiner.

Soziales und Kirche: Christus fragt nicht nach einem theologischen Pflichtenheft, er fragt nach Speisung und Behausung der Ärmsten. Das Soziale ist der primäre Grund von Kirche und der alleinige Weg zum Gottesreich.

Die Zeit ist reif für ein neues Konzil.

V.

Beim Durchlesen obigen Textes merke ich, dass ziemlich viel Fragezeichen drin sind. Das ist sonst nicht meine Art. Ich bin für Hauptsätze mit einem Punkt dahinter. Aber hier geht's um ein Geheimnis (mysterium fidei). Es sind Fragezeichen, die sich - ungeschickt und unvollständig - auf das Geheimnis des Glaubens beziehen. Es sind keine Fragezeichen der Kritik.

Kirchenkritiker gibt's genug, innerhalb und außerhalb der Kirche. Ich marschier nicht mit im Marschblock mit dem Transparent "Ecrasez l'infame" (Motto Voltaires; "Zertretet die Niederträchtige", nämlich die Kirche). Ich bin kein Kirchenkritiker. Mir geht es um Anhänglichkeit und Aufbruch.

Der Autor ist Publizist und lebt in Wien.

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