Für ein partielles Kopftuchverbot

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KOPFTUCHDEBATTE: Richard Potz und Brigitte Schinkele sprachen sich letzte Woche in der FURCHE gegen ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen aus. Eine Schuldirektorin kommt zu anderen Schlüssen.

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KOPFTUCHDEBATTE: Richard Potz und Brigitte Schinkele sprachen sich letzte Woche in der FURCHE gegen ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen aus. Eine Schuldirektorin kommt zu anderen Schlüssen.

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Der Religionsrechtler Richard Potz hat in der letztwöchigen FURCHE das Verhältnis von Staat und Religion als "System kooperierender Neutralität" bezeichnet. Er folgert daraus u.a. eine grundsätzliche Zulässigkeit des islamischen Kopftuches für Lehrerinnen. Im Weiteren spricht er von Toleranz, wozu Schule einen wichtigen Beitrag leisten muss. Ich stimme seinen Ausführungen im Grundsätzlichen zu, ich darf aus meiner täglichen Praxis einen Beitrag zur Debatte leisten.

Als Direktorin einer NMS im Stadtzentrum von Linz habe ich einen pragmatischen Blick auf das Thema. Zusammen mit den Kolleg(inn)en bemühen wir uns, Kinder zu stärken, egal welcher Herkunft. Persönlichkeitsbildung ist Pflichtgegenstand. Qualifizierte Bubenund Mädchenarbeit, Gewaltprävention, Förderung von Selbstbewusstsein als Bub/Mann, als Mädchen werden in den Klassen gemacht, auch in Form von Workshops mit ausgebildeten Trainern. Für alle Kinder gibt es Theater-und Filmprojekte, interreligiöse Feiern etc.

Wir tun sehr viel, um unseren Kindern Chancen in unserer Gesellschaft zu eröffnen. Wir stoßen aber an Grenzen. Als Beispiel nenne ich das Probelm des zunehmenden Konformitätsdrucks bei bestimmten ethnischen Gruppen unserer Schüler. Verhaltensweisen und Einstellungen verändern sich besorgniserregend.

Hier spielen international vernetzte Communitys und ihre radikal kulturkritischen Botschaften (via Handy) eine große Rolle. Die Kinder leben in Parallelwelten: einerseits Schule, andererseits in der Freizeit unbegleitet im Netz.

Dieses allgemeine Problem ist noch dramatischer in vielen Migrantenfamilien. Stärkung der digitalen Kompetenzen, das Lernen kritischer Reflexionsfähigkeit und auch die Einbindung der Eltern ist notwendig, um diesen Gefahren wirksam zu begegnen. Deutlichstes Symbol für den kulturellen Zusammenprall ist das Kopftuch. Es ist ein mehrdeutiges Zeichen -je nach kulturellem Hintergrund: Ein religiöses Zeichen, ein politisches Statement, Zeichen der Emanzipation oder Zeichen der Unterdrückung und der Ungleichheit der Geschlechter. Das erfordert differenziertes Denken, Toleranz, aber auch Nachdenken über deren Grenzen und entsprechendes Handeln.

Beispiele aus dem Alltag

Ich habe in der Schule oft Auseinandersetzungen mit Schülern, die ihre Schwestern/Mitschülerinnen unter Druck setzen, ein Kopftuch zu tragen (weil sonst haram =sündig).

Aus vielen Gesprächen mit Vätern weiß ich um die Angst um ihre Töchter. Sie meinen, ihre Töchter schützen zu müssen durch die Kopfbedeckung -wie in ihren Herkunftskulturen.

Ich kenne die Not der Mädchen, die zu mir kommen und mich bitten, das Kopftuch zu verbieten.

Durch vertrauensbildende Gespräche wollen wir Eltern gewinnen, ihren Töchtern zu erlauben, gemeinsam mit anderen Mädchen nach dem Turnunterricht zu duschen oder in Badekleidung schwimmen zu gehen. Nicht immer gelingt es.

Mädchen haben das Bedürfnis, es ihren Vätern/Müttern recht zu machen, in der Pubertät wollen sie den Burschen imponieren. Viele isla mische Burschen wünschen und bewundern Mädchen mit Kopftuch.

Begabte, fleißige Mädchen haben aufgrund des Kopftuches weniger Chancen auf dem Arbeitsmarkt.

Burschen hingegen werden abgehängt, finden keinen Job. "Mann sein" alleine ohne Leistungsbereitschaft führt in Sackgassen.

Fazit: Schülerinnen sollte das Kopftuch in Schulgebäuden, zumindest bis zur Religionsmündigkeit bzw. Volljährigkeit, verboten werden. Eine klare gesetzliche Regelung würde die Integrationsarbeit erleichtern. Wir täten uns dann viel leichter, den Burschen beizubringen, dass Mädchen gleich viel wert sind wie Burschen und nicht kategorisiert werden dürfen in "Anständige" und in "Huren = Frauen ohne Kopftuch". Es wäre leichter, den Burschen zu vermitteln, dass sie nicht über den Mädchen stehen und sich genauso bemühen müssen, um bei uns gut leben zu können. Wir möchten die Väter überzeugen, dass ihre Töchter bei uns gut aufgehoben sind, wir auf sie aufpassen - und die Mädchen beim Turnen und Schwimmen, bei Schulausflügen etc. nicht in Gefahr sind, die Ehre der Familie zu verletzen. (Archaische Ehrbegriffe der Eltern, die im konservativen Islam aufgewachsen sind, sind zu bearbeiten -das überfordert uns als Schule.)

Chance für Buben und Mädchen

Die Entscheidung "Kopftuch -ja oder nein?" bringt für Schüler und Schülerinnen Probleme, erfordert viel Zeit und Beratung. Diese Energie fehlt uns beim Spracherwerb und beim Heranführen an die Leistungsansprüche der Schule. Klar ist, dass Werte nicht vermittelt werden können durch Gebote oder Verbote, sondern nur durch Einsicht. Aber das gilt ja gerade auch für das mehr oder weniger freiwillige und oft auch erzwungene Tragen eines kulturellen/religiösen Symbols. Es greift einfach zu kurz, hier nur von einem religiösen Wert zu sprechen und sich dadurch der Diskussion zu entziehen. Ich frage mich, ob nicht Lehrerinnen mit Kopftuch derzeit ein falsches Signal sind, da diese ja auch als Vorbilder für die Schüler(innen) stehen.

Ausdrücklich unterstreiche ich aber, dass mir grundsätzlich das Selbstbestimmungsrecht von erwachsenen Frauen wichtig ist. Ich habe mich mein Leben lang vor allem für die Würde und Gleichberechtigung von Mädchen und Frauen eingesetzt. Ich bin aber überzeugt, dass um der Sache willen Ausnahmen gemacht werden müssen, um Integration auch praktisch möglich zu machen und nicht nur dem (unerlässlichen!) akademischen Diskurs zu überlassen. Ich vertraue auf die Einsicht der politischen Parteien, die sich für Geschlechtergerechtigkeit stark machen, dass ein partielles Verbot des Kopftuches eine Chance für Buben und Mädchen ist, vergleichbar mit der Quotenregelung, die vorübergehend notwendig ist, um die Teilhabe der Frauen auf allen gesellschaftlichen Ebenen zu gewährleisten.

Die Befürchtung, ein partielles Kopftuchverbot könnte der Hebel für strenge Laizisten sein, das Kreuzverbot durchzusetzen, halte ich für kleinmütig. Wer die beiden Symbole in ihrer Bedeutung für unseren Alltag und ihre Wirkmacht für unsere Kinder in einen Topf wirft, geht an der Schulrealität vorbei.

| Die Autorin ist Direktorin der NMS 3 - Stelzhamerschule in Linz |

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