Fußball-WM: Lob der Sturheit

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„Die Zeit“ schwelgt in Begeisterung über die Leistungen deutscher Fußballer bei der WM in Südafrika. Das Genie ortet sie bei Nationaltrainer Jogi Löw.

Nichts ist dran an der alten These: Wie die große Politik, so das Spiel der Nationalmannschaft. Wären Jogis Jungs so blass und lustlos wie die schwarz-gelbe Koalition, dann wären sie am Kap unter die Räder gekommen.

Eine Führungsfigur entscheidet und erntet dafür Kritik von allen Seiten. Den besten Stürmer der Liga, Kevin Kurányi, einfach zu Hause gelassen, den Bremer Torsten Frings vom Hof gejagt. Weil sie nicht ins Konzept passten, in sein Konzept. Jogi Löw wollte junge Leute, die den Fußball nicht verwalten, sondern ihn spielen. Er hat sie sich ausgesucht: Mesut Özil, Thomas Müller, Sami Khedira – Speed-Fußballer, wie man sie lange nicht gesehen hat. Dazu hat der Trainer die alten Beziehungen aufleben lassen, also Miroslav Klose und Lukas Podolski wieder mit auf den Platz gebeten. In ihren Vereinen lediglich als Auslaufware etikettiert, entwickelten sie unter den liebenden Augen von Löw jene Eleganz, die sie schon im Ensemble des Sommermärchens 2006 präsentierten. Ein Lob seiner Sturheit!

Als Jürgen Klinsmann 2004 seinem Spezi Joachim Löw das Co-Trainer-Amt antrug, absolvierte der gerade einen Waldspaziergang. Mit der Muße war es vorbei. Löw entwickelte seine Vision von einem Angriffsfußball nach seinem Geschmack, den damals nur ein kongenialer Sturkopf wie Jürgen Klinsmann den eher rückpassfreudigen Männern beim DFB aufzwingen konnte.

Demut, Loyalität, Zuverlässigkeit

Ein Frontmann war Löw damals nicht, und er ist es bis heute nicht geworden. Aber niemand sollte sich über seine Durchsetzungsfähigkeit täuschen. Der Bundestrainer ist ein zutiefst konservativer Mensch, der branchenfernen Werten etwas abgewinnen kann.

Während andere in den WM-Arenen gern ihren Marktwert optimieren, orientiert sich Löw an Begriffen wie Demut, Loyalität und Zuverlässigkeit. Angriffe gegen enge Mitstreiter pariert er ohne Kompromisse, auf seine schützende Hand ist Verlass. Nie war der Trainer machtvoller: Eine weitere Zusammenarbeit mit dem DFB gibt es nur zu seinen Bedingungen.

Alte Schule mit modernen Methoden

Fußball-Lehrer, so lässt er sich gern nennen. Die Viererkette kann er erklären wie kein Zweiter. Selbst Klinsmann, der Löw-Erfinder, hat sie damals endlich verstanden. Die Spieler aus der Generation Facebook lassen die Tastaturen ruhen, wenn er auf der Taktiktafel zum Thema „Konterspiel“ extemporiert. Der Bundestrainer, ein Mann alter Schule? Gewiss, aber mit den Methoden von heute. Niemand im internationalen Fußball weiß dies so gut zu kombinieren wie der Mann aus dem Breisgau. Natürlich ist das alles nur Fußball, die Begeisterung auf den Straßen und Plätzen, das Glück in den Wohnzimmern und Eckkneipen – sie sind nur ein flüchtiger Gast. Andererseits liegen sich auf den Fan-Festen Menschen unterschiedlicher Hautfarbe und Nationalität in den Armen, sie staunen über die fröhliche Ausgelassenheit von Löws Männern unterschiedlicher Hautfarbe und Herkunft.

Löw als der Vater der Völkerverständigung? Unsinn! Die Methode Löw könnte jedoch ansteckend sein: In der Vorbereitung ist er leistungsorientiert pedantisch. Intern kommuniziert er gern, lässt sich beraten. Wenn das getan ist, entlässt er seine Leute auf das Feld. Da haben sie dann alle Freiheiten – und tun trotzdem, was er ihnen vorgegeben hat. Sollte man die alte These unter dem Eindruck der Ereignisse in Berlin und Südafrika nicht besser umdrehen? Wie das schöne Spiel der Nationalmannschaft – so könnte gern auch die große Politik sein.

* Aus: Die Zeit, 1. Juli 2010

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