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Porträts von Schoa-Überlebenden im Wiener "Westlicht".

Ein Porträt ist die künstlerische Wiedergabe einer Person, so die Kurzdefinition. Der Blickpunkt liegt dabei eindeutig auf dem Gesicht und seinen Ausdrucksmöglichkeiten. Angepeilt wird die größtmögliche Ähnlichkeit der Persönlichkeit und sogar der Stimmung der jeweiligen Person. Daher sind Porträts selten Schnappschüsse, sondern aufwändige Inszenierungen. Und die Porträtierten blicken oftmals direkt in Richtung der Betrachter.

Lange Zeit war diese Form der Reproduktion den Mächtigen und Reichen vorbehalten. Auch wenn wir nicht genau wissen, wer beim angeblich ältesten erhaltenen Porträt der Menschheitsgeschichte aus der Höhle in Vilhonneur in der Nähe von Angoulême in Frankreich dargestellt wurde, bei den ägyptischen und römischen Grabporträts ist die Sachlage eindeutig. Einen Umbruch stellt Leonardos Mona Lisa dar: Erstmals beanspruchte das Antlitz einer Unbekannten die gesamte Bildfläche.

Was ist das Thema des Porträts? Der Philosoph Jean-Luc Nancy meinte: Das Porträt ist nichts anderes als das Thema selbst, absolut. Das Thema findet im Porträt seine größte Wahrheit und Aussagekraft. Es lässt sich zwischen dem Dargestellten und einem "unterschobenen" Thema kein Keil schieben, kein künstlicher Abstand konstruieren. Wesentlich stärker als anhand der Malerei lässt sich dieser Umstand in der Fotografie nachvollziehen, wie die Ausstellung von Porträtaufnahmen von Herlinde Koelbl im "Westlicht" zeigt. Wenn die Betrachter dort auf den fragend-durchbohrenden Rück-Blick von Grete Weil treffen, dann lautet das einzige Thema: Grete Weil. In der in Runzeln gezogenen Stirn verdichten sich die Erlebnisse einer achtzigjährigen Geschichte, ein Leben als Schriftstellerin, vor den Nazis nach Amsterdam geflüchtet, dort eine Existenz unter ständiger Todesangst, dennoch bereits 1947 wieder nach Deutschland zurückgekehrt, der Liebe zur deutschen Sprache ausgeliefert; in Gegenwehr zu Hitlers Suggestion, sie würde nicht in dieses Land gehören; weil sie, trotz aller Ungeheuerlichkeiten, die sie erlebt hat, eine "schlechte Hasserin" ist, wie sie lakonisch feststellt.

Dieses Porträt ist nur eines aus einer langen Reihe, in denen Herlinde Koelbl jüdische Persönlichkeiten zeigt, die zwischen 1897 und 1929 geboren sind, allesamt sehr spezifische Erinnerungen an die Zeit zwischen 1933 und 1945 haben und nur deshalb bei den Porträtaufnahmen vor etwa 20 Jahren noch am Leben waren, weil sie es in die Emigration geschafft hatten. Autoren und Dirigenten, Kritiker und Physiker, Diplomaten und Unternehmer, Philosophen und Psychologen, Bankiers und Rabbis: die unterschiedlichsten Berufe sind vertreten - zum überwiegenden Teil durch Männer.

Viele der Porträtierten zeigen sich in tiefer Ernsthaftigkeit, gepaart mit jener Nachdenklichkeit, die Intellektuellen zusteht. Und Intellektuelle sind sie allesamt, kein einziger Proletarier, keine einzige Dienstmagd hat die Aufnahme in die Reihe der Aufnahmen geschafft. Liest man die äußerst aufschlussreichen Interviews, die Herlinde Koelbl als Ergänzung zu den Porträtsitzungen geführt hat, legt sich beinahe der Schluss nahe, ihre Intellektualität würde die Dargestellten wesentlich stärker verbinden als ihr Judentum. Und dennoch wird diese kurze Vermutung sofort wieder aufgebrochen, weggewischt durch jenen Wahnsinn, durch jenes Verbrechen, dem man gar keinen Namen geben kann, wie der ebenfalls porträtierte Max Gruenewald feststellt, das alle zu einer unausweichlichen und unaufgebbaren Schicksalsgemeinschaft zusammenschweißt: der Schoa.

Nicht wenige aus der Reihe kennen außer dieser Schicksalsgemeinschaft kaum eine Verbindung zu ihrer jüdischen Herkunft. Der Gottesglaube erscheint ihnen als Erfindung der Literaten oder als interessanter Irrtum des menschlichen Geistes. Für viele war und ist auch gerade die deutsche Kultur jene, in der sie sich eher beheimatet fühlen denn in der jüdischen. Mehr noch, Marcel Reich-Ranicki sieht gerade in der Verbindung von Deutschem und Jüdischem eine Geburtsstunde von Genies, und Gottfried Reinhardt charakterisiert gerade die Juden als die "Herolde des Deutschtums".

Herlinde Koelbl

Jüdische Porträts Westlicht. Schauplatz für Fotografie

Westbahnstraße 40, 1070 Wien

www.westlicht.com

Bis 23. 3. Di, Mi, Fr 14-19, Do 14-21, Sa, So 11-19 Uhr

Katalog: Herlinde Koelbl, Jüdische Porträts. Photographien und Interviews. Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2000, 300 S., € 59,-

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