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Der Fallstrick" von Leon Kane gehört zu den interessantesten Romanen des deutschsprachigen Exils.

Unter den vielen mehr oder weniger autobiografisch gefärbten Romanen über das Leben im Exil, die nie gedruckt worden sind, unter diesen Manuskripten heute noch ein Werk zu finden, das mit Fug und Recht als Entdeckung bezeichnet werden kann, ist ein Kunststück. Ursula Seeber aber ist ein derartiges Kunststück wieder einmal gelungen: "Der Fallstrick" von Leon Kane gehört in die Reihe der interessantesten Romane des deutschsprachigen Exils.

Dabei ist die Handlung nicht besonders spannend, und die Erzählstrategie ist auf den ersten Blick sogar ziemlich konventionell. Ein Ich-Erzähler, der sich gern hinter einer "Wir"-Position verbirgt, reflexive Einschübe eher vermeidet und in einer einfachen Report-Sprache berichtet, ein Erzähler also, der Im Westen nichts Neues aufmerksam gelesen haben könnte, beschreibt den Alltag im französischen Exil; Zeit: Anfang der vierziger Jahre. Auch Leon Kanes Erzähler verzichtet, ähnlich wie der Erzähler Erich Maria Remarques, über weite Strecken auf präzise Zeitangaben.

Denn von der großen Geschichte bekommt er nicht sonderlich viel mit, in dem kleinen Ort, aus dem er die längste Zeit nicht wegkommt. Aber er beobachtet dafür mit Argusaugen, was in dieser winzigen Welt sich zuträgt, und nicht zuletzt, was ihm selber zustößt. Und weil es ihm schwer fällt, zwischen gut und böse, weiß und schwarz klar zu unterscheiden, zeichnet er mit ruhiger Hand ein äußerst farbiges Bild der Atmosphäre jener Jahre.

Große Wörter ausgedient

Helden haben in diesem Bild keinen Platz, nirgends. Aber auch um die großen Wörter macht Leon Kanes Erzähler einen Bogen. Die Frage nach dem "Wozu?", damit erläutert er einmal sein der Nüchternheit verpflichtetes Verfahren, diese Frage, "die wir in unserer Jugend so oft gestellt hatten, hatte sich längst erübrigt". Aus der Sicht der "Ausgestoßenen", der "Zuhälter und Schmuggler", der "Grübler und Nörgler", die dem Erzähler näher sind als die Repräsentanten "der bedeutsamen Gemeinschaft", haben die großen Wörter endgültig ausgedient.

Aus diesem Blickwinkel indessen wird sicht- und hörbar, was unter der Haut der Wörter gewöhnlich gut versteckt bleibt; wie das Ensemble der Vorurteile, die unter der ansässigen Bevölkerung die Runde machen, gegen die Flüchtlinge, gegen die Juden, gegen die Intellektuellen. Die Wortführer der Gemeinde reden allerdings viel lieber darüber, dass einer immerhin von ihnen einzelnen Ausländern neue Papiere besorgt hat: "C'est la France".

Es sind jedoch keineswegs nur die Einheimischen, die sich dauernd ihren Illusionen hingeben. Mehr noch tun dies die Flüchtlinge, die diverse ménages à trois aufgeregter und mit größerer Anteilnahme besprechen als beispielsweise die Verfolgung der Juden. Nur, um die Angst, die Todesangst zu verscheuchen? Der Erzähler erwägt einmal dies, einmal das: Die "Juden hatten sich zu Hitlers Rassenstandpunkt bekehrt. Sie waren von der verbrecherischen Natur des deutschen Volkes überzeugt und hofften auf eine angemessene Bestrafung, die niemanden verschonen würde." Es nimmt nicht wunder, dass der Erzähler mehr und mehr Gefahr läuft, im Strom der Apathie ganz zu versinken.

Am Ende sieht er sich gezwungen, weiter, weiter nach Spanien zu flüchten. "Wir blickten nicht zurück. Wir gingen, die Straße führte uns weiter und weiter. Was lag daran, wohin sie uns führte?"

"Wir blickten nicht zurück"

Kurze Zwischenkapitel, die diese Erzählung immer wieder unterbrechen und auf eine zweite Zeitebene verweisen (in diesen Einschüben ersetzt das Präsens bezeichnenderweise das sonst dominierende Präteritum), sorgen für einen Rahmen, der das Erzählte, das Zurückliegende als eine überwundene Etappe der Exils erscheinen lässt - und noch einmal einer kritischen Bewertung aussetzt.

Leon Kane, geboren 1913 in Galizien, aufgewachsen in Wien, seit 1938 auf der Flucht, lebte von 1939 bis 1942 in Frankreich; er konnte schließlich über Spanien und Portugal in die Vereinigten Staaten emigrieren und dort Fuß fassen. Er arbeitete als Übersetzer und wissenschaftlicher Bibliograf, ehe er, zu diesem Zeitpunkt schon pensioniert, 1973 auf Einladung von Justizminister Christian Broda für etliche Jahre nach Wien zurückkehrte. Das ist Österreich. - Leon Kane starb 2003 in New York.

DER FALLSTRICK

Roman von Leon Kane

Picus Verlag, Wien 2006

180 Seiten, geb., e 19,90

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