Ganz Wien für einen Schweinekopf

Werbung
Werbung
Werbung

William Shakespeares "Maß für Maß“ bei den Salzburger Festspielen im Landestheater: Regisseur Thomas Ostermeier hat mit hohem Trashfaktor inszeniert, dringt jedoch nicht wirklich in die Tiefen des Stücks vor. Aus dem insgesamt recht blassen Ensemble ragt einsam Gert Voss heraus.

Die Rechtsprechung zeitigt mitunter seltsame Blüten: Wer etwa seiner Verlobten ein Kind macht, wird mit dem Tode bestraft. Glücklicherweise ist dieses Gesetz aber schon lange in Vergessenheit geraten. Um dieser aberwitzigen Handlungsvorlage mehr Glaubwürdigkeit zu verleihen, wurde die Geschichte der bitteren Komödie "Maß für Maß“ in ein weit entferntes Land verlegt. So kam es, dass Wien die Ehre widerfuhr einmal im Zentrum eines Shakespeare-Stücks zu stehen.

Paragraphenreiter & Saubermann

Nachdem der Wiener Herzog Vincentio (Gert Voss) die Zügel seiner Amtsführung immer mehr schleifen gelassen hat, entledigt er sich kurzerhand seiner Tagesgeschäfte und setzt an seiner statt den jungen Günstling Angelo (Lars Eidinger) ein, auf dass dieser während seiner vermeintlichen Abwesenheit wieder Zucht und Ordnung herstellen möge. Angelo ist dafür sein bester Mann, ein Paragraphenreiter mit Saubermann-Image, der gleich hart durchgreifen will: Wien darf nicht Sodom und Gomorrha werden! Der arme Claudio (Bernardo Arias Porras) bekommt als Erster die ganze Härte der neuen Gesetzestreue zu spüren, hat er doch seine Freundin geschwängert; nun wird er abgeführt und mehrfach abgeduscht. Helfen kann ihm da weder sein syphilisgeschwächter Kumpel Lucio (mit viel komischem Talent Stefan Stern) noch seine tugendhafte Schwester Isabella (Jenny König) - erst ein geheimnisvoller Mönch vermag dem despotischen Treiben Angelos ein Ende zu setzen.

In einem goldbraun ausgefliesten Theaterraum, der nur mit einem Abspritzschlauch, einem monströsen Kristallluster und einer halben Schweinshälfte bestückt ist, bringt der Berliner Regisseur Thomas Ostermeier diese burleske Verwechslungskomödie auf die Bühne des Salzburger Landestheaters. Und während Ostermeier hinter der Bühne die Fäden zieht, hört auf der Bühne alles auf das joviale Kommando des Theaterroutiniers Gert Voss. Als Herzog im fliederfarbenen Advokatenhemd weiß dieser genauso zu überzeugen, wie als heisrig eindringlicher Einflüsterer im Mönchsgewand, der sich selbst immer wieder gerne als "Kuttenbrunzer“ bezeichnet. Virtuos spielt Voss seine Mitspieler an die ausgekachelte Bühnenwand, das Spiel des restlichen Ensembles fällt im Gegensatz dazu recht blass aus. Nur Eidinger als sein Stellvertreter Angelo kann sich zumindest streckenweise hervortun, etwa wenn er überwältigt von den Gefühlen zu Isabella vom Deckenluster baumelt oder als tyrannischer Derwisch mit dem Duschkopf in der Hand seine uneingeschränkte Macht demonstriert. Ansonsten bleibt der Abend eine reine Voss-Show.

Im gewohnt coolen Inszenierungsstil mit hohem Trashfaktor setzt Ostermeier vor allem die derbkomischen Scherze gekonnt in Szene. So zum Beispiel, wenn der Gefängnisaufseher mit der Motorsäge ein Stück vom Schwein abschneidet um ihn als den Kopf des Claudio auszugeben oder der geschwätzige Lucio sich mit Berliner Schnauze, Sonnenbrille und falschem Lockenkopf immer wieder um Kopf und Kragen redet. Die kritischen Untertöne wollen im Gegensatz dazu aber nicht recht gelingen. Dafür haben die übrigen Figuren, allen voran Isabella, zu wenig Raum, ihre Rolle zu entfalten. Es bleibt beim unverbindlichen Geplänkel, gelegentlich unterbrochen von kurzen Singgedichten dreier Renaissance-Madrigalisten, die ansonsten recht verschreckt das Geschehen während der Aufführung mitverfolgen müssen.

Gert Voss verzeiht allen

An der Oberfläche dieser nuancenreichen Komödie ums Mit-zweierlei-Maß-Messen und um die scheinheilige Doppelmoral selbsternannter Sittenwächter wird allerdings nicht gekratzt. Dadurch wirkt die Inszenierung schemenhaft. Am Ende findet alles seinen glücklichen Ausgang, die gestrauchelten Männer Wiens sind mehr oder weniger freiwillig unter die Haube gebracht, Gert Voss hat allen verziehen, und der Schlussapplaus wird brüderlich mit den Mitspielern geteilt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung