"Geben wir ihm sechs Monate Zeit"

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Der Vorsitzende der Bischofskonferenz Nigerias hofft, daß der neue Staatschef Abdusalami Abubakar den Demokratisierungsprozeß im Land weiterführt.

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Der Vorsitzende der Bischofskonferenz Nigerias hofft, daß der neue Staatschef Abdusalami Abubakar den Demokratisierungsprozeß im Land weiterführt.

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dieFurche: Im März dieses Jahres war Papst Johannes Paul II. in Nigeria. Was ist von diesem Besuch geblieben?

Erzbischof Albert K. Obiefuna: Eine der wichtigsten Handlungen des Papstes war die erste Seligsprechung eines Nigerianers: Der Trappistenmönch Cyprian Michael Tansi stammte aus der südostnigerianischen Diözese Onitsha, deren Bischof ich bin. Zuerst gründete Tansi Dutzende von Schulen, taufte Tausende und leistete unermüdliche Basisarbeit, dann trat er in England in ein Trappistenkloster ein; er wollte den ersten Konvent dieses strengen Ordens in Westafrika gründen. Es kam aber nicht mehr dazu: er erkrankte und starb 1964 fern der Heimat.

Ein anderer wichtiger Aspekt des Papstbesuches waren seine politischen Aussagen. Der Papst kennt die Lage in Nigeria - kein Frieden, keine Versöhnung, viele politische Gefangene. In den Predigten sprach er sich für Versöhnung, Frieden, Demokratisierung aus. Er forderte den Übergang von der Militär- zu einer Zivilregierung. Dabei fand er deutliche Worte und sprach sich für die Freilassung von mehr als 60 politischen Gefangenen aus.

dieFurche: Ist Nigeria nach dem Tod von Präsident Abacha Anfang Juni der Demokratisierung nähergekommen?

Obiefuna: Präsident Abacha kam den Forderungen des Papstes nicht wirklich nach: Er ließ nur vier Gefangene frei. Die Menschen warfen ihm vor, seine Regierung gehe nicht auf die Wünsche des Papstes ein. Als Abacha starb, waren die Leute nicht gerade traurig darüber. Sein Tod war eine Chance für einen Neuanfang, denn Nachfolger Abdusalami Abubakar begann, Gefangene freizulassen; da wurden die Menschen wieder zuversichtlicher.

dieFurche: Ein Gefangener erlebte die Freilassung nicht mehr: Oppositionsführer Moshood Abiola starb im Gefängnis. Er wurde 1994 verhaftet, nachdem er sich zum Sieger der annullierten Präsidentenwahlen von 1993 erklärt hatte. Viele Menschen hatten gehofft, er könnte nun Präsident werden.

Obiefuna: Ich denke, Abiola ist großes Unrecht geschehen. Nach Abachas Tod wurde Abiolas Inhaftierung zum Problem. Die Menschen - nicht zuletzt die Bischöfe - forderten vehement, ihn freizulassen. Sie sagten: Laßt ihn frei, damit er am Demokratisierungsprozeß des Landes mitwirken kann. Nur sehr wenige sagten: Laßt ihn frei, damit er Staatsoberhaupt werden kann. Seine Legislaturperiode wäre inzwischen ohnehin vorbei. Viele Menschen glauben nicht an Abiolas natürlichen Tod. Inzwischen hat jedoch ein internationales Ärzteteam festgestellt, daß er tatsächlich an Herzversagen verstorben ist.

dieFurche: Welche Folgen ergeben sich nun? Es ist zu Unruhen mit mehr als 50 Toten gekommen. Macht Abiolas Tod den Friedensprozeß zunichte?

Obiefuna: Sein Tod darf den Friedensprozeß nicht stoppen. Jetzt, wo die Autopsie gezeigt hat, daß er eines natürlichen Todes gestorben ist, werden sich die Menschen wieder beruhigen. Aus diesem Grund hat man überhaupt in die Autopsie eingewilligt, denn normalerweise ist das bei Moslems nicht üblich. Aber viele sagen auch, der Herzinfarkt sei eine Folge der Entbehrungen im Gefängnis gewesen.

dieFurche: Am 1. Oktober soll eine Zivilegierung kommen. Wird das Militär die Unruhen nicht zum Vorwand nehmen, um an der Macht zu bleiben?

Obiefuna: Das Militär sollte den Friedensprozeß nicht abbrechen. Soweit ich verstanden habe, hat der neue Präsident Abubakar aber ohnehin zugesagt, daß er weitergeführt wird.

dieFurche: Wird man den Stichtag am 1. Oktober einhalten können?

Obiefuna: Nein. Wir sollten nicht gebannt auf den 1. Oktober starren, als ob er ein magisches Datum wäre, das wurde noch zu Lebzeiten Abachas festgelegt. Wir müssen seinem Nachfolger die Chance geben, alles ins Lot zu bringen. Präsident Abubakar hat guten Willen gezeigt, den Demokratisierungsprozeß so schnell wie möglich weiterzubringen. Warum geben wir ihm nicht sechs Monate, um politische Parteien zu reorganisieren, eine Wahl durchzuführen und dann einer demokratisch gewählten Regierung das Ruder zu überlassen?

dieFurche: Welche Rolle spielt die Kirche in diesem Friedensprozeß?

Obiefuna: Es ist wichtig, daß sich die Kirche hier engagiert. Wir haben bereits früher immer wieder Stellung bezogen: Als Abiola zum Präsidenten gewählt wurde, sagten die Bischöfe, dieser Mann ist in einer international anerkannten Wahl gewählt worden, also laßt ihn Staatsoberhaupt sein. Wir sind Katholiken, er ist ein Moslem, aber er hat die Wahl gewonnen. - Wir sollten aus der Geschichte lernen und in Richtung Demokratie gehen. Und wir versuchen, mit dem amtierenden Präsidenten einen Dialog zu führen.

dieFurche: Wie ist die Situation der katholischen Kirche in Nigeria?

Obiefuna: Im allgemeinen eine recht gute. Die Kirche in Nigeria wird von allen gesellschaftlichen Gruppen respektiert, besonders seit sie gesehen haben, daß die Kirche immer auf der Seite des Volkes gestanden ist.

dieFurche: Während seines Besuches sprach sich der Papst auch für den Dialog zwischen Christen und Moslems in Nigeria aus. In der Vergangenheit ist es zwischen diesen beiden Gruppen immer wieder zu Konflikten gekommen.

Obiefuna: Bei seinem Besuch traf der Papst auch mit islamischen Religions-Führern zusammen. Das war ein sehr guter Beginn für einen Dialog zwischen Christen und Moslems.

dieFurche: Was sind die Gründe für die Konflikte zwischen den Religionen?

Obiefuna: Ein Hauptgrund ist, daß die Moslems bisweilen den Eindruck erwecken, sie seien die Mehrheit. Das entspricht aber nicht ganz der Realität: Wir sind 42 Prozent Moslems und 44 Prozent Christen - 20 Prozent davon Katholiken. Die Moslems glauben, nur sie dürften die Regierung stellen: Der derzeitige Präsident ist ein Moslem, Abacha war einer, ebenso Abiola. Die Schlüsselstellen in der Regierung werden meistens mit Moslems besetzt. Viele Christen finden das zynisch.

dieFurche: Ein Freund von Ihnen, der 1989 verstorbene nigerianische Priester Aaron Ekwu, verbrachte einige Jahre in Österreich. Ekwu startete eine Anzahl von sozialen Projekten. Viele nennen ihn jetzt schon einen Heiligen, ein Seligsprechungsprozeß ist eingeleitet.

Obiefuna: Ekwu war einige Zeit Kaplan in Wien. Während des Biafra-Konfliktes 1967-70 organisierte er von Österreich aus Hilfsprojekte für Nigeria. Als er schließlich zurückkehrte, setzte er sich sehr für die Armen ein. Er hatte viele Freunde in Österreich, die seine Arbeit finanziell unterstützen. Er war kein wirklich guter Projektorganisator, aber ein sehr hilfsbereiter Mensch, der die Armen unterstützte.

dieFurche: Wird Aaron Ekwus Arbeit auch nach seinem Tod weitergeführt?

Obiefuna: Ich war sein Bischof, und als er starb, setzte ich sein Werk fort. Ich begann Caritas-Häuser zu bauen, Bildungszentren, wo die Armen lernen können, sich selbst zu helfen, etwa ein Zentrum für Gerechtigkeit, Entwicklung und Frieden.

dieFurche: Was wird die Zukunft den Menschen in Nigeria bringen, und welche Rolle wird die Kirche dabei spielen?

Obiefuna: Als Vorsitzendem der Bischofskonferenz ist mir bewußt, daß wir uns zu Wort zu melden müssen, ob man auf uns hört oder nicht. Wir müssen diese prophetische Rolle wahrnehmen. Unsere Kirche ist eine junge Kirche; sie kann noch nicht voll auf eigenen Beinen stehen und ist auf die Hilfe vom Westen angewiesen; aber wir möchten mehr und mehr unabhängig werden. Und wir müssen auch den Dialog mit der Regierung pflegen. Die Kirche muß dabei auf Gerechtigkeit, Frieden, Entwicklung und Versöhnung bestehen. Wir dürfen keine Angst davor haben, die Stimme zu erheben. Wir hätten uns schon unter der Militärregierung lauter zu Wort melden sollen. Jetzt, unter dem neuen Präsidenten, haben wir mehr Möglichkeiten dazu.

Das Gespräch führte Alexandra Mantler-Felnhofer.

Zur Person: Wichtige Rolle in den politischen Wirren Nigerias Albert Kanene Obiefuna wurde 1930 in Oraukwu geboren. Er studierte Theologie und wurde 1963 zum Priester geweiht. 1978 wurde er zum ersten Bischof der Diözese Awka in SO-Nigeria geweiht. 1994 wechselte er - zunächst als Koadjutor, dann als Erzbischof - ins benachbarte Onitsha, im gleichen Jahr wurde er zum Vorsitzenden der Katholischen Bischofskonferenz Nigerias gewählt. In der Vergangenheit widmete er sich vor allem dem Einsatz für die Armen in seiner Diözese und der Ausbildung von Priesterstudenten. In den gegenwärtigen politischen Wirren Nigerias kommt auch der Kirche eine wichtige Rolle zu, die sie, wie Obiefuna klarmacht, verstärkt wahrnehmen will.

Erzbischof Obiefuna war Mitbruder und Freund von Aaron Ekwu, der 1961-70 in Wien studierte und wirkte, und der viel zur Ausbreitung der Erneuerungsbewegungen Fokolare, Cursillo und Marriage Encounter in Wien beitrug, sowie die auch heute noch bestehenden Bande zwischen Nigeria und Wien knüpfte (vgl. Furche 44/1997).

Anfang Juni starb überraschend der Präsident der Militärregierung Abacha. Sein Nachfolger setzte deutliche Zeichen in Richtung einer Demokratisierung. Der Tod der jahrelang inhaftierten Oppositionsführers Abiola stellt das Gelingen des Friedensprozeßes nun wieder in Frage. Der Vorsitzende der nigerianischen Bischofskonferenz, Erzbischof Albert Obiefuna, besucht derzeit Österreich.

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