Geboren für die Oper

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Das Schicksal hätte nicht besser Regie führen können: Am Morgen des 27. November starb Hans Werner Henze in Dresden, wo er an der Semperoper noch die Premiere seines Antikriegsdramas "Wir erleben den Fluss“ miterleben konnte. Am Abend wurde in München "Babylon“, die neueste Oper seines international arriviertesten Schülers, Jörg Widmann, uraufgeführt. Der Abend wurde damit auch zur Hommage für Henze.

"Alles bewegt sich auf das Theater hin und kommt von dort zurück“, formulierte der junge Henze. Tatsächlich hat sich keiner der Komponisten der jüngeren Vergangenheit derart dem Theater verschrieben wie er. Geboren wurde er am 1. Juli 1926 in Gütersloh als ältestes von sechs Kindern eines mit dem Nationalsozialismus sympathisierenden Lehrers. Zeitlebens haderte er mit diesem Schicksal, das in den 1960er- und 1970er-Jahren dazu führte, dass er politisch engagierte Musik schrieb. Mitläufer in einer Diktatur, wie sein Vater, wollte er niemals sein. Er beantwortete die Frage "Was tut die Musik in der Revolution?“ mit dem Che Guevara zugeeigneten Dokumentar-Oratorium "Das Floß der Medusa“, das schildert, wie sich beim Untergang einer Fregatte die bessere Gesellschaft in Sicherheit bringt und die übrigen dem Schicksal des Floßes überlässt, der Show "Der langwierige Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer“ oder dem Recital "El Cimarrón“, alles experimentelle Arbeiten.

Schon mit "Die englische Katze“ besann sich Henze der traditionellen Oper. Wenig später bekannte er sich mit seiner auf Kuba komponierten 6. Symphonie zur dortigen Revolution. Mit der Anfang der 1980er-Jahre geschriebenen 7. Symphonie schloss er an die sinfonische Tradition des 19. Jahrhunderts an. Mit seiner 8. fing er die charakteristische italienische Atmosphäre ein.

Bereits in den 1950er-Jahren war er nach Italien übersiedelt, zuerst nach Ischia, später und bis zuletzt nach Marino bei Rom. Eine bewusste Flucht aus dem Adenauer-Deutschland, wo der bekennende Linke und Homosexuelle nichts für sich erwartete. Zudem hatte er sich mit den Leitfiguren der avancierten Moderne, Boulez, Nono und Stockhausen, die sein "Kammerkonzert“ 1946 in Darmstadt noch freudig begrüßt hatten, überworfen. Wie konnte er auch so konservative Arien auf Gedichte seines zeitweiligen Lebensmenschen Ingeborg Bachmann - von ihr stammen die Libretti der Henze-Opernwelterfolge "Der Prinz von Homburg“ und "Der junge Lord“ - schreiben, wird er sich später amüsiert erinnern.

Erstmals als Musiktheaterkomponist auf sich aufmerksam machte der an der Staatsmusikschule Braunschweig ausgebildete Henze 1952 mit zwei Uraufführungen: der Oper "Boulevard Solitude“ in Hannover und der Ballett-Pantomime "Der Idiot“ mit Klaus Kinski in Berlin. W. H. Auden und Chester Kallmann schrieben die Texte für die Kammeroper "Elegie für junge Liebende“ und die bei den Salzburger Festspielen 1966 uraufgeführte Euripides-Oper "Die Bassariden“. In Salzburg, später in Köln leitete er eine Kompositionsklasse. Er gründete - u. a. auch in Mürzzuschlag - Musikwerkstätten, 1988 die Münchner Biennale, erhielt 1990 den Ernst von Siemens-Musikpreis, 2000 den Premium Imperiale Tokyo. "Alle meine Musik ist Bemühen um eine Form, um Ordnungen“, lautete Henzes Leitmotiv. Das Geheimnis, wie er dies in seinem jüngsten, für die kommenden Salzburger Osterfestspiele angekündigten Orchesterwerk umgesetzt hätte, hat Henze mit ins Grab genommen.

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