Geborgen in der Geschichte

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Wegen ihrer NS-Vergangenheit und der als nicht unmissverständlich kritisierten späteren Distanzierung davon blieb sie bis zuletzt umstritten. Mit ihrer tief im Katholizismus wurzelnden Literatur stellte sie sich gegen den Trend der Zeit. Zum Tod der Schriftstellerin Gertrud Fussenegger.

Die Moderne ist Gertrud Fussenegger ein Leben lang fremd geblieben. Bewusst nahm sie eine Haltung ein, die sich vehement gegen die Zerstörung eines edlen Menschenbildes verwahrte. Dabei war sie keine naive Literatin, in all ihrem Schreiben ging sie mit höchstem Bewusstsein ans Werk. Sie wollte noch einmal zusammenhalten, was sie durch die kritische Vernunft des 20. Jahrhunderts fahrlässig in die Luft gesprengt sah. Körper und Geist, Form und Inhalt sollten in schöner Harmonie miteinander verbunden bleiben. Sie war eine Spätgeborene, der keineswegs daran gelegen war, der Menschheit die schöne Maske von ihrer verzerrten Fratze zu reißen. Sie hing dem Ideal des unzerstörbaren Kerns im Herzen eines jedes Menschen an, die Literatur habe sich dieser Vorstellung zu fügen. Unter solchen Voraussetzungen wirkte die Autorin zunehmend mehr wie ein Einhorn im Einkaufszentrum, ein Wesen aus einer anderen Zeit am für dieses nicht vorgesehenen Ort.

"Ruhmrediges Lügengebäude"

Im Essay "Über die Menschenwürde" aus dem Jahr 1971 unternimmt Fussenegger einen melancholischen Vorstoß, der Entzauberung des Menschen etwas Positives entgegenzusetzen. Sie beklagt, dass die Notwendigkeit, "das ruhmredige Lügengebäude des Menschen über sich selbst" zu beenden, allmählich in "Lust an der Enthüllung, ja der Besessenheit selbstzerstörerischer Aggressivität" umgeschlagen sei. Der schonungsvolle Umgang mit all den unheimlichen Abgründen, das Zutrauen in die Macht des Edlen und Guten, die Hoffnung und die Zuversicht, dass destruktive Kräfte nicht obsiegen mögen, treiben solch ein Schreiben an. Wo andere Deformation betreiben, schafft Fussenegger ein Menschenbild, an dem sich der Leser zu orientieren vermag. Das gelingt ihr nur, weil sie auf dem Boden eines festen Glaubens steht. "Für mich kann dieser Wert nur Gott heißen", schreibt sie in dem Essay, der die Würde des Menschen über die Religion definiert. Ästhetisch ist sie tief verwurzelt im 19. Jahrhundert, als sich große Romane noch gemächlich zu entfalten wagten. Die aus dem 18. Jahrhundert kommende Aufklärung, mit der der Triumph der Vernunft begann, blieb ihr suspekt.

Das Werk Fusseneggers ist von keinen Brüchen oder Umschwüngen geprägt. Früh hat sie ihren Weg gefunden, alles andere ist Variation und Verfeinerung. Aus all ihren Romanen und Erzählungen, ihrer Lyrik und den Essays spricht derselbe Geist. Fussenegger setzte sich in Widerspruch zum Trend der Zeit, um sich für dauerhafte christliche Werte stark zu machen. Sie schrieb vorsätzlich am Literaturbetrieb vorbei, das brachte ihr die Liebe des breiten Publikums ein und die Vernachlässigung durch die Kritik. Damit konnte sie ausgezeichnet leben. Sie achtete ihre Leser, suchte bis ins hohe Alter den Kontakt zu ihnen. Sie nahm sie in Schutz vor "dem Urteil einer kleinen Elite", die "um Urteile und Interpretationen nicht verlegen" war. Sie wollte das Publikum nicht verstören, aufrütteln, sondern erbauen. Deshalb die fortgesetzten Attacken gegen die Moderne: "Schlimm ist es, wenn sich Wirbel an Wirbel reiht, wenn Chaos überhandnimmt" ("Sag mir, was ist gut?", 1976).

Beschönigte Biografie

Ihr Roman "Das Haus der dunklen Krüge" - er gilt als ihr Meisterwerk - erzählt in Form einer Familiengeschichte vom Untergang der Habsburger Monarchie. Er wurde mit den "Buddenbrooks" verglichen, doch der Ironie, für Thomas Mann so unabdingbar, verweigert sie sich. Überhaupt hat sie sich die Geschichte als ihr eigentliches Terrain erarbeitet. In die Zeit des Dreißigjährigen Krieges bzw. in die Phase der Auflösung des Fränkischen Reiches bewegen sich die Romane "Die Brüder von Lasawa" und "Geschlecht im Advent" zurück. Dem Vorwurf, mit den Nationalsozialisten paktiert zu haben, Parteimitglied gewesen zu sein und für so dubiose Blätter wie den Völkischen Beobachter und Das Innere Reich geschrieben zu haben, stellte sie sich nicht. Sie hielt den Angriffen ihre "Mohrenlegende" entgegen, die 1937 bei den Nazis in Ungnade gefallen und als "Mitleidwerbung für Andersrassige" diffamiert worden war. In ihrer Autobiografie "Spiegelbild mit Feuersäule" schildert sie ihre Vergangenheit in hellen Farben, stellt sich den eigenen Fehlern nicht.

Am Donnerstag voriger Woche verstarb Gertrud Fussenegger im 97. Lebensjahr in Linz im Kreise ihrer Angehörigen.

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