"Gebrechlichkeit ist menschlich"

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15 Jahre lang hat sich Hildegard Teuschl an der Spitze des Dachverbands Hospiz Österreich für ein menschenwürdiges Leben bis zuletzt eingesetzt. Nun hat sie - selbst an Krebs erkrankt - ihr Amt an Waltraud Klasnic übertragen. Im Furche-Interview spricht Klasnic über ihre Pläne, ihr Nein zur Euthanasie - und die Pionierarbeit ihrer Vorgängerin.

Die Furche: Frau Klasnic, welchen Schwerpunkten werden Sie sich als neue Präsidentin des Dachverbandes Hospiz Österreich widmen?

Waltraud Klasnic: Auf der einen Seite steht natürlich weiterhin die Forderung nach dem Recht, ein menschenwürdiges Leben bis zuletzt führen zu können. Auf der anderen Seite wird das Thema der Aus- und Weiterbildung von Pflegenden in Zukunft zentral sein - sei es für das Fachpersonal, für ehrenamtliche Mitarbeiter oder aber auch für Familienangehörige. Ein dritter wichtiger Bereich ist das Thema der Finanzen. Neben der notwendigen Eigenverantwortlichkeit ist auch die Verantwortung der öffentlichen Hand einzufordern. Hier muss es eine Zusammenarbeit der zuständigen Stellen von Bundes-, Landes- und Gemeindeseite geben. Die generelle Aufgabe wird also nach wie vor sein, das Thema Pflege in der Gesellschaft zu diskutieren.

Die Furche: Was entgegnen Sie Vertretern der Ansicht, dass zu einem "menschenwürdigen Leben bis zuletzt" auch der Respekt vor dem Wunsch nach "Sterbehilfe" gehört?

Klasnic: Wir sprechen uns klar für eine Beibehaltung der gegenwärtigen Gesetzeslage und gegen die Legalisierung von Tötung auf Verlangen und der Beihilfe zur Selbsttötung aus. Denn Hilfsbedürftigkeit widerspricht aus unserer Sicht nicht der Würde des Menschen, sondern gehört zum Wesen des Menschseins, weil es zu seiner Endlichkeit gehört. Es geht vor allem darum, Gebrechlichkeit und Leiden in eine umfassende Sicht des Menschseins zu integrieren. Außerdem ist Tötung auf Verlangen ein unwiderruflicher Akt und nur schwer vor Missbrauch zu schützen. Es darf kein gesellschaftlicher Druck auf ältere und pflegebedürftige Menschen ausgeübt werden. Durch das gesetzliche Verbot der Tötung auf Verlangen werden Menschen vor diesem Druck geschützt. Denn niemand muss sich für sein Angewiesensein auf Pflege und Unterstützung rechtfertigen. Der Dachverband Hospiz Österreich sieht seine Aufgabe jedenfalls im Begleiten des Menschen bis zuletzt.

Die Furche: Inwiefern finden Familien, die sich selbst um ihre pflegebedürftigen Angehörigen kümmern möchten, bei Ihnen Unterstützung?

Klasnic: Die Angehörigen stehen meistens vor vielen Fragen: Wie werde ich mit der Situation fertig? Wer hilft mir? Der Dachverband Hospiz Österreich hat viele Experten in den einzelnen Bundesländern - und gemeinsam mit den großen Träger-Organisationen wie Caritas, Rotes Kreuz und Caritas Socialis auch enorm viel Erfahrung. Wir können also durch Information helfen - sei es durch Fachwissen oder durch Kontakte zu diversen öffentlichen Behörden.

Die Furche: Woran mangelt es aus Ihrer Sicht derzeit im österreichischen Hospizwesen?

Klasnic: Die Frage ist eher: Was brauchen wir für die Hospizarbeit von morgen? Zwei Bereiche stehen hier konkret im Mittelpunkt. Erstens gibt es zur Zeit rechtliche Vereinbarungen - etwa auch die Parlamentsbeschlüsse aus dem Jahr 2001 zur "Solidarität mit unseren Sterbenden" - die noch nicht vollständig umgesetzt worden sind. Zweitens mangelt es gegenwärtig an der langfristigen Planung sowohl von mobilen als auch von stationären Hospiz- und Palliativeinrichtungen. Mir ist schon bewusst, dass Budgets auf politischer Ebene für ein oder höchstens zwei Jahre beschlossen werden. Aber die Arbeit im Pflegebereich ist eine langfristige. Auch wenn die meisten Menschen vielleicht nur kurz- oder mittelfristig davon betroffen sind: Aber aus planungstechnischer Sicht muss langfristig nachgedacht und agiert werden.

Die Furche: Sie sind auch Mitglied des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses. Wie bewerten Sie die Hospiz-Situation in anderen europäischen Ländern?

Klasnic: Wenn man die Situation in den einzelnen Ländern miteinander vergleicht, dann gibt es - leider - noch sehr große Unterschiede. Im Norden Europas gibt es etwa überwiegend Heime und kaum Betreuung innerhalb der Familie. Im Süden Europas gibt es hingegen weniger Heime dafür aber mehr Familienbetreuung. Ein Sozialarbeiter aus Rumänien hat wiederum berichtet, dass in seinem Land viele alte Menschen einfach auf der Straße leben müssen. Hier ist die Europäische Union gefragt und gefordert, denn die Pflegearbeit muss auch europaweit gemeinsam koordiniert werden. Österreich hat hier durch das Engagement von Hildegard Teuschl bereits vieles erreicht und auch für andere Länder vorbereitet, selbst wenn es auch bei uns noch viel zu tun gibt.

Die Furche: Wie bewerten Sie insgesamt die Arbeit ihrer Vorgängerin?

Klasnic: Ich bin für die Arbeit von Hildegard Teuschl unendlich dankbar. Sie hat all ihre Fähigkeiten für unsere Sache eingesetzt. Diese Pionierarbeit wird die Bereiche der Hospiz- und Palliativbetreuung nachhaltig prägen. Ich bin mir sicher, dass von dieser Aufbauarbeit auch in Zukunft noch gesprochen wird. Das vielleicht Wichtigste ist aber, dass viele Menschen die Arbeit von Hildegard Teuschl in bestimmten Lebenssituationen erleben und spüren. Ich bedanke mich deshalb bei ihr und der gesamten Hospizbewegung für die großartige und ungemein wichtige idealistische Arbeit.

Die Furche: Frau Klasnic, warum ist Ihnen persönlich das Thema Hospiz wichtig?

Klasnic: Ich glaube, dass jeder Mensch seinem Leben Sinn geben soll. Bei Hospiz Österreich mitzuhelfen, ist für mich sinnvoll. Ebenso bedeutet das freilich auch eine große Verantwortung und Herausforderung. Es klingt im Zusammenhang mit dem Thema Hospiz vielleicht etwas eigenartig: Aber die Arbeit macht mir Freude.

Das Gespräch führte Simon Varga.

Amtsübergabe mit Wehmut

"Stück um Stück habe ich in meinem Leben das Loslassen und Abschiednehmen gelernt", sagte die Frau mit den kurzen grauen Haaren und dem wachen Blick. Dennoch falle ihr nun das Abschiednehme nicht leicht. Hildegard Teuschl von der Schwesterngemeinschaft "Caritas Socialis" war seit der Gründung des Dachverbandes Hospiz Österreich im Jahr 1993 dessen Vorsitzende - und maßgeblich an der Etablierung der Hospizidee in Österreich beteiligt. Auch das Patientenverfügungsgesetz und die Familienhospizkarenz wurden von ihr wesentlich mitgeprägt. Ihre schwere Krebserkrankung hat sie nun freilich gezwungen, ihr Amt zu übergeben - an Waltraud Klasnic, ihre Wunschkandidatin, die sich "auch in höchsten politische Funktionen die Bodenhaftung und ein soziales Gewissen erhalten" habe. Von 1996 bis 2005 war Klasnic "Landeshauptmann" der Steiermark. 2006 wurde die dreifache Mutter und fünffache Großmutter Vorsitzende des Kuratoriums des Zukunftsfonds der Republik Österreich. Daneben ist sie unter anderem Vorstandsvorsitzende des Hilfswerks Austria und Mitglied im Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss. Wie die 71-jährige Hildegard Teuschl will sich auch die 63-jährige Waltraud Klasnic für eine flächendeckende, leistbare und menschenwürdige Pflege-, Hospiz- und Palliativbetreuung einsetzen. "Mein Rollenwechsel von der, Hospizfachfrau' zur betroffenen Patientin ist mir nicht leicht gefallen", sagt Teuschl. "Aber er lässt mich spüren, was für kranke Menschen wirklich zählt. Der mitmenschliche und wahrhaftige Umgang bedeutet mir wesentlich mehr als die neuesten Medikamente."

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