Gedanken zum Gedenken

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"Wie befreiend war das recht idente Geschichtsbild der beiden spätgeborenen Exponenten von Kirche und Sozialdemokratie; auch ihr gemeinsames Pflichtenheft für die Zukunft!"

Was müssen wir bewahren, was dürfen wir vergessen? Wieder einmal war das Thema aktuell - nein, nicht als öffentliche Debatte, wohl aber unter Historikern, Soziologen, Medienleuten. Denn das, was wir "Gedenkkultur" nennen, ist nicht unumstritten. Zum einen, weil kaum noch Zeitzeugen der Jahre 1938 bis 1945 leben -und das Thema weitgehend in die Hände von Politik und Medien gefallen ist. Zum anderen, weil immer öfter von einem "falschen Betroffenheitskult der Nachgeborenen" und von "sinnentleerten Ritualen" die Rede ist. Und vom Versuch, sich durch späte Umarmung der einstigen Opfer "risikolos auf der moralisch richtigen Seite zu definieren".

Die ständige Wiederholung abgenützter Floskeln stehe, so heißt es, auch der historischen Komplexität im Weg - sie verhindere letztlich, was Forschung leisten müsste: Vergangenes immer wieder neu und ohne Stereotypen zu durchleuchten und bisher Unbeachtetes ans Licht zu heben.

Vor diesem Hintergrund glaube ich: Wir -die Politik, der ORF und andere Medien -haben das Gedenken an 1938 soeben erstaunlich gut aufgearbeitet. Ohne das Lob zu individualisieren, ist mir neben dem unglaublichen Hugo Portisch vor allem ein Gespräch aufgefallen, das wegen der Nachtstunde leicht übersehen werden konnte: das Duett Heinz Fischers mit Christoph Schönborn. Wie befreiend war da das recht idente Geschichtsbild der beiden spätgeborenen Exponenten von Kirche und Sozialdemokratie; auch ihr gemeinsames Pflichtenheft für die Zukunft - und die Selbstverständlichkeit, mit der beide auf ihren jüdischen Großvater verwiesen haben!

Die "engel und teufel" von heute

Als Gewinn dieser Tage bleibt mir: Vieles habe auch ich, der so lange mit unserer Zeitgeschichte befasst war, erneut dazulernen können! Und: Zu Recht hat mein Kollege Wilfried Stadler in der Vorwoche (FURCHE Nr. 11, S. 2) erwähnt, wie sehr manche Polarisierung -etwa um unsere Täter-/Opfer-Rolle -einer differenzierteren Interpretation Platz zu machen scheint.

Noch eine Erfahrung, die mir bleibt: Am achtzigsten Jahrestag des "Anschlusses" standen jetzt Schüler mit ihren Lehrern auf einem Wiesenstück nahe von Wien. Im Finale von Krieg und NS-Diktatur war dort ein KZ gewesen, ein Außenlager von Mauthausen. In der Osternacht 1945, als die Russen anrückten, war es in Eile geräumt worden - 52 nicht mehr gehfähige Häftlinge wurden dabei mit Benzinspritzen ins Herz ermordet. Wer nicht schnell genug sterben konnte, wurde erdrosselt.

Ich habe den Jugendlichen jetzt von diesem Drama erzählt -und sie gefragt, warum auch sie die Schrecken von damals nicht vergessen sollten. Überraschend viele Argumente wurden genannt -bis einer sagte: "Ganz einfach: Weil die Engel und Teufel auch heute noch auf dieser Wiese stehen -das sind wir selbst. Aber noch weiß ja keiner, wo er am Ende zu finden sein wird "

Für mich war es das stärkste Argument gegen das Vergessen.

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