Gefällig-nettes Treiben auf der Raumstation

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Kein großer Wurf - wohlkonstruierte Musik zu einem banalen Text: Das bot die Uraufführung von Detlev Glanerts Science-Fiction-Oper "Solaris“ im Bregenzer Festspielhaus.

Während auf der Seebühne in diesem Jahr eine Wiederauflage des massenkompatiblen Spektakels der mit der eigentlichen Opernhandlung ideal verzahnten Produktion von Umberto Giordanos "André Chénier“ (Inszenierung: Keith Warner) über die Bühne geht, bieten die Bregenzer Festspiele im Festspielhaus erneut eine Uraufführung: Nach Judith Weirs "Achterbahn“ im Vorjahr ist der Kompositionsauftrag der Festspiele für die heurige Indoor-Produktion an den deutschen Komponisten Detlev Glanert ergangen, einen Schüler unter anderem von Hans Werner Henze, der in der jüngeren Vergangenheit in Deutschland vor allem mit seinen Werken für die Opernbühne von sich reden gemacht hat. 1995 ist in Mannheim seine Oper "Der Spiegel des großen Kaisers“ zur Uraufführung gekommen, 1999 in Bremen "Joseph Süß“, 2006 in Frankfurt "Caligula“, 2008 in Aachen "Nijinskys Tagebuch“ (diese Kammeroper ist Anfang August in einer Koproduktion mit dem Linzer Landestheater im Bregenzer Kornmarkttheater zu erleben), 2010 in Nürnberg "Das Holzschiff“, sowie eben jetzt in Bregenz "Solaris“, ein Werk, nach dem gleichnamigen, 1961 erschienenen Roman des polnischen Science-Fiction-Autors Stanislaw Lem.

Schuldvolle Erinnerungen

"Solaris“ ist die Geschichte des Psychologen Kelvin, der auf eine Raumstation entsandt wird, die den Planeten Solaris umkreist. Dort geschehen unerklärliche Dinge, merkwürdige Erscheinungen suchen die Bewohner der Station heim, und keinem der Männer ist es bisher gelungen, sich dieser merkwürdigen "Gäste“ zu entledigen. Auch Kelvin ist sogleich das Ziel einer solchen Erscheinung: Seine Frau Harey, die mit 19 Jahren Selbstmord begangen hat, erscheint. Es sind die schuldvollen Erinnerungen aus der Vergangenheit, die seine Gefühle immer mehr bestimmen. "Es handelt sich bei diesem Stoff“, so der Komponist, "um eine sehr spannende, poetische und philosophische Abhandlung über unsere (Un-)Fähigkeit zu kommunizieren - und über die Tatsache, dass wir als Menschen das Fremde, das ‚Außer-Uns-Liegende‘ immer nur mit den Kriterien beurteilen können, die in uns selbst verankert sind.“

Die Musik, die Detlev Glanert für dieses neue Werk geschaffen hat, ist stets publikumsfreundlich und für ein normal besetztes Symphonieorchester konzipiert: Da gibt es mal rezitativisch, mal arios geführte Gesangslinien, hier ein paar minimalistische Momente und dort ein wenig gefühlsrauschend romantischen Überschwang. In den dramatischen Passagen darf es auch einmal kantig und disharmonisch schräg zugehen, während sonst ein Spiel mit Klangfarben vorherrscht, in das geschickt auch der unsichtbare Chor als "Stimme“ des Planeten Solaris eingebunden ist - und ein paar Jazzanklänge à la Kurt Weill gibt es auch. Das alles ist handwerklich gekonnt gewoben, entwickelt aber in den wenigsten Momenten Spannung - bleibt in Erinnerung als etwas Kalkuliert-Schematisches, vor allem gegen Ende viel zu Langatmiges, nicht vom Fleck Kommendes, in der Gesamtwirkung zwischen gefälliger Kantilene und harmlos illustrativer Begleitmusik Schwankendes. Und dazu kommt leider noch, dass das Libretto von Reinhard Palm äußerst papieren wirkt, um nicht zu sagen: über weite Strecken im gänzlich Banalen stecken bleibt. Ist es ein gutes Zeichen, wenn man nach der Vorstellung das Festspielhaus verlässt mit dem Eindruck, dass hier mit "gezogener Handbremse“ gearbeitet wurde? Alles hat so gewirkt, als hätte man die Devise ausgegeben: "Ja, eine neue Oper - aber nur nicht das Publikum erschrecken“.

Denn Gleiches lässt sich auch über die szenische Seite sagen. Von einer "verwahrlosten Raumstation“ ist in der Handlung die Rede, was jedoch Christian Fenouillat als Kulisse für die konventionell-lineare Inszenierung von Moshe Leiser und Patrice Caurier auf die Bühne gestellt hat, ist eine kühl-adrette Architektur wie aus dem Baukasten, mit blinkenden Lichtern und teils kindischen Requisiten. Das Klaustrophobische der Situationen unterstützt dies kaum, abgesehen von den wenigen feinen Lichteffekten.

Koproduzent Komische Oper Berlin

Schade für das großartige Ensemble, in dem vor allem Dietrich Henschel dem Kelvin seinen noblen, differenziert eingesetzten Bariton, textliche Präzision und spürbare Gefühlsintensität verleiht, Martin Koch mit höhenstarkem Charaktertenor und ebenfalls sprachlich hervorragender Diktion dem trunkenen Forscher Snaut Profil gibt und Martin Winkler mit sonorem Organ als Forscher Sartorius auch skurrile Züge hervorkehrt. Marie Arnet ist die stimmlich feinsinnig agierende Harey, Bonita Hyman eine darstellerisch üppige, stimmlich nicht ganz so raumgreifende Negerin, Christiane Oertel die tadellose alte Frau und Mirka Wagner ein rollengerecht nervender Zwerg. Mit Hingabe und großer Akkuratesse musizieren die Wiener Symphoniker unter der Leitung des subtil die Klangfarben auslotenden und Orchesterballungen bestens koordinierenden Markus Stenz. Und genauso vorbildlich wie das Orchester agiert auch der Prager Philharmonische Chor.

Nach nur drei Aufführungen in Bregenz wird das Werk und die Produktion an die koproduzierende Komische Oper Berlin gehen - vielleicht könnte Glanert bis dahin einige Kürzungen in manchen der allzu langatmigen Passagen vornehmen …

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