"Gefälligkeiten verteilen“

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Marcus Tullius Cicero hatte einen raffinierten Wahlkampftaktiker Die "Anleitung zum Wahlkampf“ seines jüngeren Bruders Quintus Tullius Cicero lässt sich auch aus heutiger Perspektive lesen.

"Ich denke Tag und Nacht über deine Bewerbung nach und wie sie durch systematische Gliederung unter einen einzigen Gesichtspunkt gestellt werden kann.“ So schreibt Quintus Tullius Cicero im Jahr 64 v. Chr. seinem berühmten älteren Bruder Marcus Tullius Cicero in einer "Anleitung zum Wahlkampf“ um Roms höchstes Staatsamt, das Konsulat. Von diesem Dokument im Umfang von rund eineinhalb Zeitungsseiten könnten Wahlkämpfer noch heute lernen.

Quintus streicht eine Stärke des "politischen Neulings“ (Quereinsteigers) und erfolgreichen Anwalts Marcus heraus: "Dein guter Ruf bei den Massen und dein Ruhm als Redner gleichen aus, dass dein Name in der Politik noch unbekannt ist.“ Die "überragende Tugendhaftigkeit“ seines Bruders bemisst Quintus am Zustand Roms: "Überall Hinterhalte und Täuschung, Betrug, Fallenstellerei, Treulosigkeit, Übeltäter, Laster, Anmaßung, Schikanen, Missgunst, Hochmut und Hass. Die lasterhafte Gesellschaft vergisst für Bestechungsgeld Tugend und Würde.“ Deshalb Vorsicht vor jenen, die "deine herausragende Tugendhaftigkeit gezwungen hat, dir sowohl Freundschaft zu heucheln, als auch auf dich neidisch zu sein. Traue niemandem leichtfertig und durchschaue die Methoden der Schmäher und Gegner.“ Die politischen Konkurrenten seines Bruders nennt er hinterhältige Messerstecher, Lüstlinge und verschwendungssüchtige Habenichtse. "Behalte sie im Auge, jage ihnen Angst vor einem Prozess ein, aber greife sie nie direkt an, das schadet deiner Würde. Überlasse das deinen Anhängern. Aber signalisiere ihnen, dass du sie überwachen und beobachten lässt. Erwecke nicht den Eindruck, dass du sie vor Gericht bringen willst, es reicht, wenn sie das befürchten.“

Teure Ehre und Macht

Taktisch deckt Quintus das ganze gesellschaftliche Spektrum ab: "Ergreife nicht politisch Partei, vielmehr soll der Senat aufgrund deines Lebenswandels annehmen, dass du seine Autorität verteidigen werdest. Eben deswegen sollen auch die Aristokraten sowie die reichen und rechtlich denkenden Männer glauben, dass du dich leidenschaftlich für innenpolitische Ruhe und Stabilität einsetzen werdest. Und weil du dich mit Reden bei den Massen beliebt gemacht hast, mache sie glauben, dass du dich auch künftig zu ihrem Vorteil einsetzen werdest.“

Die Kandidatur für das Konsulat setzte allerdings den Nachweis eines Vermögens voraus, das annähernd dem Jahreseinkommen von etwa 2500 Handwerkern entsprach - nach unserem Geldwert zwischen 50 und 60 Mio. Euro. Weil also materiell völlig unabhängig, bezog ein Konsul auch kein Gehalt. Und weil dem Volk noch die Unterhaltung durch Fernsehen, Kino oder Fußball fehlte, musste ihm ein Konsul Gladiatorenkämpfe, Tierhetzen und Wagenrennen oder öffentliche Bauten bezahlen. Die hohe Ehre dieses Amtes ging also stark ins Geld.

In einer Gesellschaft ohne Medien spielte die "mündliche Zeitung“ eine überragende Rolle - der direkte Kontakt zum Wahlvolk und das Bemühen um eine "gute Nachrede“. Deshalb rät Quintus seinem Bruder, "inständig und sorgfältig“ viele Freunde zu gewinnen, die sich "leidenschaftlich für dich einsetzen“. Zielsicher setzt er auf Opinionleader als propagandistische Multiplikatoren: "Mache die Ton angebenden Männer aller Bezirke und alle Berufsorganisationen zu Freunden. Durch sie wirst du leicht die Volksmassen in deine Hand bekommen.“ Zur Wahlwerbung im Volk gehören natürlich "Gastmähler in den Stadtvierteln“. Das fiel freilich ebenso wenig in die Kategorie "Bestechung“ wie heute Zeltfeste oder Blumen für die Damen. Besonders beliebte Männer sollen "Gefälligkeiten verteilen, weil ihnen dafür reichlich Mittel zur Verfügung stehen“.

Marcus versteht natürlich, was Quintus nicht zu sagen braucht: Der Kandidat muss diese Mittel beisteuern. Damit aber niemand auf die Idee verfalle, dass nun ein Geldregen auf Rom niedergehe, warnt Quintus: "Die Verfügbarkeit eines Vermögens bedeutet nicht, dass es verteilt wird, aber es kann von deinen Freunden gelobt werden.“ Ein taktisch eleganter Schwenk, denn so soll das Volk erfahren, dass Marcus zwar reich, aber keinesfalls dumm ist.

Ein Satz macht deutlich, dass Quintus vor zwei Jahrtausenden praktische Psychologie beherrschte: "Menschen lassen sich mehr durch ein freundliches Gesicht und eine nette Rede als durch Gefälligkeit und die Sache selbst (= Programm) gewinnen.“

Ohne Anflug von Arroganz

Selbstverständlich muss ein Kandidat "Versprechungen eifrig und gerne erfüllen. Wird er aber um etwas gebeten, was man ohne Verletzung des Anstands nicht versprechen kann, so muss er das freundlich mit Bedauern ablehnen, doch überzeugend hinzufügen, dass man das bei anderer Gelegenheit ausgleichen wolle“. In diesem Punkt ist "die Politik“ heute nicht so zimperlich.

Allerdings legte Quintus seinem älteren Bruder auch weniger Tugendhaftes nahe: "Eigne dir das an, was dir (charakterlich) nicht natürlich gegeben ist, damit du vortäuschen kannst, dies sei dir angeboren. Die systematische Werbung um die Masse braucht Schmeichelei, Wohltaten und die direkte Anrede mit dem Namen.“

Diese Volksnähe mochte dem hochgebildeten und elitär erzogenen Anwalt Marcus Tullius Cicero ebenso schwer fallen, wie die Forderung des Quintus, seine Haustüre Tag und Nacht für jeden offen zu halten. Schließlich lebte fast jeder gebildete und reiche Römer nach dem verächtlichen Satz des Horaz: "Ich hasse das gewöhnliche Volk und halte es von mir fern.“ Deshalb rät Quintus seinem Bruder Marcus zu "Leutseligkeit“ ohne geringsten Anflug von Arroganz: Jeder Mensch müsse die "Einsicht gewinnen, dass du ihn hoch achtest, dass er sich bei dir gut aufgehoben fühlt und dass das eine sehr feste und dauerhafte Freundschaft begründet, die sich nicht nur in der Stimmabgabe erschöpft“. Das verrät den Schleichhandel mit dem, was wir heute "Vitamin P“ nennen.

Mundpropaganda

Als taktisches Erfolgsrezept preist Quintus: "Kümmere dich um tägliche Begleitung, denn du sollst immer von einer Menschenmenge umgeben sein, weil das großes Ansehen und höchste Würde verschafft. Bekunde den freiwilligen Begleitern, dass du dich ihnen für diese bedeutende Gefälligkeit auf ewig verpflichtest.“ Taktisch nächster Schritt: "Gehe möglichst immer zur gleichen Zeit zum Forum und sieh zu, dass dich viele begleiten, denn ein großes Gefolge führt zu hoher Meinung über dich und verleiht große Würde.“ Die Größe des Gefolges nimmt also schon unsere Meinungsumfragen vorweg.

Den römischen Wahlkämpfern fehlte noch die Möglichkeit, alle Postkästchen mit gedruckter Werbung vollzustopfen. Kommunikation und Propaganda besorgte die "mündliche Zeitung“. Deshalb bringt Quintus die vielen Bediensteten und Sklaven sowie deren Verwandte in Marcus’ noblem Haushalt ins Spiel - allerdings nur einmal ganz kurz. Sie sollen beständig in das stets stark bevölkerte Forum ausschwärmen und dort das Lob ihres Herrn singen. Plakate und Sprüche an Hausmauern gab es nämlich noch kaum.

Marcus gewann das Konsulat für das Jahr 63 v. Chr. überlegen - wohl auch dank der Ratschläge seines jüngeren Bruders, die einen Meilenstein der politischen Taktik setzten. Jedenfalls rechtfertigte Cicero das Vertrauen seiner Wähler, indem er die Verschwörung des Catilina aufdeckte und niederschlug. Damit rettete er die römische Republik - allerdings nur noch für kurze Zeit.

Das dürfte aber unseren Gymnasiasten kaum imponieren, wenn sie durch die ellenlangen Sätze in Ciceros Reden irren. Vermutlich fänden sie den Brief des Quintus viel spannender, aber in den Satzkonstruktionen ist er durchaus ciceronisch. Leider.

Der Autor ist ehemaliger Redakteur der "Salzburger Nachrichten“

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