Gefangen im Grau von Macht und Luxus

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Das Theater in der Josefstadt zeigt Henrik Ibsens Drama "John Gabriel Borkman“ in stimmiger Regie und Luxusbesetzung. Die Aussagekraft des Stücks erweist sich als ungebrochen.

Es ist doch alles eine Frage der Perspektive! Kaum ein anderer Autor vermochte diese Weisheit dramatisch so klar zu behaupten und zugleich so fein zu gestalten wie der Norweger Henrik Ibsen. Sein 1896 in London uraufgeführter "John Gabriel Borkman“ hat diesbezüglich nichts an Aussagekraft eingebüßt, wie die aktuelle Inszenierung am Theater in der Josefstadt unter Beweis stellt. In der kleinsten Zelle der Gesellschaft, der Familie, zeigt sich dies umso deutlicher: Jede Figur hat hier ihre ganz eigene Sicht auf die Lage, ja mehr noch: ist eingekerkert in die eigenen Überzeugungen, ohne den Blick nach außen zu richten.

Die Titelfigur etwa, Bankdirektor John Gabriel Borkman (Helmuth Lohner), verspekulierte einst Millionen und musste dafür ins Gefängnis. Nach seiner Entlassung hat er sich im Dachgeschoss seiner Villa eingebunkert und wartet ungeduldig auf die Rückkehr der Macht. Hätte man ihm damals nur weitere acht Tage gegeben, betont er, dann hätte sich alles zum Guten gewendet.

Oder seine Frau Gunhild (Nicole Heesters), die er rein aus wirtschaftlichem Kalkül heiratete: Sie hat ihr Leben der Aufgabe verschrieben, die Familie zu rehabilitieren, indem der von ihr krankhaft umsorgte Sohn Erhart (Martin Bretschneider) eine große Karriere machen soll.

Das Kind als verlängertes Ich

In Gang gerät der Konflikt allerdings erst mit der Ankunft von Gunhilds Schwester Ella (Andrea Jonasson). Borkman und sie waren einmal ein Liebespaar, doch opferte er die Beziehung zugunsten seines beruflichen Aufstiegs. 25 Jahre später und im Angesicht des Todes (Ella gilt als unheilbar krank) fordert die Alleingebliebene Rache und Trost. Erhart soll ihr Universalerbe werden. Der Preis: der einsamen Tante zur Seite stehen und ihr das Gefühl von Leben vermitteln.

Keinem geht es hier tatsächlich um Erhart, der Junge bedeutet dem tragisch miteinander verstrickten Dreigespann nichts Anderes als ihr jeweilig verlängertes Ich, der Ausgleich des eigenen Mangels.

Auch, wenn sich Erhart zu emanzipieren weiß, Ibsen bleibt skeptisch. Werden sich die Fehler der Eltern wiederholen? Borkman steht zusammen mit den beiden Schwestern in Konfrontation zu seinem Sohn Erhart. Dieser löst zwar die Erwartungen der Elterngeneration nicht ein und pocht auf seine Jugend und Freiheit, die Konstellationen sind einander jedoch verblüffend ähnlich. Mit seiner Geliebten Fanny Wilton (Maria Köstlinger) und der jungen Frida (Raphaela Möst) verlässt er die Stadt, um in Rom sein Glück zu suchen. In Ibsens "Gespenster“ (ab Freitag im Akademietheater zu sehen) kehrt der "verlorene Sohn“ Osvald bereits zurück, die Lösung der (Familien-)Probleme konnte er auch im Ausland nicht erzielen.

Selbstüberschätzung, Wahnvorstellungen

Im Theater in der Josefstadt spiegeln sich die psychologischen Dispositionen im Außen: Die Bühnenbildner Silvia Merlo und Ulf Stengl haben in elegantem Grau das "Gefängnis“ der Reichen und Schönen gestaltet, großzügige Räume, teures Mobiliar mit dem obligaten Flügel, auf dem längst nicht mehr gespielt wird. Lamellen- und gitterförmige Tapeten bilden die Folie für diese künstliche Welt, deren Bewohner in Selbstüberschätzung und Wahnvorstellungen gefangen sind.

Die Brüche in ihren Fantasiegebäuden markiert Regisseur Elmar Goerden (der sein Debüt in Wien gibt) musikalisch. Im Moment der Erkenntnis erstarren die Protagonisten, Klaviertöne rufen Erinnerungen an eine Zeit hervor, als sie noch hoffnungsvolle Träume hatten. Emmerich Steigberger leuchtet die Gesichter tragisch aus, tiefe Schatten auf Nicole Heesters’ und Andrea Jonassons Antlitz erzählen von der nicht eingestandenen Einsamkeit der beiden Frauen. Helmuth Lohners Borkman ist ein betagter Bruder von Shakespeares König Lear: wirr, verblendet, bis zuletzt machtgierig, sich des Unrechts nicht bewusst.

Heribert Sasse bildet den erfrischend bodenständigen Konterpart zu dieser hehren Besetzung. Eine Wurstsemmel kauend ist er als Foldal der Einzige, der noch zuhört und andere wahrnimmt, aber auch Respekt einfordert und selbst einmal zurückstecken kann. Er bringt Leben sowohl auf die Josefstädter Bühne als auch ins Borkman’sche Haus dieser lebendig Begrabenen.

Nächste Termine:

8., 13., 14., 15., 16., 19., 21., 23., 25. März

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