Gefangen in Eis und Schnee: "Eugen Onegin"

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Die Wiener Staatsoper zeigt Tschaikowsksys "Eugen Onegin" in einer misslungenen Inszenierung, musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau.

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Die Wiener Staatsoper zeigt Tschaikowsksys "Eugen Onegin" in einer misslungenen Inszenierung, musikalisch bewegt sich die Aufführung auf hohem Niveau.

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Viel Glück hatte die Staatsoper schon bisher nicht mit Tschaikowskys "Lyrischen Szenen", wie er seine fünfte Oper, "Eugen Onegin", bezeichnet hat. Entweder klappte es szenisch nicht oder es misslang musikalisch.

Allein deswegen hätte man bei dieser mit der Tokyo Opera Nomori (dort war sie bereits zu sehen) koproduzierten Neuinszenierung besonders auf der Hut sein müssen. Schließlich galt es, Besonderes zu verteidigen: die Erinnerung an jene Aufführungsserie vor 21 Jahren, mit welcher der jetzige Musikdirektor der Staatsoper, Seiji Ozawa, im Haus am Ring debütierte und für seine zwischen Geschmeidigkeit und dramatischer Verve hervorragend vermittelnde Interpretation begeistert gefeiert wurde.

Idealer Klangteppich

Ozawa drückt auch dieser Produktion den Stempel seiner Persönlichkeit auf. Mit seiner in einigen Details ruhiger gewordenen Lesart beweist er, dass er sich auf diese Partitur nach wie vor bestens versteht. Abgesehen von einigen Bläserirritationen zu Beginn des Abends lief auch das Orchester bald zu exzellenter Form auf, legte den Protagonisten einen meist idealen Teppich.

Sie konnten sich freilich nicht alleine auf die Musik konzentrieren, sondern mussten mit den Widrigkeiten der Inszenierung zurande kommen. Für Regisseur Falk Richter ist dieser Tschaikowsky weder an eine bestimmte Zeit noch an einen spezifischen Ort gebunden. Dass er ihn in der Gegenwart spielen lässt, auch nichts dagegen hat, wenn man den das Geschehen begleitenden Schneeregen und die auf der kahlen Bühne platzierten Eisblöcke (Bühne: Katrin Hoffmann) mit dem Bild Russlands identifiziert, zeigt, wie flexibel er selbst seinen Ansatz begreift. Der zielt allerdings am Wesentlichsten vorbei: der Beziehung zwischen Onegin und Lenski.

Nicht Lenskis Verlobte Olga, die Schwester Tatjanas, interessiert Onegin, sondern Lenski selbst. Vor diesem Hintergrund wird rasch klar, weshalb Onegin gegenüber Tatjana beteuert, Sympathie für sie zu empfinden, aber nicht sicher sei, ob das schon Gefühle sind. Schon aus dieser Perspektive hätte eine Regie genügend zu tun, um Onegins späteres Verhalten gegenüber der zur Gräfin gewordenen Tatjana zu erklären und Hinweise zu deren weiterem Eheschicksal zu geben.

Eindimensionale Titelfigur

In Tschaikowskys Musik, erläutert Falk Richter, lägen die Gefühle stets wie unter Eis verborgen. Wer aber daraus schließt, seine Regie konzentriere sich darauf, die Struktur und das Wechselspiel der einzelnen Protagonisten mit distanzierter Kühle aufzulisten, wird bald eines anderen belehrt. Ihm geht es vorrangig um die Titelpartie. Im gerne als Dandy dargestellten Onegin sieht er ein typisches Beispiel des Großstadtmenschen von heute - einen schließlich an sich selbst zerbrechenden Egomanen. Der vokal überraschend monochrome Simon Keenlyside war dies nicht. Nicht erst im Finale marionettenhaft erstarrt, bewegte er sich schon zuvor steif und bar jedes hier mit legitimer Arroganz gespeisten Selbstbewusstseins.

Tamar Iveri gibt eine vokal untadelige, emphatische Tatjana. Welche Aufgaben Libretto und Partitur ihrer Schwester Olga (qualitätvoll Nadia Krasteva) zugewiesen haben, bleibt in dieser, in kühl-gedämpftes Licht (Carsten Sander) getauchten Szenerie offen. Auch für Lenski, den Ramón Vargas mehr mit kraftvollen Tönen als differenzierter Emotion gestaltet, schlägt des Regisseurs Herz nicht. Für ihn ist er eine nicht näher definierte Episode, ein dramaturgisches Intermezzo. Triquet (Alexander Kaimbacher) wird zum peinlichen Popstarverschnitt.

Ain Angers würdevoller, vokal schon sehr profunder Gremin führt die übrigen rollendeckenden Protagonisten an; exakter und prononcierter könnten die Choristen (Einstudierung Thomas Lang) agieren. Auch sie ließ Richters Regie im Stich, die - eine weitere unnötige Überraschung - im Schlussakt noch mit der Streichung einer Ecossaise aufwartet. Gefangen in Eis und Schnee? Keine Oper lässt sich auf eine so oberflächlich-billige Metapher reduzieren. Schon gar nicht ein Werk vom psychologischen Zuschnitt eines "Eugen Onegin".

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