Gefordert wie noch nie

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An der katholischen Kirchenspitze tobt ein Richtungsstreit, der zurzeit in der Ehe- und Geschiedenenfrage kulminiert. Auch Österreichs Bischöfe müssen Farbe bekennen.

"Alle Tiere sind gleich. Aber manche sind gleicher als die anderen.“ Das finale "Gebot“ aus George Orwells bitterböser Totalitarismus-Parabel "Die Farm der Tiere“ steht unversehens vor Augen, wenn man das jüngste Interview von Gerhard Ludwig Müller liest. Der Neo-Kardinal sucht darin einmal mehr die Befürworter von Änderungen in der Geschiedenenpastoral in die Schranken zu weisen: Denn er rede als Chef der Glaubenskongregation, der einzigen vatikanischen Behörde, "die am Lehramt des Papstes unmittelbar Anteil“ habe. Andere Wortspender, so Müller, "auch wenn sie im Kardinalsrang sind“, sprächen "einfach nur für sich selber persönlich“.

Hat Müller damit auch Walter Kasper gemeint, der erst Ende Februar unter ausdrücklichem Beifall von Papst Franziskus derartige Änderungen vor den versammelten Mitbrüdern im Kardinalsamt angedacht und referiert hat? Kasper, 81, beileibe kein kirchlicher Heißsporn, sondern renommierter Theologe, hat bedachtsam, aber klar aufgezeigt, dass es fürs katholische Lehramt sehr wohl konkrete Möglichkeiten gibt, sich in Bezug auf die Familie und alle Themenbereiche, die damit zusammenhängen - etwa Sakramentenzulassung von wiederverheirateten Geschiedenen -, neu aufzustellen (vgl. FURCHE 11/2014).

Eigentlich müssten die Ortskirchen aufatmen

Es ist evident, dass um diese Fragen an der katholischen Kirchenspitze ein Richtungsstreit tobt, der bis vor kurzem undenkbar war. Neo-Kardinal Müller kämpft da als Speerspitze der Konservativen mit Zähnen und Klauen für die Zementieren des Status quo, auch wenn ihm die "Privatmeinungen“ anderer Kardinäle, vom Landsmann Reinhard Marx bis zum honduranischen Papstvertrauten Óscar Rodríguez Maradiaga um die Ohren fliegen. Wie dieser Richtungsstreit ausgeht, ist aber längst nicht entschieden. Dass Franziskus Bewegung will, ist ebenso evident wie die Tatsache, dass er dann agieren wird, wenn seine bischöflichen Brüder mitgehen. Was soll der Bischof von Rom denn tun, als einen wie Kardinal Kasper vorzuschicken und ausdrücklich zu ermuntern?

Nichts an Kaspers Überlegungen ist revolutionär, er plädiert für eine vorsichtige Öffnung. Vielerorts sind diese Fragen seit langem "klar“, sie stehen in allen Forderungskatalogen zur Kirchenreform und sind theologisch und pastoral zigfach diskutiert. Dass diese Diskussion nun aber auch vom Papst her zugelassen und gefördert wird, sollte eigentlich ein Aufatmen in den Ortskirchen zur Folge haben. Meint man.

Die postmoderne Kirchenspaltung ist überwindbar

Ist aber den Einlassungen Kaspers ein Begeisterungssturm beispielsweise der Bischöfe Europas gefolgt? Hat man von den heimischen Hirten, die dieser Tage, zu ihrer Frühjahrssession versammelt sind, bislang klar gehört: Wir unterstützen Kasper, in diese Richtung kann und muss sich die Kirche bewegen? Man will ja hoffen, dass sich Derartiges in nächster Zeit ereignet.

Aber als selbstbewusster Laie kann man dieser Tage nicht umhin, gerade die Hirten in die Pflicht zu nehmen: Positionen wie die von Kardinal Kasper geäußerten haben - Sympathien von Franziskus hin oder her - nur dann Chancen, wenn sie von den Ortskirchen erkennbar aufgenommen werden - auch auf der Bischofssynode im Herbst. Bislang hat man in der kirchlichen Reformdiskussion von den Hirten immer gehört, man könne diese Fragen nur weltkirchlich lösen. Nur zu! - ist man geneigt, zu sagen.

Der am Dienstag verstorbene Religionsphilosoph Eugen Biser hat bereits vor 25 Jahren den bis vor kurzem perpetuierten Kirchenzustand als "vertikales Schisma“, als einen Riss zwischen Hierarchie und den Gläubigen, charakterisiert. Die Chance zur Überwindung dieser postmodernen Kirchenspaltung ist intakt. Dabei sind jedoch die Bischöfe gefordert wie noch nie. Sie können sich nicht zurücklehnen und warten, wer aus dem beschriebenen Richtungsstreit siegreich hervorgeht.

otto.friedrich@furche.at

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