Gegenentwurf aus dem Geisterreich

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Peter Sellars inszeniert bei den Wiener Festwochen "Desdemona“, das erste Theaterstück der amerikanischen Literaturnobelpreisträgerin Toni Morrison.

Zwei Musiker, drei Backgroundsängerinnen, die aus Mali stammende Sängerin Rokia Traoré und die amerikanische Schauspielerin Elizabeth Marvel betreten in langen weißen Kleidern und barfuß die offene Bühne, auf der verstreut Mikrofone bereitstehen und achtsam zu Inseln geordnet, hell beleuchtet Flaschen, Karaffen, Schalen aus Glas herumliegen. Nackte Glühbirnen hängen in unterschiedlicher Höhe gestaffelt vom Bühnenhimmel.

Othello, aber kein Shakespeare

Hier in diesem jenseitigen Geisterreich wird Desdemona, die Tochter des venezianischen Senators Brabantio, ihr Leben erinnern. Elizabeth Marvel wird dabei von Mikrofon zu Mikrofon schreiten oder einfach zusammengekauert auf dem Bühnenboden liegen, während sie ihr Frauenleben Revue passieren lässt. Dabei begegnet sie Barbary, ihrer afrikanischen Amme aus der Kindheit, die sie als Elternersatz, als Freundin sah, die aber Sklavin war. Sie begegnet Emilia, der Frau Jagos, die weniger Verräterin, als eine emanzipierte Kämpferin um Selbstbestimmung war. Und schließlich führt sie jenes fällige Zwiegespräch mit Othello, das den Mord an ihr in einem anderen Licht zeigt.

Dabei spielt oder vielmehr spricht Marvel alle anderen Rollen. Eindrücklich gestaltet sie durch schnelle Verwandlungskunst Stimmlage und Duktus der Rede. Besonders beeindruckend sind die Zwiegespräche mit Othello, dessen soldateske Männlichkeit sie ganz aus der Sprache Gestalt werden lässt. Rokia Traoré und ihr Chor kommentieren mit betörend sinnlicher Musik das Leben der Desdemona aus der Perspektive der afrikanischen Frau, aus der Sicht der Sklaverei, Unterdrückung und Krieg.

Was Desdemona erzählt, ist aber anders als das, was wir aus Shakespeares berühmter Tragödie kennen. Desdemona ist tot, und wie Morrison sie sagen lässt, ist Leben nach dem Tod Zeit, und mit der Zeit ändern sich die Dinge. In diesem Sinne ist Morrisons langer Monolog so etwas wie ein weiblicher Gegenentwurf zu Shakespeares "Othello“. So wirbt Desdemona dafür, dass Männlichkeit kein Vorteil und Weiblichkeit kein Nachteil sein sollte. Nie hat sie sich abgefunden damit, nur Spielball der Männer zu sein, nie wollte sie bloß eine Frau sein, die an Männern zerbricht. Stets gierte sie nach einem Leben, das sie nach ihrem Gutdünken leben könnte, so war ihre Wahl Othellos nicht bloß Stolz, sondern auch Auflehnung gegen die väterliche (männliche) Autorität. Doch Othello war nicht jener strahlende Held, den sie in ihm sehen wollte.

Beklemmend ist Marvels Schilderung von Othello als Kindersoldat und dann als Soldat, Mörder, Folterer und Vergewaltiger. Als Desdemona sieht, wie der Krieg den Menschen, den sie meinte zu lieben, zerstörte, wie Sinneslust alles durchdrang und auch zur Quelle des Bösen wurde, beklagt sie sich bitter, dass zartes Gefühl stets im Schatten von Muskeln und Männerfreundschaft stand. Schließlich sagt sie, werden wir beurteilt danach, wie gut wir lieben. So suchte sie den Tod und ließ sich von ihm ermorden.

"Hörspiel der Träume“

Mehr ist nicht bei diesem "Hörspiel der Träume“, wie Peter Sellars den fast zweistündigen Abend, der nicht Konzert und nicht Theater sein will, nennt. Und doch schlägt dieser poetische, melancholische, an manchen Stellen auch pathetische und trotz des Horrors, von dem berichtet wird, doch eigenartig friedvolle Abend, den Sellars’ Lichtdesigner James F. Ingalls in stimmungsvoll wechselnde, bedeutungsvolle Farbtöne taucht, den Zuhörer in seinen Bann. Es wird im Stück immer wieder die Frage gestellt, wie Frieden vorzustellen sei. Ganz kurz blitzte eine Idee davon auf.

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