Gegenwart allein ist kein Konzept

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Das Theater an der Wien zeigt Mozarts frühe Oper "Mitridate, Re di Ponto": szenisch unentschlossen, vokal auf hohem Niveau, orchestral undifferenziert.

Das Schlechteste, was sich über einen Theaterabend sagen lässt, ist, dass er einen gelangweilt hat. Wie jüngst im Theater an der Wien. Über Mozarts frühe opera seria "Mitridate, Re di Ponto" gehen die Meinungen auseinander. Für die einen ein Werk, mit dem sich das kommende Genie bereits ankündigt. Für andere nur eine mit vielen vergleichbare Talentprobe. Das erklärt auch die schwierige Rezeption dieses Werks.

Nach der Uraufführung am 26. Dezember 1770 in Mailand wurde das dreiaktige Dramma per musica weitere 22 Male gespielt. Dann erst wieder 1971 bei den Salzburger Festspielen in der Starbesetzung Peter Schreier, Edda Moser, Arleen Auger und Helen Watts unter Leopold Hager.

Seitdem hat man sich dieses frühen Mozarts immer wieder angenommen. Und wie die Erfahrungen aus dem Mozartjahr 2006 zeigen, lässt sich damit prächtig reüssieren. Was Marc Minkowski und Günter Krämer mit ihrer rasant-bunten Deutung hinreißend bewiesen.

Nicht zuletzt ihren innovativen Mozart-Auseinandersetzungen in der Ära Mortier verdankt die Brüsseler Oper ihren heutigen Ruf. Ihn zu erreichen scheint leichter, als ihn zu erhalten, wie diese in Zusammenarbeit mit der Monnaie-Oper zustandegekommene Wiener Produktion zeigt. Vorrangig hängt dies mit der Inszenierung von Robert Carsen zusammen. Entmythologisierung heißt sein Rezept. Was kann der heutige Mensch mit einem König von Pontus, der Tochter eines Königs von Parthien anfangen? So jedenfalls muss er denken. Denn der Regisseur transferierte die Handlung um den unerwartet vom Krieg zurückgekommenen König Mitridate, der ansehen muss, wie seine beiden Söhne Sifare und Farnace um seine sich bereits als Witwe wähnende Frau Aspasia buhlen, ihnen später verzeiht und sich in das Schwert stürzt, um nicht den siegreichen Römern zum Opfer zu fallen, in die Gegenwart. Assoziationen mit so manchem Revolutionsführer sind gewollt.

Grau in Grau gibt sich das von den Zerstörungen eines schrecklichen Krieges kündende Bühnenbild. Die königlichen Gemächer erinnern an das schmucklose Innere heruntergekommener Baracken. Überall stößt man auf Menschen. Warum die sich auf dem Schutt Tummelnden in Anzug und Hut auftreten müssen, das Finale angesichts aufgezogener Waffen von in Khaki gehüllten Soldaten ablaufen muss, bleibt rätselhaft wie so manche Zeichnung der Charaktere.

Regie blieb unter den Möglichkeiten

Mitridate, wenigstens das wird deutlich, ist über die Situation wütend. So wütend, dass es Bruce Ford nicht immer leichtfiel, die entsprechenden Töne zu finden. Als ferngesteuerte Figur präsentiert die mit sparsamen Lichteffekten garnierte Regie den vorerst mit den römischen Feinden kollabierenden, von Bejun Mehta gewohnt virtuos gesungenen Farnace. Ungleich leidenschaftlicher Myrto Papatanasiu als Sifare, das Ereignis dieses Abends. Weshalb sie ihre Emotion als Mensch ausleben, ihr Bruder seine Gefühle nur gehemmt andeuten darf, wird nicht weiter aufgeklärt. Auch Aspasias widersprüchlicher Charakter, ihr Spiel mit echten und vorgetäuschten Gefühlen hinterfragte die Regie nicht näher. Das blieb nicht ohne Auswirkung auf die Musik. So souverän Patricia Petibon (Bild) ihren Part bewältigte, eine im Detail überlegte Personenführung hätte sie zu einer noch differenzierteren vokalen Aussage geführt.

Dass es sich bei "Mitridate" um ein Drama, um ein Vexierbild menschlicher Tragödien, handelt, ließ sich aus Harry Bickets Dirigat nicht ermessen. Zügige Tempi allein sind noch kein Garant für vier Stunden beklemmende Dramatik. Und schon gar nicht für subtiles Innehalten in den verzweifelten, intimen Momenten. Bald stellten sich Eintönigkeit und Einförmigkeit ein, selbst der Einzugsmarsch Mitridates blieb spannungsarm. Auch die Wiener Symphoniker durften nicht zeigen, dass sie sich auf den Stil des frühen Mozart verstehen, ließen punkto Artikulation, vor allem Phrasierung, viele Wünsche offen. Da wäre mehr dirigentische Stilkompetenz vonnöten gewesen.

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