Gehasst, geliebt, Corbusier

Werbung
Werbung
Werbung

Der Architekt zwischen Ratio und Transzendenz: Zwei Bücher über einen Überlebensgroßen.

Ein Vordenker der österreichischen Ökologiebewegung ging vor Jahren mit Le Corbusier so emotional ins Gericht, dass es wie ein Aufstand der Lodenbataillone gegen die Moderne klang. Doch Corbusiers kubischer Klubfauteuil und seine "Chaise longue" geniessen Kultstatus. Sage mir, wie du zu Corbusier stehst, und ich sage dir, in welchem Jahrhundert du lebst: Noch in den fünfziger Jahren markierte dieser Spruch eine Epochenwende. Zwei neue Bücher markieren hingegen den Bruch in Person und Werk, der, wie man heute erkennen kann, konstituierend für das Faszinierende, Verwirrende, für viele zutiefst Verstörende dieses Lebenswerks wurde.

Mit seinen Sprüchen "Das Haus ist eine Maschine zum Wohnen" und "Der Sessel ist eine Maschine zum Sitzen" wird Corbusier für die kalte, rationale Seite der Architektur haftbar gemacht. Doch George H. Marcus führt auf Grund einer peniblen Recherche und an Hand eines opulenten Bildmaterials vor Augen, wie unter den Händen dieses rational denkenden, aber als Künstler entwerfenden Charles Edouard Jeanneret die perfekte Form zur Schönheit wurde. Marcus rekonstruiert die Entwurfsgeschichte wichtiger Objekte - und ihr "Schicksal auf dem Markt" (wichtig für Sammler). Er führt die Bedeutung der Farbe in Interieurs vor Augen, die man immer nur schwarzweiß abgebildet sah. Ein neues Standardwerk über "Corbu" als Designer und Raumgestalter. Die um 1928 vom Maharadscha von Indore erworbene Liege (unten) ist das einzige bekannte Exemplar, dessen Rahmen mit der Patenteinreichung übereinstimmt!

Klaus-Peter Gast entwickelte ein interessantes Instrumentarium zur Analyse Corbusier'scher Grundrisse. Er wendet es auf Bauten der Vorkriegszeit und im zweiten Teil seines Werks auf die Kapelle von Ronchamp, das Kloster La Tourette, vor allem aber Corbusiers Stadtplanung für Chandigarh, die Hauptstadt des Punjab, an. Mit seinem berühmten "Modulor" meinte Corbusier auf seiner lebenslangen Suche nach Ordnungsprinzipien den Zauber(maß)stab zur Lösung aller Proportionsprobleme gefunden zu haben. Er hat ihn nicht unbedingt zu Chandigarhs Vorteil angewendet, wie Gast anhand der zu innerstädtischen Brachen herabgekommenen, überdimensionalen Flächen zwischen den Repräsentationsbauten nachweist. Die Verwitterung hat den Brutalismus der Solitäre verstärkt, doch das stadtplanerische Konzept ging nicht schlecht auf: Chandigarh lebt ohne das tägliche, Indiens Städte lahmlegende Verkehrschaos.

Damit, dass er seine Vorstellungen vom rechten Leben und Wohnen nur in Bauten für Betuchte demonstrieren konnte, steht Corbusier bekanntlich nicht allein. Gast spart auch dies nicht aus. Er ist ein Bewunderer Corbusiers mit kritischem Blick. Und arbeitet damit dessen Größe nur um so überzeugender heraus.

Le Corbusier - Im Inneren der Wohnmaschine

Von George H. Marcus

Schirmer/Mosel Verlag, München 2001 184 Seiten, 200 Bilder, 60 in Farbe, Ln., öS 934,-/e 67,88

Le Corbusier Paris - Chandigarh

Von Klaus-Peter Gast

Birkhäuser Verlag, Basel 2000 192 Seiten, 50 Farb- und 250 s/w-Bilder, geb., öS 1081,-/e 78,56

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung