Geheimnisse des Genoms im Visier der Medizin

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Mit neuen Verfahren kann das gesamte Erbgut des Menschen in kurzer Zeit durchleuchtet werden. Dadurch wird sich die genetische Diagnostik dramatisch verändern.

Seit die weltberühmte Schauspielerin Angelina Jolie eine Brustamputation zur Krebsprävention durchführen ließ, hat der Einsatz medizinischer Gentests großes Interesse hervorgerufen. Durch die Einführung neuer Techniken wurden die Möglichkeiten genetischer Untersuchungen in den letzten Jahren revolutioniert. DIE FURCHE sprach mit Berthold Streubel, Genetiker an der Medizinischen Universität Wien, über Hoffnungen und Befürchtungen im Zusammenhang mit der Gendiagnostik.

Die Furche: Wann werden Gentests heute routinemäßig angeboten?

Berthold Streubel: Erstens zur Diagnose angeborener genetischer Erkrankungen. Gentests können den Verdacht auf eine bestimmte genetische Erkrankung bestätigen oder bei unklarem Krankheitsbild die Diagnose überhaupt ermöglichen. Zweitens bei erworbenen genetischen Erkrankungen: So sind Gentests bei Krebserkrankungen oft ein fester Bestandteil der Diagnostik sowie für die Einschätzung von Prognose, Verlauf und Therapiewahl relevant. Aber auch Paare mit Kinderwunsch, bei denen sich aus unbekannten Gründen keine Schwangerschaft einstellt oder häufige Fehlgeburten auftraten, können eine genetische Testung in Anspruch nehmen. Eine genetische Beratung ist dabei stets unverzichtbar.

Die Furche: Welchen Stellenwert haben Gentests für die medikamentöse Therapie?

Streubel: Die "Pharmakogenetik“ untersucht die individuell unterschiedliche Reaktion auf Medikamente, deren Ursache oft im genetischen Bauplan liegt. Dies betrifft die therapeutische Wirksamkeit, aber auch das Auftreten von Nebenwirkungen. Bei manchen Patienten beispielsweise ist zu berücksichtigen, dass sie Antibiotika schlecht abbauen. Darüber hinaus gibt es heute schon gerichtete Therapien gegen einzelne Gene, z.B. bei Brustkrebs, wo der Mutationsstatus über das therapeutische Ansprechen Aufschluss geben kann. Angesichts der hohen Kosten moderner Krebstherapien ist dies auch ökonomisch relevant.

Die Furche: Wie verlässlich sind Risikoangaben für das Auftreten familiärer Krebserkrankungen?

Streubel: Auch bei Trägern von Genen, die mit einem familiär bedingt erhöhten Krebsrisiko in Zusammenhang stehen, ist nicht klar, ob und wann die Erkrankung auftritt. Selbst wenn genaue Prozentangaben stets auf zu hinterfragenden Annahmen beruhen, ist eine grobe Risikoeinschätzung in jedem Fall sinnvoll.

Die Furche: Während früher aus technischen und finanziellen Gründen nur einzelne Gene untersucht wurden, kann man heute mit demselben Aufwand das gesamte Erbgut untersuchen. Wie beurteilen Sie den Einsatz vollständiger Genom-Analysen?

Streubel: Bei unklaren klinischen Fällen kann die Analyse des gesamten Genoms einen entscheidenden Vorteil für das Patientenmanagement bringen. Und in manchen Situationen ist es sicherlich leichter, eine Blutabnahme zwecks Gentest durchzuführen als diverse invasive Maßnahmen wie Muskelbiopsie etc. Auch bei Krebspatienten ist es nahe liegend, gleich das ganze Genom zu untersuchen. Es ist daher zu erwarten, dass die Zahl der Kandidaten für eine solche Genom-Sequenzierung zunehmen wird. Eine Gefahr sehe ich darin, dass Genom-Sequenzierung von gesunden Personen in Anspruch genommen wird und dabei Gentests mit der Post unkommentiert verschickt werden - dies könnte zu totaler Verunsicherung und Fehlverhalten führen. Verbote allein sind hier nicht zielführend, da an Gentests interessierte Personen sonst im Ausland ihre Befunde einholen. Dafür ist nicht einmal eine Blutabnahme erforderlich, es reicht eine Sputum-Probe, die zur Befunderhebung verschickt werden kann. Vielmehr sollten diese Personen für eine genetische Beratung motiviert werden.

Die Furche: Wie wird die Gendiagnostik die Medizin künftig verändern?

Streubel: Prognosen sind schwierig, sicher ist nur: Es wird viel mehr Möglichkeiten genetischer Untersuchungen geben, und diese werden mit einem hohen Nutzen assoziiert sein. Auch hinsichtlich der Kosten werden Genom-Sequenzierungen sinnvoll sein. Der Kostenfaktor wird nicht ins Gewicht fallen, denn im Vergleich zu modernen Krebstherapien oder einem Intensivbett für Neugeborene hat die Gendiagnostik einen verschwindenden Anteil. Bei Patienten mit Tumorerkrankungen und Erbkrankheiten werden Analysen des ganzen Genoms zum Einsatz kommen, auch wenn nur bestimmte Gene weiter analysiert werden. Bei der großen Gruppe der multifaktoriellen Erkrankungen wie z.B. Demenz oder Diabetes hingegen ist der Stellenwert der Genom-Analyse noch nicht abschätzbar. Jedenfalls ist zu erwarten, dass dadurch eine bessere Einschätzung der Risiken ermöglicht wird.

Die Furche: Birgt die Gendiagnostik die Gefahr eines "gläsernen Patienten“ mit Datenmissbrauch?

Streubel: Die genetische Befunderhebung ist einer der geschütztesten Bereiche der Medizin. Eine "Genom-Gesundheitsakte“ wird der Gesetzgeber nicht erlauben, die Bevölkerung wird es nicht wollen, und darüber hinaus besteht auch keine Notwendigkeit dafür. In der Ethikdebatte wird oft übersehen, dass Genomdiagnostik unmöglich ist, wenn der Ratsuchende dies ablehnt. Und die Daten aus Genom-Analysen ergeben nur im Zusammenhang mit der ärztlichen Betreuung und Untersuchung einen Sinn. Bei der Genomdiagnostik ist es wichtig, im Hier und Jetzt zu leben, denn eine Debatte über Auswirkungen von künftigen Entwicklungen bleibt zwangsläufig spekulativ. Das Schreckgespenst des "gläsernen Menschen“ durch Genom-Analyse ist aus heutiger Sicht Unsinn.

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