Geheimnisvoller Zauber des Bernsteins

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Das "baltische Gold" lockte schon die Römer in den Ostseeraum

Schon in der Antike hat Bernstein auf die Menschen eine faszinierende Wirkung ausgeübt, als Schmuckstein oder als Heilmittel. Für unsere Breiten von großer Bedeutung war und ist der Bernstein aus dem Ostseeraum, das "baltische Gold" ...

Schwer gischen die Wellen über den flachen Strand. Der Himmel ist eisgrau. Frischer Wind vom Meer her sorgt für ein wenig Frösteln. Vereinzelt einige Menschen am Ufer, tiefgebückt suchen sie den nassen Sand ab. Blitzschnell wird ein dunkles "Steinchen" ergriffen und in einen Leinensack gesteckt, wieder hat ein Tourist ein Stück Bernstein gefunden.

Wir befinden uns an der Ostsee, nördlich der Kurischen Nehrung, in der baltischen Republik Litauen. Ganze Berufszweige leben hier vom Bernstein. Vom "baltischen Gold": Klar und durchsichtig oder voll mit Einschlüssen, honigfarben, orange, rot, schwarz oder weiß wie Elfenbein. Naturbernstein ist hier viel günstiger als im übrigen Europa, aber noch lange nicht billig. Billig hingegen ist der gepresste Bernstein, aus verflüssigtem Pulver geformt. Diese Form der Schmucksteine ist überall im Baltikum, meist bei Straßenläden gegen wenig Geld, am liebsten gegen D-Mark erhältlich.

Der ganze Stolz der Litauer gehört der Natur, den meterhohen Sanddünen und menschenleeren malerischen Stränden an der Kurischen Nehrung. Thomas Mann war 1929 hierher gekommen und ließ sich auf dem "Schwiegermutterberg" von einem Memeler Baumeister ein Haus errichten, das Mann mit seiner Familie ab dem Sommer 1930 bewohnte. "Joseph und seine Brüder" entstand hier, umtost vom Rauschen der Ostsee. Katia Mann erinnert sich: "Unser Haus lag sehr hübsch. Es lag mit Blick auf das Haff und im Rücken hatten wir den Wald. Jeden Morgen vor dem Frühstück gingen wir im Wald spazieren, und selten begegnete man wem." Das Haus ist heute liebevoll restauriert und soll in Zukunft zu einer Tagungsstätte der Thomas-Mann-Gesellschaft werden. Betreut wird das ehemalige Mann'sche Domizil von der Universität Klaipeda (Memel).

Natur und Leben sind heute im Baltikum ruhig, die Menschen sind freundlich und erinnern vom Aussehen her an Finnen, Schweden und Norweger. Jung und alt füllen auch an Wochentagen die Kirchen in einer Weise, wie es bei uns vielleicht noch vor fünfzig Jahren üblich war. Wer ein Versprechen zu geben hat, um einen nahen Angehörigen trauert oder sich für die Heilung einer Krankheit bedanken will, pilgert zum "Berg der Kreuze", dem Nationalheiligtum des Landes. Täglich strömen Scharen von Menschen herbei, die weitere Kreuze aufstellen, an größere anlehnen oder einfach dazuhängen.

Der Weg führt uns über das weite, auf viele, viele Kilometer ebene und gleichförmige Land zur alten Königsstadt Kaunas oder Klaipeda (früher Memel), die voll von Erinnerungen an die seinerzeitige deutsche Einwohnerschaft steckt: Vor dem Stadttheater (Teatro aikste) mit seinem "Ännchen von Tharau-Denkmal" ist schnell ein Einwohner der Stadt zur Stelle und singt den Touristen das bekannte Lied vor "Ännchen von Tharau ist die, die mir gefällt, sie ist mein Leben, mein Gut und mein Geld ..."

Mittelalterliches Flair

Wenige Kilometer nördlich des Kurischen Haffs liegt Palanga. Unweit des Strandes befindet sich der "Botanische Garten". Dieser 80 Hektar große Park wurde im letzten Jahrhundert von einem französischen Gartenarchitekten nach internationalen Vorbildern angelegt. Inmitten des Parks beherbergt das Neorenaissanceschloss von Palanga die größte Bernsteinsammlung der Welt. Das Museum wurde im Jahre 1963 eröffnet und geht auf eine Sammlung des Grafen Tiskevicius zurück. Die Sammlung enthält heute über 25.000 Exponate: Vom Rohbernstein bis zu den ausgefallensten und schönsten Schmuckstücken sowie Gebrauchs- und Dekorgegenstände.

Was wäre eine Reise an die Bernsteinküste ohne die Hauptstadt von Estland, Tallinn? Nach einem Abstecher in die Livländische Schweiz und zum legendären Schloss Rundale (Ruhental), erbaut vom Italiener Bartolomeo Francesco Rastrelli, dem Schöpfer des Winterschlosses Peters des Großen in St. Petersburg, liegt Tallinn mit seinen Mauern, Türmen und Toren vor uns.

Wer Tallinn nach kurzer Fahrt durch die Vororte, durch eines der Stadttore betritt, fühlt sich sofort ins Mittelalter zurückversetzt. Egal, ob es die schmalen Gassen, die engen Treppen, die Fassaden der reichen Hansehäuser oder das Kopfsteinpflaster ist - der Fremde schlendert verzaubert durch das mittelalterliche Flair enger Gassen und farbenfroher Plätze, vorbei an renovierten Kirchen, Klöstern und Bürgerhäusern. Selbstverständlich steht die gesamte Tallinner Altstadt unter Denkmalschutz. Trotz dieser Unterschutzstellung fühlt man sich nicht wie in einem Museum, sondern in einer lebendigen Stadt voll freundlicher Menschen und pulsierendem Leben, das besonders in den Nachtstunden unter malerischer Beleuchtung und dunkelblauem Himmel auch den Unromantischsten romantisch werden lässt.

Das Baltikum, viele Jahre unserem Gesichtskreis entrückt, in seiner Geschichte unserer eigenen so nah, birgt einen geheimnisvollen Zauber, der den Besucher aus dem Westen in kürzester Zeit in Bann schlägt.

Baltischer Bernstein

Der baltische Bernstein (Succinit, von lat. succinum = Bernstein) entstand vor etwa 55 bis 40 Millionen Jahren und stammt in erster Linie von harzreichen Kiefern. Im tertiären Eozän wuchsen im heutigen Baltikum dichte subtropische Wälder. Das Harz verhärtete, wurde von Flüssen dem Meer zugeführt und lagerte sich dort in der sogenannten "blauen" Erde vor allem an der Samlandküste des ehemaligen Ostpreußen, in Polen und an der "Bernsteinküste" der baltischen Länder ab.

Der baltische Bernstein eignet sich sehr gut zur Schmuckherstellung. Bereits aus der Altsteinzeit ist die Bearbeitung von Bernstein bekannt, besonders beliebt war das "baltische Gold" bei den Römern. Es wurde über die historische Bernsteinstraße von den Fundstätten an der Ostsee bis ans Schwarze Meer und zum Mittelmeer transportiert.

Die künstlerische Bearbeitung des baltischen Bernsteins erreichte ihre Blüte im 17. und 18. Jahrhundert im Gebiet um die Städte Königsberg und Danzig. Als bedeutendstes Kunstwerk dieser Zeit gilt das 1709 von Andreas Schlüter entworfene Bernsteinzimmer, ein Geschenk des Preußenkönigs Friedrich Wilhelm I. an Zar Peter den Großen, das 1755 in das Schloss von Zarskoje Selo bei St. Petersburg eingebaut wurde.

Seit 1945 ist das Bernsteinzimmer verschollen. Deutsche Wehrmachtssoldaten erbeuteten 1941/42 Teile des Zimmers und brachten sie nach Königsberg (heute Kaliningrad). Ein Großteil verbrannte dort bei Kriegsende, vermuten Kunsthistoriker. 1997 wurden ein Mosaik in Bremen und eine Kommode aus dem Bernsteinzimmer in Berlin gefunden. Deutschland gab 2000 beide Teile an Russland zurück.

Eine Rekonstruktion des Bernsteinzimmers soll bis zum 300-Jahr-Jubiläum von St. Petersburg im Jahr 2003 fertig sein.

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