Geister, erscheinet!

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Verdis "Macbeth" und Monteverdis "Il combattimento di Tancredi e Clorinda" bei den Wiener Festwochen.

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Verdis "Macbeth" und Monteverdis "Il combattimento di Tancredi e Clorinda" bei den Wiener Festwochen.

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Dass eine Regie, gegen die ein Spruch des Orakels von Delphi so unmissverständlich ist wie ein Gedicht von Wolf Martin, einem die schönste Musik vermiesen kann; dass eine feine, an der Entwicklung einer Geschichte orientierte Regie eine musikalisch mäßige Interpretation vergessen machen kann: das sind die Lehren aus den ersten beiden Musiktheateraufführungen der diesjährigen Wiener Festwochen.

Giuseppe Verdis "Macbeth" hat im Theater an der Wien einen schweren Start. Urheber dieses Übels ist der Mann am Pult: Richard Armstrong leitet das Orchester der Scottish Opera Glasgow akademisch und unterkühlt, emotionale und dramatische Spitzen werden nach Möglichkeit unterbunden. Nur die Hexen heizen ordentlich ein, wenn sie dem schottischen Edelmann Macbeth (Richard Zeller) die Königskrone prophezeien.

Doch ab dem zweiten Akt, wenn dem nunmehrigen König Macbeth beim festlichen Bankett der Geist seines von ihm beseitigten Freundes Banquo (Carsten Stabell) erscheint, kann der Dirigent die Kraft, die in Verdis Shakespeare-Bearbeitung steckt, nicht mehr unterdrücken. Luc Bondys meisterhafte Personenführung und detailreiche, im besten Sinne des Wortes konservative Regie machen von da an die fehlende Magie im Orchestergraben wett. Da erweist sich auch das Bühnenbild ein schlichtes Rund aus edlen Hölzern, als zeitloser Raum, der "Macbeth" zum gleichsam klassischen Mythos erhebt - obwohl die Kostüme dem Mittelalter verpflichtet sind, so wie die gesamte Inszenierung wohl als "werktreu" zu bezeichnen ist.

Wunderbar arbeitet Bondy die verhängnisvolle Beziehung zwischen Macbeth und seiner Lady (Kathleen Broderick) heraus: Er, der Zauderer, der Getriebene, der von Wahnvorstellungen Geplagte, der nur am Schlachtfeld ganz in seinem Element ist, sie, die Entschlossene, die Treibende, die kühl Kalkulierende, die als Strafe für dieses unweibliche Verhalten dem Wahnsinn verfällt.

Auch die Freunde schöner Stimmen kommen auf ihre Kosten: Richard Zeller meistert die Titelpartie tadellos, Marco Berti als sein Bezwinger Macduff glänzt mit seinem prachtvollen Tenor. Bei Kathleen Broderick fragt man sich lange: Ist sie überfordert oder gehorcht sie dem Verdikt Verdis, die Lady Macbeth müsse mit "rauher, erstickter, hohler" Stimme singen? Brodericks gefällige, aber ausgezeichnete Interpretation der Schlafwandlerszene legt zweiteres nahe. Ab diesem Zeitpunkt schöpft plötzlich auch das Orchester aus dem Vollen. Vielleicht ist dem Dirigenten der Geist Verdis erschienen...

Claudio Monteverdi ist bei der Aufführung seines Spieles "Il combattimento di Tancredi e Clorinda" sicher nicht zugegen, obwohl das Ensemble Concerto sehr schön musiziert. Manchmal allerdings zupfen und schlagen die Musiker, als wäre der Leibhaftige hinter ihnen her - dabei ist es nur Roberto Gini, der sich auf den Schwerpunkt Rhythmus versteift. Die Sänger, allen voran Vicenzo Di Donato als Tankred, bleiben jedoch am Boden und bringen mehr Italianita in ihre Partien, als man es hierzulande bei Barockmusik gewohnt ist.

Das Stück basiert auf Torquato Tassos Epos "Gerusalemme liberata" und schildert den unglücklichen Zweikampf zwischen dem Kreuzritter Tankred und der äthiopischen Amazone Clorinda. Der Recke erkennt seine Geliebte nicht und verwundet sie tödlich; bevor sie dahinscheidet, lässt er ihr die Taufe zuteil werden. Romeo Castellucci hat die Figuren verdoppelt, jede wird von einem Sänger und einem Schauspieler verkörpert. Aus den Kreuzrittern hat der Regisseur Ärzte gemacht, die in einer seltsamen Klinik mit angeschlossener Samenbank werken. Zwar gelingen Castellucci einige kraftvolle Bilder - etwa an die Wand projizierte lebende Samenzellen eines Hengstes - doch bleibt die das Gezeigte weitgehend sinnfrei; nicht einmal Bedeutungsfragmente sind auszumachen, die so etwas wie eine Handlung oder eine verschlüsselte Botschaft erahnen ließen. Möglicherweise ließe eine vorhergehende 20-seitige Exegese den Geist der Vernunft in die Sofiensäle einziehen, doch Theater sollte sich dem Publikum doch unmittelbar, ohne Gebrauchsanweisung erschließen.

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