Gelbe Karte statt Liebesbrief

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Erst kürzlich wurden sie feierlich als EU-Beitrittskandidaten begrüßt. Nun sind schon die ersten Warnbriefe unterwegs: Bulgarien und Rumänien bläst der rauere Brüsseler Wind ins Gesicht.

Europas Kapitäne haben es in diesen Tagen nicht leicht. Schließlich steht beim eu-Krisengipfel in Luxemburg allerhand zur Diskussion: die Zukunft der Europäischen Verfassung, das eu-Budget für die Jahre 2007 bis 2013 und die Gretchenfrage nach den künftigen Grenzen der Europäischen Union. Jede Menge Klippen, die zu umschiffen sind. Erst recht für Olli Rehn. Der finnische eu-Erweiterungskommissar steht vor dem schier unlösbaren Problem, die wachsende Skepsis "Kerneuropas" gegenüber dem Projekt eu ernst zu nehmen - und zugleich gegenüber den hoffnungsvollen Beitrittskandidaten pakttreu zu sein. Erst im April haben etwa die Staats- und Regierungschefs die künftigen eu-Kollegen Rumänien und Bulgarien willkommen geheißen. Bereits am 1. Jänner 2007 sollen sie Mitglieder sein - allerspätestens ein Jahr danach, falls man in Bukarest und Sofia säumig ist und die erstmals eingeführten harten Schutzklauseln zum Tragen kommen. Auch Kroatien sollte bald dazustoßen - und nicht zuletzt stehen ab 3. Oktober die Verhandlungen mit Ankara am Programm.

Ein ehrgeiziges Programm - zu ehrgeizig für die schlechte Stimmung. Nicht nur am Beitritt der Türkei, auch an jenem Kroatiens wird mittlerweile offen gezweifelt. Die eu könne die geplanten Beitrittsverhandlungen mit Kroatien vorerst nicht aufnehmen, verkündete Olli Rehn vergangenen Freitag. Ausschlaggebend sei, dass uno-Chefanklägerin Carla Del Ponte Kritik an der "nicht vollständigen Zusammenarbeit" Kroatiens mit dem Haager Kriegsverbrechertribunal geübt hatte.

Im Fall Rumäniens und Bulgariens ist es für eine Abfuhr zu spät. Für Liebesentzug nicht: "Beide Staaten sind auf dem richtigen Weg, aber es gibt Verzögerungen in einigen Bereichen", meinte Olli Rehn und bestätigte Warnbriefe an die beiden Staaten. Immerhin sieben sind es an die Adresse Bukarests - in den Bereichen freier Güterverkehr, Unternehmensrecht, Wettbewerb, Landwirtschaft, Steuern, Umwelt, Justiz und Inneres. Soll der Fortschrittsbericht der Kommission im November dieses Jahres positiv ausfallen, muss sich Bukarest beeilen.

Dabei fällt die neue, rechtsliberale Regierung unter Calin Popescu-Tariceanu ohnehin durch Übereifer auf: Die Herabsetzung der Steuern auf 16 Prozent hat mittlerweile zu einer Überhitzung geführt (siehe Kasten). Im Jahr 2004 ist die Wirtschaft um über acht Prozent gewachsen. Der größte ausländische Investor: Österreich. Auch im Bereich der Justiz hat Tariceanu bisher hart durchgegriffen: Seit Anfang 2005 überrollt eine Lawine von Strafverfahren das Land - und überfordert die Staatsanwälte.

Dessen ungeachtet sind die Herausforderungen groß, meint Ewald Nowotny, von 1999 bis 2003 Vizepräsident der Europäischen Investitions-Bank, der "Hausbank" der eu: "Das Grundproblem ist der gewaltige Unterschied im Pro-Kopf-Einkommen, woraus sich ein gewaltiger Abwanderungsdruck ergeben wird", meint er im Furche-Gespräch. Derzeit liege das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen bei circa 28 Prozent des Einkommens in den eu-15. Umso wichtiger seien konkrete und wirksame Übergangsfristen - "am Arbeitsmarkt mindestens zehn Jahre", fordert der Ökonom.

"Es gibt schon eine Fülle von Übergangsfristen", kontert Othmar Karas, Wirtschaftssprecher der Europäischen Volkspartei. Der Fortschrittsbericht werde zeigen, ob Rumänien 2007 oder 2008 beitreten könne. Im Übrigen seien die Beitrittsverträge "einstimmig" unterschrieben worden, erinnert Karas: "Und ich bin ein Anhänger des Grundsatzes, dass Veträge einzuhalten sind - pacta sunt servanda."

Sorgenkind auf Aufholjagd

"Heute beginnt die Modernisierung der rumänischen Gesellschaft", verkündete Premier Calin Popescu-Tariceanu in seiner ersten Regierungserklärung Ende Dezember 2004. Und der rechtsliberale Premier ließ die 21,7 Millionen Rumänen nicht lange warten: Um die Wirtschaft anzukurbeln, fixierte er am 1. Jänner einen einheitlichen Steuersatz von 16 Prozent. Die Wirtschaft dankte es ihm - fast zu sehr: "Wir stellen eine ziemlich große Überhitzung fest", analysiert Gábor Hunya vom Wiener Institut für Internationale Wirtschaftsvergleiche (wiiw). So stiegen im ersten Quartal 2005 die Nettolöhne um 13 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auch die Inflation stieg leicht an und beträgt nun 8,8 Prozent - kein Vergleich freilich zu den 59,1 Prozent von 1998. Tendenziell sinkend ist die Arbeitslosigkeit mit 6,2 Prozent - wobei in einigen Landesteilen (etwa der südlichen Walachei) bis zu zwölf Prozent ohne Arbeit sind. Über 40 Prozent der Rumänen leben dessen ungeachtet unter der Armutsgrenze, der Durchschnittslohn beträgt 177 Euro. Indes plant man schon den nächsten Schritt: eine Währungsreform. Entsprechen derzeit rund 36.000 Lei einem Euro, so werden am 1. Juli die letzten vier Stellen des Leu (übersetzt "Löwe") gestrichen. DH

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