Gemäßigte Muslime werden hörbarer

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Leonard Swidler, katholisches Urgestein des interreligiösen Dialogs, über die Nachwirkungen der weltweiten islamischen Proteste. Das Gespräch führte Otto Friedrich

Er ist ein katholisches "Urgestein“ im interreligiösen Dialog beinahe so alt wie der Papst. Und er war mit Joseph Ratzinger und Hans Küng Anfang der 1970er Professor in Tübingen. Heute ist Leonard Swidler, 83, Professor an der Temple University in Philadelphia, und immer noch in Sachen Dialog aktiv. Die FURCHE erreichte den Nimmermüden in Jakarta, um ihn über seine Einschätzung der Proteste in der islamischen Welt gegen das Anti-Islam-Video zu befragen.

Die Furche: Sie befinden sich gerade in Indonesien, dem bevölkerungsreichsten islamischen Land. Wie ist die Lage nach den Auseinandersetzungen rund ums Video "The Innocence of Muslims“?

Leonard Swidler: Ich habe in den letzten Tagen mit indonesischen Freunden und Kollegen viel darüber gesprochen. Und ich muss sagen, dass hier ein ganz anderes islamisches Umfeld sichtbar ist als im Nahen und Mittleren Osten. Es geht hier viel friedlicher zu. Ich habe heute auch mit Professor Luthfi Assyaukanie, der Mitglied in der Organisation "Liberaler Islam“ ist, über die Bürgermeisterwahl in der Zehn-Millionenstadt Jakarta am 20. September gesprochen, bei der der Amtsinhaber, der die Religions- und Rassenkarte gespielt hat, abgewählt wurde. Jetzt hat Jakarta einen gemäßigten muslimischen Bürgemeister und - was viel brisanter ist - einen christlichen Vizebürgermeister, der ethnischer Chinese ist. Mein Kollege meinte, das sei geschehen, weil die Menschen die rassistische und islamorientierte Politik des bisherigen Amtsinhabers abgelehnt haben. Ich finde das sehr interessant. Luthfi Assyaukanie sagt auch, dass die muslimische Bevölkerungsmehrheit in Indonesien auf der einen Seite, wie er es ausdrückt, immer "frömmer“ wird und gleichzeitig viel toleranter und liberaler in den öffentlichen und politischen Angelegenheiten. Das ist eine ganz andere Entwicklung als jene, die wir im Nahen und Mittleren Osten beobachten.

Die Furche: Sollten sich die Europäer und der Westen gerade für muslimische Gesellschaften wie die indonesische interessieren?

Swidler: Ich denke, ja. Sehr! Natürlich gibt es auch hier Schwierigkeiten. Jeder erzählt mir etwa, dass einige Radikale, die hierher kommen, Probleme machen - nicht zuletzt aus Saudi-Arabien - und die den sehr konservativen Islam von dort hierherbringen wollen. Aber dennoch ist es ganz anders als in Bangladesch, Pakistan oder Indien. Es geht hier einfach viel offener und freundlicher zu. Vor einigen Tagen hat die Zeitung Jakarta Post in großer Aufmachung über die Wirtschaftsanalyse eines Schweizer Beratungsunternehmens berichtete. Nach dieser Untersuchung haben China und Indonesien hohe Zuwachsraten an Wohlstand zu verzeichnen. Das BIP hier ist etwa um mehr als sechs Prozent gewachsen. In den USA kann man von solchen Wachstumsraten nur träumen! Und eine klare Botschaft dieser Daten ist: Die positiven Beziehungen innerhalb der Gesellschaft - und dazu gehören auch die religiösen Beziehungen - haben einen positiven Effekt auf die wirtschaftliche Entwicklung.

Die Furche: Kann man also sagen: Der Konflikt rund um das antiislamische Video ist umso größer gewesen, je schlechter die wirtschaftliche Lage in den jeweiligen islamischen Ländern ist?

Swidler: Das wage ich nicht generell zu beantworten, zumal ich ja auch nicht die Lage in allen islamischen Gesellschaften überblicken kann. Aber was ich hier höre, ist, dass die Schwierigkeiten, die es hier mit der Manifestation von Religion gibt, aus dem Einfluss eines sehr konservativen Islams von Saudi-Arabien und Nahost im Allgemeinen resultiert. Dem entgegen ist die allgemeine Stimmung viel offener.

Die Furche: Wie bewerten Sie aber die Reaktionen auf den Film in den arabischen Löndern?

Swidler: Ich war seit der Veröffentlichung des Anti-Islam-Videos weder in Saudi-Arabien noch sonstwo im Nahen und Mittleren Osten, aber ich habe seitdem einige Artikel gelesen - einer davon auch auf Deutsch! - in denen muslimische Autoren festgestellt haben, dass die gewalttätigen Proteste völlig antiislamisch sind, sie wurden sogar als Schlag ins Gesicht von Mohammed bezeichnet. Einer dieser muslimischen Gelehrten führte eine Fülle an Zitaten aus dem Koran und den Überlieferungen aus dem Leben Mohammeds an. Dort heißt es etwa: Als Mohammed angegriffen und einmal sogar mit Steinen attackiert wurde, wies er seine Anhänger an, nicht mit Gewalt zu reagieren, sondern zu versuchen, mit den Angreifern auf eine faire Art zu reden. Solche Stimmen muslimischer Gelehrter waren für mich einerseits neu und anderseits sehr ermutigend. Von meiner kleinen Warte aus habe ich den Eindruck, dass mehr gemäßigte Muslime gegen die gewalttätig extremistischen Muslime die Stimme erheben. Und das ist eine positive Entwicklung.

Die Furche: Rund um die Konflikte um die dänischen Mohammed-Karikaturen vor sechs Jahren haben Sie das noch nicht so beobachtet?

Swidler: Ich denke schon, dass sich hier etwas verändert hat. Für mich handelt es sich aber auch um eine Entwicklung, die eigentlich bereits mit 9/11 begonnen hat. Denn vor den Anschlägen gab es auf muslimischer Seite kaum eine Bemühung, etwa mit Christen ins Gespräch zu kommen. Nachdem der unmittelbare Schock von 9/11 vorbei war - und das dauerte in Summe schon fünf, sechs Jahre - entstand dann beispielsweise der Brief, den 138 muslimische Gelehrte an den Papst und andere christliche Kirchenoberhäupter geschrieben haben. Auch dass sich König Abdullah von Saudi-Arabien für den interreligiösen Dialog engagiert, gehört - trotz der oben angesprochenen Probleme - zu diesen Entwicklungen. Und was nun in der islamischen Welt auf die gewalttätigen Proteste als Antwort geschieht, ist etwas Ähnliches. Gewalt ist natürlich etwas sehr Schlimmes. Aber es gibt auch die positive Konsequenz, dass gemäßigte Muslime vermehrt beginnen, ihre Stimme zu erheben.

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