Gemeinsam statt einsam

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Paris zählt innerhalb seiner administrativen Grenzen nicht viel mehr als zwei Millionen Einwohner. Dass die französische Kapitale dennoch als Weltstadt gilt, verdankt sie der Siedlungsagglomeration um sie herum, die das gesamte Ballungsgebiet zu einem gemeinsamen Lebensraum von zehn bis zwölf Millionen Menschen macht. Nun ist die Seine-Metropole kein Maßstab für die Donau-Metropole oder gar andere österreichische Städte. Doch im Unterschied zu Österreich, wo nicht nur ein absurder Föderalismus mit neun Landesraumordnungsgesetzen und neun Bauordnungen, sondern auch die Kirchturmpolitik der 2354 Städte und Gemeinden das Siedlungsbild bestimmen, hat Frankreich wie viele andere europäische Staaten längst erkannt, dass die Stadt- und Verkehrsplanung der großen Zentren nicht mehr innerhalb der oft aus dem 19. Jahrhundert stammenden kommunalen Grenzen erfolgen kann.

Konsequente Raumordnung

Dank konsequenter Raumordnungspolitik wurde der Großraum Paris, die Île-de-France, ab den 1960er Jahren von einem monozentrischen Ballungsraum zu einer polyzentrischen Stadtregion entwickelt: durch die Errichtung von Satellitenstädten - sogenannter "Villes Nouvelles“, durch den Aufbau des leistungsfähigen regionalen Schnellbahnnetzes R.E.R. sowie durch eine aktive Bodenpolitik der öffentlichen Hand, die für wichtige Baumaßnahmen Grundstücke ankaufte und erschloss. Raumordnung ist in Frankreich trotz jüngster Regionalisierungsbestrebungen nach wie vor Staatssache. Die einzelnen Regionen mit ihren Departements haben sich vor allem auf die Konkretisierung und Umsetzung des nationalen Raumordnungsplans zu beschränken. Diese starke Zentralisierung erzeugt natürlich ein gewisses Defizit an Bürgerbeteiligung - mit der es im dezentral geplanten Österreich allerdings auch nicht weit her ist -, begünstigt aber übergeordnete Planungen und effiziente Investitionen, weitgehend unbeeinflusst von lokalen oder regionalen Einzelinteressen.

Mit den heimischen Ballungsräumen eher vergleichbar sind die deutschen Stadtregionen. So wurden die baden-württembergische Landeshauptstadt und die fünf angrenzenden Landkreise mit 179 Kommunen 1994 zum "Verband Region Stuttgart“ zusammengeschlossen, in dessen Zuständigkeit seither alle regional bedeutsamen Aufgaben fallen: Siedlungsentwicklung und Landschaftsschutz, Wirtschaftsförderung, Infrastrukturplanung und Öffentlicher Verkehr. Widerstand gab es seitens einiger Bürgermeis-ter und Landräte, die durch die Beschneidung ihrer Befugnisse einen deutlichen Machtverlust hinnehmen mussten. Die Landesregierung aber verpflichtete die Kommunen und Landkreise per Gesetz zur Kooperation. Zur demokratischen Legitimierung des Regionalverbands wurde erstmals im deutschen Sprachraum ein Regionalparlament eingerichtet, dessen Abgeordnete direkt von den Bürgern gewählt und nicht etwa von den Gemeinden entsandt werden. Damit wird verhindert, dass sich kommunale Egoismen auf regionaler Ebene fortsetzen.

Noch weiter fortgeschritten ist dieser Integrationsprozess in der niedersächsischen Hauptstadtregion, die sich 2001 durch den Zusammenschluss Hannovers und des umgebenden Landkreises mit seinen 20 Städten und Gemeinden konstituierte. Dabei genießt die "Region Hannover“ aufgrund der positiven Erfahrungen aller Kooperationspartner breite Akzeptanz und musste nicht "von oben“ verordnet werden. Sie hat beinahe die Kompetenzen eines Bundeslandes und ist nicht nur für Raumordnung und Verkehrsplanung zuständig, sondern auch für das Gesundheits-, Sozial- und Schulwesen sowie für Wirtschafts- und Wohnbauförderung.

So wie Wien inmitten Niederösterreichs liegt, liegt die deutsche Bundeshauptstadt Berlin inmitten Brandenburgs. Die Rivalität zwischen Metropole und Provinz erscheint an der Spree aber um Vieles geringer als an der Donau. Für das Jahr 1999 war sogar eine Vereinigung von Berlin und Brandenburg zu einem Bundesland geplant, die Bevölkerung Brandenburgs sprach sich 1996 jedoch dagegen aus. Immerhin aber wurden unter anderem die beiden Landesplanungsämter zu einer gemeinsamen Planungsbehörde zusammengelegt, auf dass seither alle raumplanerischen Entscheidungen die Zustimmung beider Landesparlamente erfordern.

Die Hauptziele für den Großraum mit seinen sechs Millionen Einwohnern sind der Ausbau des regionalen Schienennetzes sowie die "dezentrale Konzentration“ der Siedlungsstruktur: Sechs brandenburgische Städte, die in 60 bis 100 Kilometer Entfernung wie ein Kranz um Berlin herum liegen, sollen als regionale Zentren den Entwicklungsdruck auf die Bundeshauptstadt und ihr Umland mindern. Das Regionalbahnnetz wiederum gibt vor, wo neue Wohn- und Gewerbegebiete entstehen dürfen - und wo nicht. So konzentriert sich die Bautätigkeit seit Jahren schon auf Standorte entlang der Schienenachsen. Und der "Regional-Express“ konnte seine Fahrgastzahlen binnen fünf Jahre verdoppeln.

Verhinderung der Zersiedlung

Die Region Randstad ist mit über sieben Millionen Einwohnern einer der dichtest besiedelten Ballungsräume Europas. Knapp die Hälfte der niederländischen Bevölkerung lebt in der Agglomeration um die Städte Amsterdam, Utrecht, Den Haag und Rotterdam. Seit der Nachkriegszeit ist es ein Hauptziel der staatlich dominierten Raumplanung, die Grünräume zwischen den Siedlungsschwerpunkten trotz des massiven Entwicklungsdrucks zu erhalten. Auf Drängen der Regierung kommt es seit 1990 zu einer informellen Zusammenarbeit der vier Großstadtregionen und der betroffenen Provinzen. Die kleineren Umlandgemeinden zwang die Regierung mit einem einfachen Modell zur Kooperation: Der Staat vergibt bestimmte Kontingente an geförderten Wohnungen nicht an einzelne Kommunen, sondern an die jeweilige Stadtregion - mit der Auflage, sie an den geeignetsten Standorten zu errichten. Auf diese Weise konnte die Zersiedlung durch Wohnbauten eingedämmt werden.

Die wohl beeindruckendste Stadtregion aber entstand in Skandinavien, wo sich seit Fertigstellung der 16 Kilometer langen Øresund-Brücke über die Ostsee im Jahr 2000 die dänische Hauptstadt Kopenhagen und das südschwedische Malmö zunehmend als Einheit verstehen. Mittlerweile kooperieren nicht nur die Flughäfen, die Wirtschaftskammern oder die Universitäten - die Øresund-Region funktioniert auch als ein Wirtschafts- und Siedlungsraum. Dabei profitiert das strukturschwache Malmö von der florierenden Wirtschaft auf dänischer Seite. Und das prosperierende Kopenhagen, das sich bereits bis zu 40 Kilometer ins Hinterland ausdehnt, findet auf schwedischer Seite neue Entwicklungsmöglichkeiten.

Die Chancen einer internationalen Stadtregion böten sich seit 1990 auch für Wien: Keine 60 Kilometer trennen die österreichische von der slowakischen Hauptstadt. Von beiden Seiten wurden verschiedenste Programme und Projekte für eine Annäherung der benachbarten Wirtschaftszentren entwickelt. Allein, konkrete Ergebnisse lassen auch ein Viertel Jahrhundert nach der Ostöffnung auf sich warten. So war es bis heute nicht möglich, die direkte Schienenverbindung zwischen Wien und Bratislava adäquat auszubauen - sie beschränkt sich auf eine eingleisige, nicht elektrifizierte Trasse durchs Marchfeld. Obwohl nicht die Ostsee, sondern nur das Flüsschen March die beiden Städte trennt.

* Der Autor ist Raumplaner, Filmemacher und Fachpublizist in Wien und Mitglied der Deutschen Akademie für Städtebau und Landesplanung |

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