"Common Ground“ lautet das Motto, unter das David Chipperfield die 13. Mostra Internazionale di Architettura in Venedig 2012 gestellt hat. Auf diesem Grund hat freilich fast alles Platz.
Es ist ein Ritual: Alle zwei Jahre strömen mehr oder weniger arrivierte Architekturschaffende, deren Jünger, Professoren, Journalisten, Studenten und Interessierte aus aller Welt zur Eröffnung der Architekturbiennale nach Venedig. Man trifft einander und diskutiert darüber, was hier verhandelt wird. Die Biennale ist so etwas wie ein Spiegel der Branche. Es ist eine doppelte Reflexion, nach innen und außen. Bis 25. November kann sich jeder aus den Mosaiksteinen diverser Ansätze, die hier gezeigt werden, sein eigenes Bild machen.
"Common Ground“ lautet das Motto, unter das David Chipperfield die 13. Architekturbiennale gestellt hat. Man hat auf eine Absage an den Starkult, der schon langsam ermüdet, gehofft - und auf die prominente Positionierung von prozessorientierten und partizipativen Gruppen. Dies hat sich nur sehr partiell erfüllt: Die Hauptausstellung im Arsenale interpretiert den "Common Ground“ - die Allmende oder den gemeinsamen Boden - so grundsatzphilosophisch, dass darunter fast alles Platz hat. "Wir wollen demonstrieren, dass die Qualität von Architektur von gemeinsamen Werten abhängt“, so Chipperfield.
Die Ausstellung im Arsenale zeigt Projekte, Installationen, Filme und Modelle unterschiedlicher Architekturen stets im Kontext einer kollektiven Erfahrung. Hier werden so viele Bezüge aufgenommen und hergestellt, dass eine gewisse Ratlosigkeit bleibt. Wahrscheinlich macht aber gerade diese disperse Vielfalt den "Common Ground“ gegenwärtiger Architektur aus.
Star-Architektur für den Pharmakonzern
Als roter Faden ziehen sich die distanziert-kühlen Fotos der "unconscious places“ von Thomas Struth durch die Schau. Die präzisen Aufnahmen oft menschenleerer Straßen in New York, Lima, St. Petersburg, Berlin oder Pjöngjang dokumentieren unaufgeregt den "Common Ground“ des urbanen Rasters von 1978 bis 2010. Etwas befremdlich mutet die Präsentation des Novartis-Campus in Basel an. Der Masterplan stammt von Vittorio Magnano Lampugnani. Die Büros auf der Fabrikstraße wurden von großen Architekten geplant: Marco Serra, SANAA, Peter Märkli, Yoshio Taniguchi, Vittorio Lampugnani, Rafael Moneo, Adolf Krischanitz, Juan Navarro Baldeweg, David Chipperfield und Tadao Ando. Eine Perlenkette von Star-Architektur, die sich nur ein potenter Pharmakonzern leisten kann. Über den "Common Ground“ kann man spekulieren: die Bedeutung des Projekts als "Role Model“ oder ein subtiler Kommentar zur Tatsache, dass Pharmazeutika zum Funktionieren der Gesellschaft unabdingbar sind.
Umsichtig und sensibel hingegen die stille Transformation der Schweizer Ortschaft Monte Carasso im Tessin, deren sukzessiver Umgestaltung Luigi Snozzi fast ein ganzes Architektenleben widmete. Sehr schön ist auch die spirituelle Erkundung des "Common Ground“ auf der Ruta del Peregrino in Mexiko, einem alten Pilgerweg.
In den Länderpavillons wird der gemeinsame Grund viel deutlicher spürbar. Amerika präsentiert ausschließlich von engagierten Menschen selbst initiierte Projekte. Auf jeder Fahne, die hier von einem Seilzug hängt, lässt sich nachlesen, wie Stadtbewohner ein Problem, das als Gegengewicht von der Wand baumelt, gelöst haben. Zieht man die Fahne hinunter, um mehr über die Initiative zu erfahren, hebt sich das Gewicht mit dem Problem. Dem Mangel an Freiraum begegnete die Gruppe "Jackson Heights Green Alliance“ beispielsweise damit, dass sie die Stadtverwaltung dazu brachte, eine befahrene Straße temporär zum autofreien Spielplatz machen zu dürfen. Über 120 solcher Geschichten sind hier zu entdecken.
Avatare und reale Besucher gespiegelt
Den österreichischen Pavillon ließ Kommissär Arno Ritter von Architekt Wolfgang Tschapeller gestalten. Mit Rens Veltman und Martin Perktold setzte Tschapeller die sehr feinsinnige Installation "hands have no tears to flow“ (Counterblast, Marshall McLuhan, 1954) im Hoffmann-Bau um. Sie thematisiert die Grenzen des Körpers im Zeitalter von virtuellen Welten, Humanbiologie, Pränataldiagnostik etc. Auf den weißen Wänden bewegen sich computergenerierte Figuren, die teils zu Menschenknäueln verwachsen sind. Einige dieser digitalen Individuen gehen kopfüber am Plafond entlang, lösen sich an den Händen in Sand auf oder führen Bewegungen aus, die zwischen gleiten und schwimmen oszillieren. Diese täuschend dreidimensional wirkenden Figuren spiegeln sich in einer Folie, die den Raum, die Avatare und die realen Besucher scheinbar verdoppelt und noch mehr zu einer Einheit werden lässt. Einige der digitalen Figuren reagieren auf Bewegung. Eine Architektur der Zukunft sollte das auch können.
Bauen nach Fukushima
Den "Goldenen Löwen“ für den besten Pavillon bekam Japan. Toyo Ito kuratierte den Beitrag "Architecture. Possible here? Home-for-All“. Er stellt der Architektur anhand der Katastrophe des Tsunami die Sinnfrage. Drei junge japanische Architekten - Kumiko Inui, Sou Fujimoto und Akihisa Hirata - haben am Entwurf eines Hauses für alle mitgearbeitet. An den Wänden hängen Panoramaaufnahmen des Fotografen Naoya Hatakeyama, der in der komplett zerstörten Stadt Rikuzentakata geboren ist. Sie zeigen die Verwüstung. Ein Interview mit Hatakeyama macht das Trauma deutlich, das der plötzliche Verlust von allem auslöst. Hunderte Modelle illustrieren den Versuch, für die Gemeinschaft nach der Katastrophe ein angemessenes Gebäude zu entwickeln. Besuche vor Ort und Gespräche mit den Betroffenen führten schließlich zum Entwurf des "Home-for-All“, das nun gebaut wird. Filme dokumentieren den Prozess bis zur Zeremonie, bei der ein Priester den Bauplatz weihte, um den Shinto-Gott gewogen zu stimmen. Ein hoffnungsvoller Beitrag.
Der russische Pavillon widmet sich dem "Common Ground“ des Wissens. Im Erdgeschoß lassen sich in weißen Lichtpunkten an der Wand Fotos aus einer der über sechzig "gated towns“ entdecken, wo in der kommunistischen Ära geforscht wurde. Die Existenz dieser "Naukograds“ war geheim. Im ersten Stock wird ein Prestigeprojekt präsentiert: "Skolkovo“ heißt die künftige i-city, an der große Architekten wie Pierre de Meuron, Rem Koolhaas, Kazuyo Sejima, Mohsen Mostafavi, David Chipperfield, Stefano Boeri und andere mitgeplant haben. Wände und Kuppel der oberen Räume sind mit einer Oberfläche aus QR-Codes überzogen. Sobald man sie mit dem iPad einscannt, beginnt die virtuelle Präsentation eines Projektes. Ein Anerkennungspreis.