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Zu "Geografie und die Politik der Mobilität" in der Generali Foundation.

Und "sie dreht sich doch", schon seit mindestens 370 Jahren, und "alles fließt" bereits zweieinhalb Jahrtausende lang. Und gemeinsam mit ihr - darf man noch Mutter Erde sagen? - ereilt dieses Schicksal auch die Menschen. Warum hier also großmächtig Neuigkeiten erwarten? Warum sich nicht in die ewige Wiederkehr des Gleichen zurücklehnen, die Welt sich drehen und mit ihr alles einfach rinnen lassen?

Noch viel länger haben wir die Erde mit fiktiven Grenzlinien überzogen, sie aufgrund zumeist recht willkürlicher Begründungen in Orte, Gebiete, Länder, Staaten eingeteilt. Wir haben uns aus den Tierreichen ausreichend Überbleibsel vom Revierabstecken konserviert und schließlich in ausgefeilte und auch grausame Systeme weiterentwickelt. Üblicherweise nennen wir dies Geografie.

Bereits Anfang der neunziger Jahre hatte Alfredo Jaar in der künstlerischen Aufarbeitung eines derartigen Gebietes, nämlich der Ölindustrie in Nigeria, zu einer klaren Zusammenfassung gefunden: Geografie=Krieg. Das Resultat seiner künstlerischen Untersuchung deckte die Machenschaften auf, die sich hinter dem harmlosen und neutralen Wort Geografie verbergen. Denn die Einteilungen, welcher Art auch immer, auf die die Geografie aus ist, fallen nicht einfach vom Himmel, sondern sind menschengemacht und von Interessen geleitet, denen man nicht immer ganz hehre Ziele nachsagen kann.

Kunst zeichnet neue Welt

Über die Jahre herauf entwickelte sich so etwas wie eine eigene Kunstsparte. Und wie so oft, wenn man um seinen Namen, seine Corporate Identity kämpft, gilt es erst einmal, sich - wiederum geografisch interpretierbar - abzugrenzen. So formulierte Irit Rogoff, eine der Vordenkerinnen für die Ausstellung "Geografie und die Politik der Mobilität", die Frage, ob vielleicht die Kunst in der Lage ist, die grundlegenden Umwälzungen abzubilden, die sich in der postkolonialen, postmigratorischen und postkommunistischen Welt ereignet haben und sich nach wie vor ereignen, nachdem die herkömmliche Geografie als akademische Disziplin dies nicht zuwege brachte. Ob die Geografen diesen Vorwurf so einfach hinnehmen, bleibt dahingestellt, verstehen sie sich doch seit langem nicht nur als eine Wissenschaft, die die Erdoberfläche beschreibt, sondern die auch in der Sozialgeografie die Beziehungen zwischen unterschiedlichen sozial und landschaftlich geprägten Verhaltensgruppen und Lebensformen einerseits und geografischen Räumen andererseits untersucht. Zum anderen ist das künstlerische Eigenverständnis der in dieser Schau vertretenen Gruppen ein sehr spezifisches. Journalistischer Recherche und wissenschaftlicher Methodik kommt eine zentrale Stellung zu, sie wollen Wissen zusammentragen oder überhaupt erst produzieren, und das Ziel der Ausstellung besteht auch nicht darin, "abgeschlossene Kunstwerke zu präsentieren, sondern Einblicke zu geben in eine netzwerkgestützte Kunst und in eine intellektuelle Gemeinschaft", wie die Kuratorin Ursula Biemann im Katalogbuch schreibt. Damit nehmen die Künstlerinnen eine Mittelposition zwischen dem, was man klassischerweise als Kunst und als Wissenschaft verstand, ein.

"Geophilosophie"

In dieser Mittlerposition erkundeten künstlerische Blicke Schicksale von Menschen, die sowohl durch den Rost der Schlagzeilen der Weltneuheiten als auch durch den Rost der Unterhaltungsindustrie Kunst fallen. Alle diese Menschen sind in kulturellen und operativen Systemen gefangen, die ihnen die Richtung ihrer Bewegungen vorgeben und denen sie mehr oder minder sklavisch folgen müssen. Die besondere Herangehensweise der Ausstellung "Geografie" liegt darin, dass sie diese Systeme in geografischen Kategorien vor Augen führt. Ein Versuch, künstlerische Kartografie zu betreiben. Man spürt in einigen Arbeiten und auch in den dazu entwickelten Texten den Einfluss, den die Philosophie von Gilles Deleuze und Felix Guattari ausübt, auch wenn dies kaum eingestanden wird. Die beiden haben ihre Philosophie bereits als Kartografie verstanden, haben selbst Karten angelegt, ihnen verschiedene Namen wie Rhizom, Plateau, Ritornell oder Strata gegeben und schließlich laut Eigendefinition "Geophilosophie" betrieben. Die geophilosophische Karte spielt dabei eine entscheidende Rolle, wird aber gleichzeitig in ihre Grenzen gewiesen. Die Menschen werden als geografische Körper beschrieben, es geht "um Körper mit einem Reiseplan. Es geht um reisende Identitäten, die ihre Routen dem Land einschreiben", und die sich permanent in einer Transit-Lounge aufhalten, Subjekte, die in der Bewegung verortet sind.

Das 1997 vom slowenischen Künstler Marko Pelijhan gegründete Makrolab ist eines der fünf in der Ausstellung vertretenen Kollektive. Es handelt sich dabei um ein selbstgebautes High-Tech-Labor, das in exponierten Landschaften wie etwa den schottischen Highlands temporär aufgebaut wird. In diesen abgelegenen und oftmals auch bedrohten Gegenden sammelt Makrolab Daten aus der ganzen Welt, es fungiert als eine Kommunikationsmaschine, die in eine fremde Umgebung verpflanzt wurde. Für jeden Standort werden mehrere Künstlerinnen und Wissenschaftler eingeladen, dort Projekte durchzuführen, die einen Bezug zur jeweiligen aktuellen Örtlichkeit aufweisen. Es gilt dann für die Beteiligten über Wochen auf engsten Raum in einer 14 Meter langen achteckigen Röhre agierend Studien und Kunstwerke entstehen zu lassen.

Landkarte der Identitäten

Den Wechsel zwischen Online- und Offline-Welten, den indische Frauen als neues "digitales Proletariat" vollführen, beschreibt Raqs Media Collective. Die Frauen arbeiten in Call-Centers in Indien und betreuen Kundinnen in Minneapolis. Dazu wurde ihnen zuerst in hochspezialisierten Sprachkursen ein mittelwestlicher Akzent angelernt, damit die Kundinnen der Täuschung erliegen, ohnedies nur mit down-town Minneapolis verbunden zu sein. In Raqs Video- und Textarbeit A/S/L (Age/Sex/ Location) wird dann aus der Inderin Ritu die Amerikanerin Ruth, aus der Inderin Sunita die Amerikanerin Sandra. In dieser Zeitgeografie werden wechselnde Identitäten per Video kartografiert, es wird aber auch die Parallelwirklichkeit von Arbeit und Spiel aufgezeigt. Denn im spielerischen Umgang mit dem Internet, etwa in Chat-Rooms, gehört die Frage nach A/S/L (Alter/Geschlecht/ Wohnort) zu den am häufigsten gestellten Fragen.

Eigens im Hinblick auf die Ausstellung hat sich eine lose Gruppe von Künstlerinnen und Aktivisten als Frontera Sur zusammengefunden, die sich in ihren Auseinandersetzungen der europäischen Südgrenze zwischen Spanien und Marokko widmen. Ein arabisches Musikvideo versucht sich von der MTV-Ästhetik zu befreien, Frauen betätigen sich als Schmugglerinnen indem sie sich ihr Schmuggelgut um den Leib binden, bis sich ihr Körpervolumen verdoppelt hat. Die marokkanischen Hausmädchen, die in der spanischen Enklave Ceuta in Marokko ihren Dienst versehen, unterziehen sich täglich einer Zeitreise, der Zeitunterschied zwischen ihrem Zuhause in Marokko und der Arbeitsstätte in Spanien beträgt zwei Stunden, obwohl die beiden örtlich gleich ums Eck liegen. Und man begegnet auch den zeitgenössischen europäischen Sklaven, die sich in plastiküberwölbten und pestizidvernebelten Plantagen um das knackige Gemüse kümmern, das wir uns im Supermarkt zu günstigen Preisen kaufen.

Kartographie der Macht

Die Gruppe multiplicity hat sich in Solid Sea die Kartografierung des Mittelmeeres vorgenommen, sie versuchen die dortigen Bewegungsströme aufzuzeichnen. Ein gesunkenes Flüchtlingsschiff, für dessen Opfer nie ein Totenschein ausgestellt wurde. Zwei Kreuzfahrtschiffe treffen in Neapel aufeinander, das eine, die russische "Odessa", kann aus Geldmangel nicht mehr auslaufen, das andere, "The World", ist ein Luxusliner mit Millionärswohnungen, eine eigenständige Stadt für Geschäftsleute aus aller Welt, die via Satellit mit der Börse verbunden sind. Das Mittelmeer als Ort der Begegnung kann nur mehr eine schlechte Begegnung bieten.

In ihrer Arbeit World Monitoring Atlas beschriebt das Künstlerduo bureau d'études hochkomplexe Verknüpfungen als piktografische Arrangements. Sie sammeln dazu Daten aus unterschiedlichen Bereichen wie Militär, Energiewirtschaft, Biochemie, Unterhaltungs-, Informations- und Überwachungsindustrie und verwandeln sie in Organigramme, in digitale und strukturelle Darstellungen. Man steht vor einem riesigen Netzwerk aus Macht, Kooperation, Normalisierung und Eigentumsverhältnissen.

So dreht sich alles weiter und alles fließt - hieße das nicht auch bergab? Zum Glück gibt da die bewegten Verortungen der Geokunst.

Geografie und die Politik der Mobilität

Generali Fondation

Wiedner Hauptstraße 15, 1040 Wien

Bis 27.4., Di-So 11-18. Do bis 20 Uhr

http://foundation.generali.at

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