Gern hätt' ich Bella geküßt

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Lehars "Paganini" am Theater an der Wien: Operette als behutsam inszeniertes Kammerspiel.

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Lehars "Paganini" am Theater an der Wien: Operette als behutsam inszeniertes Kammerspiel.

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Meine Operette soll ein Zwischending sein zwischen Oper und Operette", erklärte einst Franz Lehar. Sein "Paganini", heuer am Programm des Klangbogen Wien, vereint die der Operette eigene Leichtfüßigkeit ("Gern hab ich die Fraun geküßt") mit mit opernhafter Dramatik. Auch Happy End gibt es keines: Weil sein Leben der Musik gehört, kann sich die Titelfigur auf keine dauerhafte Beziehung einlassen und läßt die ihn innig liebende Fürstin Anna Elisa mit gebrochenem Herzen zurück.

Regisseur John Dew hat die Kunstform der Operette ernst genommen, behutsam und hintersinnig in Szene gesetzt und somit sein eigenes Credo, daß die Operette tot sei, mit Nachdruck widerlegt. Ein gelungener Kunstgriff ist, daß Dew die drei Akte des Werkes im Theater an der Wien sehr unterschiedlich gestaltet. Der erste, der wie eine 20 Jahre alte Inszenierung eines Brecht-Stückes anmutet - hie das arbeitende Volk, da der ausbeuterische Adel -, läßt Schlimmste Befürchtungen aufkommen, die sich jedoch im zweiten Akt alles andere als bewahrheiten: In einem zeitlosen Raum der gnadenlosen Selbstbespiegelung entfaltet sich ein dichtes Kammerspiel voller Liebe, Betrug, Eifersucht, Intrige und Herzensleid, wobei vor allem die Darstellerinnen eine sehr gute Figur machen: Marie McLaughlin als in Liebe entbrannte Fürstin hat den richtigen Schmelz in ihrer noblen Stimme und Marisol Montalvo, sehr sexy und urkomisch als Primadonna Bella, brilliert mit gefühlvollen Coloraturen ebenso wie mit einer stilvollen Jazzeinlage. Die Verjazzung einer Lehar-Melodie ist die positivste Erinnerung, die der musikalische Leiter Peter Keuschnig hinterläßt: Zu konturlos dirigiert er das Symphonieorchester der Wiener Volksoper. Der brav gescheitelte Norbert Schmittberg ist optisch wahrlich kein erotisierender Teufelsgeiger. Doch aufs Aussehen kommt es nicht an, wie er mit seinem sauberen, zwischen Lyrik und Dramatik schwankenden Tenor dem bei den Frauen erfolglosen Pimpinelli (die männliche Buffo-Partie, gesungen von Helmut Wildhaber) erklärt.

Der dritte Akt mit seinem dramatischen Ende entspricht der zeitgemäßen, zur Schrägheit zumindest schielenden Operetten-Interpretation: In der verruchten Grenzkaschemme, in die sich der von Napoleons Häschern verfolgte Paganini flüchtet, sitzen keine Räuber mit Augenbinden, sondern Wiener Pülcher mit Siebziger-Jahre-Hemden und dicken Koteletten sowie grelle Damen vom horizontalen Gewerbe. Kaum zu glauben: Das Publikum akzeptierte die Inszenierung.

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