Gertie -wer?

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Sie ist Malerin und Grafikerin von Rang und Initiatorin der "Galerie nächst St. Stephan", aber heute weitgehend vergessen. Im Juni wird Gertie Fröhlich 85.

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Sie ist Malerin und Grafikerin von Rang und Initiatorin der "Galerie nächst St. Stephan", aber heute weitgehend vergessen. Im Juni wird Gertie Fröhlich 85.

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Im Erdgeschoss des Wiener Innenstadthauses, in dem ich wohne, gibt es ein kleines charmantes Lokal. Passanten, Hausbewohner und Geschäftsleute der Umgebung kommen gerne vorbei, auf einen Espresso, einen Gespritzten oder einen Imbiss für den Hunger zwischendurch. Man kennt sich, man tauscht Neuigkeiten aus, der Schmäh rennt. Jeden Dienstag, am frühen Abend, ist ein Tisch für eine Gruppe von Frauen reserviert, die offensichtlich miteinander befreundet sind. Unter ihnen fällt mir eine kleine alte Dame auf, die stillvergnügt vor ihrer Melange sitzt und gelegentlich eine geschnorrte Zigarette raucht. Manchmal erzählt sie Witze, das kann sie ziemlich gut.

Ich frage, wer das ist. "Das ist die Gertie Fröhlich." Der Name sagt mir nichts. Eine gemeinsame Freundin klärt mich auf. Was ich erfahre, macht mich ratlos. Die Maler Prachensky, Rainer, Hollegha, Mikl, die "Galerie nächst St. Stephan" und ihr legendärer Gründer Monsignore Otto Mauer sind (nicht nur) mir ein Begriff. Warum also nicht auch Gertie Fröhlich?

Ich gehe ins Internet und finde zwei Texte über Gertie Fröhlich, geschrieben aus Anlass einer Ausstellung von Filmplakaten des Österreichischen Filmmuseums, die jahrelang von ihr gestaltet worden sind. Die Schau fand im Sommer 2005 in der Wiener Galerie Ulysses statt, und das war offenbar das letzte Mal, dass man Gertie Fröhlich in der Wiener Kunstszene wahrgenommen hat. Wer also ist diese Frau?

Leben und lieben

Geboren wird Fröhlich am 29. Juni 1930 in der Slowakei; die Familie (Vater Lehrer) gehört der deutschsprachigen Minderheit an. 1944 Flucht aus der Heimat, man landet bei Verwandten in Oberösterreich. Besuch der Lehrerbildungsanstalt in Vöcklabruck, anschließend -gegen den Willen des Vaters -Kunstgewerbeschule in Graz, denn Gertie hat mittlerweile ihre Liebe und ihr Talent für Malerei und Grafik entdeckt. Um überleben zu können, strickt sie fantasievolle Pullover, Kinderkleider und Trachtenjäckchen. Sie übersiedelt nach Wien und setzt ihr Studium an der Kunstakademie am Schillerplatz fort. Aus dem kleinen Flüchtlingsmädchen ist eine bildhübsche, charmante und lebenslustige junge Frau geworden, die den Männern gefällt.

Wie mir Gertie erzählt (ich habe sie mittlerweile näher kennen gelernt), ist sie aus Graz mehr oder weniger geflüchtet, weil sie sich der zahlreichen Avancen -teils verheirateter, sehr katholischer Männer -nicht mehr erwehren konnte. "Das ging einfach nicht; ich war ja eine gläubige, praktizierende Katholikin!" Natürlich ändert sich in Wien diesbezüglich gar nichts; auch hier gibt es schon bald viele Bewunderer und Verehrer aus Kunst, Politik, Medien und Kirche. "Aber Namen darfst du nicht schreiben!" Nein, eh nicht.

Mit ihrer kreativen Energie setzt Gertie Fröhlich damals eine Entwicklung in Gang, von der die Wiener Kunstwelt noch heute geprägt ist. Um Geld zu verdienen, arbeitet sie zunächst als Schreibkraft in der Katholischen Aktion und lernt dort den Domprediger von St. Stephan, Otto Mauer, kennen. Sie überredet den Kunstliebhaber, eine verwaiste Galerie in der Grünangergasse zu übernehmen und macht ihn mit ihren Künstlerfreunden bekannt. Die "Galerie nächst St. Stephan" ist geboren und wird zur Heimstätte der österreichischen Avantgarde, von Markus Prachensky, Arnulf Rainer, Josef Mikl, Wolfgang Hollegha, den Literaten H.C. Artmann, Konrad Bayer, Gerhard Rühm, den Filmemachern Ferry Radax, Peter Kubelka und vielen anderen.

Im Jahr 1956 beendet Gertie Fröhlich ihr Kunststudium mit dem Diplom, staubt gleich einmal den ersten ihrer zahlreichen Preise ab (Herbert Boeckl-Preis), heiratet Markus Prachensky und bekommt einen Sohn. Man bezieht eine Wohnung in der Sonnenfelsgasse im 1. Bezirk, die in der Folge zum geschätzten und vielfach frequentierten Künstlertreff wird. Die Ehe hält nicht lange; bald nach der Geburt von Sohn Nikolaus verabschiedet sich Prachensky Richtung Amerika, kehrt nach zwei Jahren zurück und beendet die eheliche Gemeinschaft. (Einschub: Ich google "Markus Prachensky", weil ich wissen will, wann er gestorben ist -es war 2011 - und finde Erstaunliches: laut Wikipedia sei es Prachensky gewesen, der die "Galerie nächst St. Stephan" gegründet habe ).

Gertie Fröhlich erlebt Jahre materieller Not. Eine zeitlang arbeitet sie für das Fernsehen, pinselt Untertitel und Inserts und muss sich von ihrer Chefin verhöhnen lassen: "Immerhin kann sie ein A von einem B unterscheiden!" Ihr Leben erfährt erst wieder eine entscheidende Wende, als der Avantgardefilmer Peter Kubelka ihr neuer Partner wird ("Gerties große Liebe", Zitat einer damaligen Freundin). 1959 kommt Tochter Marilie zur Welt. 1964 gründet Kubelka zusammen mit Peter Konlechner das Österreichische Filmmuseum. In den folgenden zwanzig Jahren gestaltet Gertie Fröhlich die Plakate des Museums. "Ihre unverwechselbaren grafischen Entwürfe prägen wesentlich des Erscheinungsbild des Hauses; hunderte von Bildern entstehen, die bald in Ausstellungen in London, Berlin, Los Angeles gezeigt werden".(Heinz Janisch in einem Ö1-Beitrag, 2009).

Manche künstlerischen Erfolge im Leben von Gertie Fröhlich scheinen vom Zufall geprägt zu sein. Zunächst nur als Weihnachtsgeschenke für Freunde gedacht, gestaltet sie Ende der Siebzigerjahre bunt bemalte und liebevoll dekorierte Lebkuchenfiguren, Engel, Edelfräulein, Hampelmänner, jedes Stück ein Unikat. "Fröhlichs Lebkuchen Manufaktur" entsteht. Die Figuren sind ein unglaublicher Erfolg, schaffen es in Ausstellungen bei Tiffany's und im Crafts Museum, New York, und werden 1978 von André Heller in seinem "avantgardistischen Vergnügungspark" Luna-Luna in Hamburg präsentiert.

Die Braut des Ikarus

In den Lebenserinnerungen von Barbara Coudenhove-Kalergi ("Zuhause ist überall", Zsolnay 2013) finde ich eine Passage, in der die renommierte Journalistin das Leben im Wien der Fünfzigerjahre schildert und von den Jobs erzählt, mit denen sie neben dem Studium Geld verdient, zum Beispiel, indem sie die Radiopredigten und Korrespondenzen von Otto Mauer tippt. Sie erwähnt in diesem Zusammenhang ihre "schöne Freundin Gertie Fröhlich", die in Mauers "Galerie nächst St. Stephan" mitarbeitet. In Barbara Coudenhoves Wohnung hängt ein Bild der Künstlerfreundin an der Wand. Es trägt den Titel "Die Braut des Ikarus". Im Vordergrund sitzt eine junge Frau im roséfarbenen wallenden Kleid; die Gesichtszüge sind unverkennbar die von Gertie Fröhlich. Im Hintergrund ein geöffnetes Fenster, man sieht eine geflügelte männliche Figur, die sich in die Lüfte hebt und davonfliegt. Eine Metapher? "Ja, vermutlich", sagt Coudenhove, "Gertie hatte kein Glück in Liebesdingen. Sie ist immer wieder verlassen worden."

Warum ist Gertie Fröhlich heute weitgehend unbekannt? Diese Frage bewegt mich, seit ich begonnen habe, mich mit ihr, ihrem Leben und ihrer Kunst zu beschäftigen. Ihre männlichen malenden Zeitgenossen wie Prachensky oder Rainer etc. sind in der kulturellen Szene (vor allem in Wien) nach wie vor ein Begriff, hängen in Museen oder bekommen Sonderausstellungen zu runden Geburtstagen. Und Gertie Fröhlich? Fehlanzeige. "Ein typisches Frauenschicksal", sagt Barbara Coudenhove trocken. "Sie stand immer im Schatten der Männer, die sich besser und erfolgreicher vermarktet haben. Gertie konnte das nicht."

Und heute? Gertie Fröhlich wohnt nach wie vor in der gemütlich vollgeräumten Wohnung in der Sonnenfelsgasse. Sohn Nikolaus lebt in Fernost; aber es gibt die Tochter Marilie und fürsorgliche Freundinnen. Sie bezieht eine Künstlerpension, die auf einen Beschluss der seinerzeitigen Wiener Kulturstadträtin Ursula Pasterk zurückgeht. Ein nennenswerter Kontakt zu den Malerfreunden von früher besteht nicht.

Die Autorin ist Grafikerin, Journalistin und Filmregisseurin

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