Geschichte holt uns ein

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Märchenhaft ist der Titel des neuen Buches von Umberto Eco: "Die geheimnisvolle Flamme der Königin Laona". Der Protagonist ist einer, der seine Vergangenheit vergessen hat. Nicht so der Autor. Er braucht keinen Psychoanalytiker, sagt er in einem Interview, denn er erinnert sich an alles. Glücklicher Eco. Er ist das ideale Gegenbild seiner vergesslichen Romanfigur.

In der rauen Wirklichkeit schaut es anders aus. Was lange zurückliegt, bleibt gespeichert, was in letzter Zeit geschah, wird schnell gelöscht. Wahrscheinlich sind die frühen Prägungen stärker, und wenn die Festplatte Gehirn einmal überfüllt ist, nimmt sie nichts mehr auf. So entstehen sonderbare Erinnerungskriege in einer Gesellschaft, weil die einen etwas ganz anderes im Kopf haben, als die anderen. Am Erinnerungsvermögen kann man das Alter ablesen. Wenn man den Papst im Gespräch mit Otto Habsburg sieht, kann man annehmen, dass die Erinnerungen weit zurückgehen, vielleicht bis in die Zeit, als der österreichische Kaiser, des seligen Karls Vorgänger, ein Vetorecht bei der Papstwahl hatte. Denn er hatte ein Amt von Gottes Gnaden, und der Papst sowieso.

Erstaunlich aber, was für Erinnerungen an alte Zeiten heute aktive Politiker und Katholiken haben, während Späteres - Ständestaat und die Versöhnungen in der Lagerstraße von Dachau - in den Köpfen ausblasst. Sie sind nach Rom gepilgert, weil offenbar Alter nicht nur eine Frage der Jahre ist. Aus Anlass einer Seligsprechung holt uns Geschichte ein, die schon überwunden schien. Der dazugehörige Erinnerungskrieg ist bereits ausgebrochen. Nicht alle sind so glücklich wie Umberto Eco. Erinnerungslücken belasten den politischen Alltag. Wer daran leidet, sollte sich nicht scheuen, den Psychoanalytiker aufzusuchen, damit wir uns nicht in einer Vergangenheit verlieren, die keine Zukunft hat.

Der Autor ist freier Journalist.

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