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Abwarts auf der Via delP Imoero

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Der Thronabschäed der ältesten europäischen Dynastie

Die Volksabstimmung in Italien hat, wenn auch mit geringer Mehrheit, gegen die Monarchie entschieden und die Republik gewählt. Die älteste Dynastie Europas, das Haus Savoyen, hat den Thron verlassen. Aus kleinen Anfängen wuchs diese Fürstenfamilie mit dem Werden des italienischen Staates bis zu dem Erstehen der „Italia unita“, sie scheiterte, als sie sich verleiten ließ, über ihren italienischen Lebensraum hinauszugreifen und sich mit dem Kaisertitel von Äthiopien zu schmücken. Mit dem abessinischen Unternehmen, das Italien zur Weltmacht erheben sollte, aber es entgegen einem alten Grundsatz der italienischen Politik in den Konflikt mit England und in das Bündnis mit Hitler-Deutschland verstrickte, hat Mussolini sich und dem Faschismus und zugleich der von ihm nie geliebten Dynastie das Grab geschaufelt.

Ein romantischer Schimmer liegt über der Geschichte des Hauses Savoyen wechselnd mit einer allzu grell nüchternen Realistik. Wenn Machiavelli für sein ;,Il Principe“ Vorbilder gebraucht hätte, so würde er sie hier gefunden haben. Wenige Fürstenhäuser hat es gegeben, in denen so viele diplomatische und kriegerische Begabungen, so zahlreiche Persönlichkeiten edler menschlicher Größe neben solchen skrupelloser List und Treulosigkeit vertreten waren.

Die Grafen in Savoyen waten im 11. Jahrhundert am westlichen Alpenrand, westlich des kleinen St. Bernhard und Mont Cenis daheim; ihr Hauptbesitz scheint um Vienne, jenseits der Rhone, gelegen gewesen zu sein. Wer aus Frankreich über die Alpenpässe nach Italien wollte, mußte an ihren Burgen vorüber. Die Grafen wußten diese Stellung im großen Spiel der Politik zu nützen. Im 13. Jahrhundert war aus* ihrer Grafschaft schon ein kleiner Alpenstaat geworden, der über die Kammhöhen nach Italien hineinreichte Sie waren jetzt Torwächter zur lombardischen Ebene, Schlüsselbewahrer Italiens. Sie ließen sich dieses Amt bezahlen, wenn hohe Herren es brauchten. Während des großen Ringens zwischen deutscher Kaisermacht und Papsttum dienen sie dem und dienen jenem, erscheinen gelegentlich als Begleiter der Kaiser auf ihren Römerzügen, schaffen sich Ansehen und Verbindungen tief nach Italien hinein, werden Reichsstände. Als Karl IV. zur Kaiserkrönung nach Arles zieht, darf er, der stolze Savoyer, bei der feierlichen Huldigung vor dem kaiserlichen Lehensherrn in Chambery wagen, schon zu sagen: „Sire, mit den anderen Bannern haltet es nach Eurem Belieben. Aber dieses hier mit dem weißen Kreuz ist nie zur Erde gesenkt worden und wird es mit Gottes Willen auch nie werden.“

In der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts umfaßt der Savoyensche Besitz bereits die Grafschaft Nizza, das Gebiet um den oberen Casale.bei Turin, das bald ihre Hauptstadt wird, das Tal ton Aosta. bis hinauf zum Mont Blanc, Piemont und dann weiter nach Westen und Norden die Landschaften um Chambery und das ganze Uferland um den Genfer See. Nur dem Streben der Savoyer, auch Lyon zu gewinnen, war de Erfolg versagt. Wäre es anders gekommen, so hätte Frankreich wahrscheinlich bald eine französische Herzftgsfamilie mehr besessen und das künftige Italien hätte nie an den Pie-montesen seine nationale Dynastie und aus ihr in Viktor Emanuel II seinen gefeierten „Padre della Patria“ erhalten Es ist ein rätselhafter Mann, dieser Savoyerfürst Amadeus VIII., dem die Vereinigung des großen Länderbesitzes, das Staatwerden Savoyens um die Wende des 14. Jahrhunderts glückte. War er ein bloßer Schauspieler oder ein berechnender Ehrgeizling, der auch eine Maskerade nicht scheute, um zu seinem Ziele zu gelangen? 1434 zog er sich von der Regierung zurück, legte einen grauen Mönchshabit an und ließ sich in Ripaille als Einsiedler nieder, — so wenig wirklicher Einsiedler, daß er sich vom Badner Konzil zum Gegenpapst erheben ließ und am 24. Juni 1440 mit feudalem Gepränge, angetan mit päpstlichen Gewändern auf weißem Esel in Basel einritt Als er nach kaum neun Jahren, verlacht und verspottet als der abgedankte Gegenpapst „Felix V.“ und nur von Papst Nikolaus V. mit milder Güte behandelt, in seine Einsiedelei in Ripaille zurückkehrte, war wohl einer der kühnsten Machtträume eines Savoyers zerronnen. Unter seinem Nachfolger schien fast schon das Ende des kleinen Alpenstaates gekommen, die Schweizer machten sich von ihm frei, der Franzosenkönig drang über die Alpen vor. Aber unter Kaisei Maximilian haben die Savoyer doch schon den herzoglichen Rang erworben und ihr jeweiliger Chef erscheint in der Reichsmatrikel als einer der „welschen“ Fürsten, die zum Römisch-deutschen Reiche als Lehensträger gehören; sein Land ist dem oberrheinischen Steuerbezirk des Reiches zugeteilt. Zu einem der Großen am Kaiserhofe steigt der Herzog Emanuel Philibert empor, kaiserlicher General, Nachfolger Herzog Alba's als militärischer Statthalter der Niederlande; sein Sieg von St. Quentin sichert nient nur dem Kaiser den Besitz der Niederlande und Mailands, sondern auch den Savoyerherzog vor den französischen Herrschaftsgelüsten in Italien. So groß ist das Ansehen des Hauses Savoyen geworden, so wichtig seine politische Stellung, daß sich die Habsburger und die Bourbonen während der folgenden Jahrhunderte wiederholt durch Heiraten mit ihm verbinden, allerdings ohne dadurch auch nur einmal auf längere Dauer zu eigenem Gunsten die Hauspolitik . dei Savoyer beeinflußt zu haben. Der „Sacro egoismo“, die spätere Parole des neuen Italiens, steckte den Piemontesern im Blute. Es war ihre Kunst, an ihre politische UnZuverlässigkeit die mächtigen Nachbarn zu gewöhnen, und sie doch immer wieder nach der savoyen-schen Bundesgenossenschaft verlangen zu lassen. Freundschaft war Geschäft. Hüben und drüben wußte man es. Im spanischen Erbfolgekrieg stand Herzog Viktor Amadeus II. als Verbündeter auf Seite Frankreichs gegen Kaiser Karl VI. im Felde, ließ aber zu gleicher Zeit nach Wien wissen, es sei sein „aufrichtiger Wunsch einen Weg eröffnet zu sehen, um sich Seiner kaiserlichen Majestät anzuschließen“. Zwei Jahre später war er dann auch soweit. Aber als dann gegen Ende des Krieges die Waage zuungunsten des Kaiser? sinkt, weiß der Herzog schon wieder einen Weg zum Gegner und besorgt sich eine Rückversicherung. Kurze Zeit darauf findet man im polnischen Thronfolgekrieg den Herzog von Savoyen-Piemont gegen den Kaiser bei den Bourbonen, aber drei Jahre nach dem Wiener Frieden, der diesen Krieg beendet, hat der Herzog beim Ausbruch des österreichischen Erbfolgekrieges wieder seinen Plaj:z an der Seite der. Kaiserlichen bezogen. Was denn auch Migner, den französischen Historiker jener Zeit, zu dem sarkastischen Vermerk veranlaßt, es sei das Geschick des regierenden Hauses Savoyen, am Ende eines Krieges immer auf einer anderen Seite zu stehen, als am Anfang, es wäre denn, daß es inzwischen zweimal den Platz gewechselt hätte. Der Ertrag füt die Savoyer war groß gewesen: Im Frieden von Utrecht hatten sie ihren Besitz in Oberitalien vorschieben können und erhielten vor allem Sizilien zugesprochen und mit ihm den Königstitel. Zwar mußten sie kurz darauf Sardinien für Sizilien in Tausch nehmen, aber auch dieser Besitz verschaffte ihnen eine Königswürde mit dem mystischen Schimmer alter nationaler Tradition.

Es war ein ärmliches Königreich, das fortan den savoyenschen Herrschern Titel und Namen gab, aber doch die letzte Zuflucht auf eigenem Boden während der Napoleonischen' Kriege. österreichische Truppen besetzten bei der Liquidation der napoleonischen Herrschaft 4814' Piemont, aus österreichischer Hand empfing das sardinische Königshaus seine Stammesländer zurück, auf dem Wiener Kongreß wurde ihm auch noch das Gebiet der Republik von Genua zugeteilt.

Dann geschieht ein Ereignis, das der politischen Mentalität des späteren Italiens ganz verlorengegangen ist: Metternich, der allmächtige österreichische Staatskanzler, hilft auf dem Wiener Kongreß Italien die Herrscherkonrinuität seiner ältesten und bedeutendsten Fürstenfamilie zu erhalten, indem er sich gegen den Plan Viktor Emanuel I. stellt, angesichts des bevorstehenden Aussterbens der regierenden Linie des Hauses Savoyen, deren Erbe dem Gatten seiner Tochter, dem Herzog Franz IV. von Modena, also einem Habsburger, zu übergeben. Metternich tritt für die Geltung des Salischen Erbrechtes ein und damit unerbittlich konsequent in Verfechtung der Legitimität, für den Übergang der Thronfolge an die savoyensche Seitenlinie Carrignan, die im 17. Jahrhundert vom Hauptstamm abgezweigt ist, und er entscheidet damit die Regentschaft Karl Alberts. Als Regent, und von 1831 bis 1848 als König, eröffnet Karl Albert eine neue Phase der italienischen Geschichte, die sich nunmehr immer eindeutiger gegen Österreich, seine „Fremdherrschaft“ in Italien, wendet. Es ist zunächst die Zeit der Geheimbünde, der politischen Freimaurerei und der Carbonari, der Lehren Mazzinis, der Verschwörungen und der bürgerlichen Revolutionen. Mit einem Fuß ist Karl Albert im Lager der Verschwörer, mit dem anderen zögert er noch und schließlich, am 15. März 1848, schickt er an den Wiener Kaiserhof ein Schreiben, in dem er seine Freundschaft beteuert und wie sehr er wünsche, „daß diese Freundschaft noch enger sich schließe“, um zehn Tage später zum Krieg gegen Österreich aufzurufen und seine Truppen in • Marsch zu setzen und von R?d*tzky bei Novara und Mortsra schwer geschlagen zu werden.

Mit größerem Glück und mehr diploma-tis:hcm Raffinemeni hat sein Nachfolger Viktor Emanue! II diese Politik fortgesetzt. Ihm und seinem nationalen Einigungswerk, das sich 1866 und 1870 mit der Einnahme der Porta Pia und der Aufhebung des Kirchenstaates vollendete, hat das dankbare Italien das Riesenmonü tient am Fuße des Kapitols gesetzt. Den „Steinbruch“ haben kr.tische Spötter diese Anhäufung von Mar-fnor genannt. Das sardinische Königshaus hat die traditionelle Linie im ersten Weltkrieg weitergeführt Es brach den Dreibund und ließ sich dafür Südtirol versprechen, zwei Drittel davon rein deutsches Land ältesten österreichischen Besitzes Und jedesmal, wenn es Treu und Glauben find feierlich geschlossene Verträge dem Vorteil opferte, schien ihm das Glück rechtzugeben. Wo andere nur aus Siegen gewannen, gewann Italien aus seinen Niederlagen. Sdiließlidi endigte aber doch die Via dell' Impero. die Mussolini den Ruinen des römischen Forums entlang angelegt hatte als Sinnbild des Weges, den er den italienischen Staat in der Welt zu führen gedachte, in den Ruinen der italienischen Königsherrschaft, dem Sturz einer Dynastie, die häufig das Wagnis gesucht, noch öfter aber dazu durch die Sorge um ihre Popularität getrieben wbrden war und höchste Huldigungen dafür empfangen hatte.

Ist es nun ein dauernder Abschied von der Monarchie? Er wird nicht leicht werden, wie das Stimmenverhältnis des Volksentscheides: 12,18 gegen 10,36 Millionen, andeutet. Die neue italienische Republik wird sich Zusammenehmen müssen, wenn sie sich erhalten will. Ihr würde es gut tun, Freunde zu sammeln. Bisher zeigt sie dafür wenTg Neigung. Was Österreich angeht, kann es nur den Wunsch haben, einen Nachbar zu besitzen, der in seinem Innern Ruhe findet und gleich uns gewillt ist, endlich „von den Toten die Toten begraben zu lassen“.

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