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Achtung, Steinschlag!

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DER FRIEDE VON UTRECHT, den die beiden Seemächte England und Holland im Jahre 1713 am Ende des dreizehnjährigen Ringens um die Erbfolge des habsburgischen Hauses in Spanien schließen, und der kärgliche Schluß von Rastatt bezeichnen den Triumph des „europäischen Gleichgewichts”. Aber das Wien Karls VI., das noch im Besitze der Neoen- länder der spanischen Krone, der Niederlande, Mailands, Neapels und Sardiniens War, dieses Wien entfaltet1 sich zum kulturellen Mittelpunkt des Festlandes, zur Hauptstadt auch des sonnedurchleuchteten Südens, wohin so oft Kaiserfahrten gegangen waren. Zum „neuen Rom der Erden” wurde Wien, wie es Gottsched ausdrückte. Ein Kaiser herrscht über diesen Landen, der selbst komponiert und den Dirigentenstab schwingt; ein Herrscher von handelspolitischem Weitblick zudem, unter dem die Straßen der Monarchie so ausgebaut werden, daß schlesische Kaufleute leicht an die Adria gelangen können. Es ist eine Zeit, da die österreichische Seemacht begründet wird, österreichische Seeoffiziere Inselgruppen im Golf von Bengalen entdecken. In diesen Jahren kommen Staatsarchitekten nicht aus einem Hoflager, sondern aus einem Feldlager, wie beispielsweise Hildebrandt. Dies ist die Atmosphäre, in der ein Baugedanke wie jener der Karlskirche reift, von irdischem Leid nicht frei und von Todesschatten getroffen. Im Jahre des Friedens von Utrecht, als der Frühling durch die Gärten ging wie eben jetzt und scheinbar eine Zeit der Freude und Entspannung anhub, wurde von Ungarn her die Pest eingeschleppt. Sprunghaft breitete sie sich trotz aller Vorsichtsmaßnahmen von den Vorstädten her gegen die Stadt zu aus und erreichte sie im April. Bald machte Wien den Eindruck einer Totenstadt. Alle öffentlichen Schulen, auch die Universität, schlossen die Tore, sogar die Predigten in den Kirchen mußten unterbleiben. Der Kaiser floh vor der Seuche nicht, er blieb in der Stadt und bot ein Beispiel für seinen Wahlspruch „ęonstantia et fortitudo” — Beständigkeit und Stärke.

AUF EINER ANHÖHE am rechten Wienufer zwischen dem Kalkstadel und dem Armensünder- Gottesacker, also auf einem Platz mit einer prächtigen Aussicht, wurde das Stein gewordene Gelöbnis des Kaisers, ein Dank für die Erlösung von der Pest, errichtet. Wie am Tage des Gelöbnisses, das der Kaiser zu Sankt Stephan voreinst auf den Knien in seinem und seines Volkes Namen in lateinischer Sprache gesprochen, waren wieder der Hof und die Würdenträger des Reiches zugegen, als Karl VI. den ersten Stein des Gotteshauses, den „Prüfstein der Frömmigkeit” des Volkes, wie es auf der Inschrift des Grundsteins hieß, in die Erde senkte. Der Wiener Bischof Franz Ferdinand von Rummel war erkrankt, und so nahm die Weihe der Bischof von Neutra in Oberungarn (jetzt Slowakei) vor. Geweiht wurde die Kirche dem Namenspatron des Kaisers, dem heiligen Karl Borromäus, Erzbischof von Mailand. Dieser, J. B. Fischers von Erlach und seines Sohnes Emanuel Namen verkündende Bau, zu dem die Südniederlande (das spätere Belgien), Böhmen, Mähren, Schlesien, die einzelnen Kron- länder des Alpenbogens, und dann Krain. Siebenbürgen, Ungarn, Mailand und Neapel die Geldmittel spendeten, wurde somit das erste Friedenswerk, das mit habsburgischem Gemeinsinn erfüllt war.

WENIG MEHR ALS SECHZIG JAHRE SPÄTER hätte es — wenn der Wille Windischgrätz’ durchgedrungen wäre - von einem Tag auf den anderen keine Karlskirche mehr gegeben. Denn zur Niederkämpfung der Wiener Revolution von 1849 benötigte der Oberbefehlshaber aller österreichischen (außer der in Italien stehenden) Truppen, Alfred Fürst von Windischgrätz, ein freies Schußfeld. Eine Rasur am rechten Wien- ufer, warum nicht? Aber — es waltete über dem Gotteshause der Geist, aus dem es erstanden, der Geist der Zusammengehörigkeit, das Wissen vom Siege des Friedens, der Beständigkeit und Kraft aus sich selbst und nicht kraft der Kanonen. „Vota mea reddam in conspectu timentium Deum.” „Meine Gelübde will ich erfüllen im Angesicht aller die Gott fürchten” — so heißt es mit den Worten des Psalmisten in halbmetergroßen Lettern auf dem Architrav des Vorbaues, den sechs korinthische Säulen über die Wirrnisse der Zeiten trugen Ueber den ersten Weltkrieg hinweg, der sich drei Glocken holte, über den zweiten, der mit Bomben und sieben Granattreffern der Karlskirche zusetzte. Zwischen 1929 und 1931 haben die Gläubigen gute alte 70.000 Schilling für die Renovierung der Kirche gespendet. Es scheint, es ist wieder die Zeit für Opfer da. Im Hausflur des Pfarramtes von St. Karl, Kreuzherrengasse 1. steht ein unscheinbarer Behälter Auf ihm steht! Karlskirche in Gefahr.

NACįlT MUSS ES SEIN. Dann sieht man i wenigstens nicht, wie es mit der Gefahr beschaffen ist. Der Anblick der Fassade und die noch immer in der Argentinierstraße sichtbaren Geschoßeinschläge würden allein schon genügen. Abgesehen von den zerfallenden Balustraden, Gesimsen und Plastiken. Seit dem vorigen Herbst hat man über dem Eingang ein Bretterdach errichten müssen. Ein Fremder, der schlecht unsere Sprache verstand, hielt die Aufschrift für einen Denkspruch. Aber diese Aufschrift war nur der Name der Gerüstfirma, und man mußte, wenn es schon um richtige Inschriften ging, auf die Worte des XXI. Psalms verweisen. Nacht muß es sein. Dann sieht man auch gewiß nicht die handtellerhohen Staubund Schuttablagen in den Fugen. Dann sieht man auch nicht die tote Taube, die seit Tagen dort liegt. Vielleicht wird sie erst bei der Renovierung entfernt, wenn sie sich bis dahin nicht auch in Staub aufgelöst hat. Aber die Renovierung läßt auf sich warten. Inzwischen werden wohl auch die vier verbeulten Mistkübel der Müllabfuhr vor der Kirche, die Sandkiste rechts davon und die unbestimmbaren Zwecken dienliche Bretterbude links davon erhalten bleiben. Schade, daß man sie nicht auch anstrahlt in Weiß, Gelb und Grün. Bis die verantwortlichen Herren mit ihren — pst, pst — geheimgehaltenen Verhandlungen fertig sein werden, wird noch mancher Steinbrocken vom Dach fallen, dem Bretterschutz zum Trotz, so wie kurz nach meinem ersten, abendlichen Rundgang. Ich habe den Stein gesucht, aber nicht gefunden. Es wäre ein Denkstein gewesen von seltener Art für einen Reporter. Bis die - pst. pst — Verhandlungen zu einem „gedeihlichen Ende” (so sagt man ja, nicht wahr?) geführt haben, bleibt auch nach wie vor die schäbige, der Karlskirche zugewandte Front der Technik. Ein grimmiger Witz, wenn in der rechten Durchfahrt der Kirche eine Gedenktafel für Johann Philipp Neumann, Professor am Polytechnischen Institut, Dichter der „Deutschen Messe” von Schubert, zu lesen ist, gewidmet von der Technischen Hochschule. Ein noch bitterer Witz, ja schon Hohn, das Nebengebäude links von der Kirch, ; Bitte,., auch dieses kann ntj Fruhwirtschen Gewehrfabrik erinnert sie an Schubert, der hier gewohnt und komponiert hat. Ueberhaupt, die Musik und die Karlskirche: hier wurde Anton Bruckners Leichnam eingesegnet, wobei als Trauermusik ein Stück aus der Siebenten Symphonie erklang. Fallendes Gestein trommelt dazu den Trauermarsch.

DIE KARLSKIRCHE IST IN GEFAHR, auch wenn es manche Stellen am liebsten totschweigen möchten, andere die Lage verniedlichen und wieder andere unerfreut und unfreundlich dem Journalisten begegnen — wenn sie überhaupt gesonnen sind, Auskunft zu erteilen. Wenn sie alle schweigen, so wird, das können sie sicher sein, das Volk von Wien, das sich mit dem ehrwürdigen Bauwerk innig verbunden fühlt, nicht schweigen. Zu dem desolaten Zustand der Karlskirche paßt es übel, wenn über eine Neuordnung des Platzes, Umleitung von Straßenbahnlinien, Anlegung neuer Verkehrsflächen und Einführung der Westeinfahrt der Autobahn drüben an Stelle des Naschmarktes geredet und projektiert wird, nachdem man die Entstellung des Platzes durch das Porrhaus und das Städtische Museum als Errungenschaft neuzeitlicher Baukunst dargestellt hat. Auf der einen Seite munteres Örauf- losplanen, auf der anderen bröckelnder Stein. Einstmals — man sehe alte Stiche an - stand die Karlskirche auf beherrschender Höhe, eine goldene Krone auf grünem Berg über dem Fluß. Die Kirche war von der kaiserlichen Burg zu sehen. Der ursprüngliche Plan hätte eine Via triumphalis von der Hofburg zur Karlskirche geschaffen. Jetzt schneiden die Häuser der Ringstraße gegenüber dem Hotel Bristol sogar den Blick von der Ausfallstraße ab, die zu Sankt Stephan leitet, wohin von der Augustinerkirche einstens der feierliche Gelöbniszug wallte. Wollen wir zur Kette der versäumten Gelegenheiten noch ein Glied fügen lassen? In einer Zeit, die mit Glas und Beton ringauf, ringab protzt? Wer wagt es, auch nur einen Monat noch zu schweigen? Der möge sich auf die Stufen vor dem Aufgang zur Karlskirche stellen und einmal, wie wir es taten, Vorübergehende um ihre Meinung fragen. Es würden ihm die Ohren klingen. Es wären keine wohllautenden Glockenklänge. Das wären die Schlußtakte einer Symphonie in Stein, zu der die Provinzen eines Reiches von der Oberlausitz bis Sizilien, von Flandern bis Siebenbürgen die Anfangstakte eeschrieben habta.

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