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Aklcekr von der Walt

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Bis zum Alter von 26 Jahren war er den Eitelkeiten der Welt ergeben, und hauptsächlich fand er aus einem unbändigen und eitlen Verhingen, sich Ruhm zu gewinnen, sein Gefallen in Waffenübungen. Er gehörte damals zur Besatzung einer Zitadelle, welche die Franzosen berannten; und während nun alle anderen der Meinung waren, man solle sich unter der Bedingung freien Abzuges ergeben, da sie die Unmöglichkeit einer Verteidigung klar einsahen, redete er dagegen mit soviel Gründen auf den Befehlshaber ein, daß dieser sich trotz allem zur Verteidigung entschloß, entgegen der Ansicht aller anderen Offiziere, die sich aber dann doch durch seinen Mut und seine Tapferkeit mitreißen ließen. Als nun der Tag anbrach, an dem man mit dem Beginn der Beschießung rechnen mußte, beichtete er bei einem seiner Waffengefährten. Als die Beschießung eine gute Zeit lang gedauert hatte, traf ihn ein Kanonenschuß an einem Bein und brach es vollständig; vnd da die Kugel auf der Innenseite des Beines durchging, wurde dabei auch das andere Bein schwer verwundet.

Nachdem er ausgefallen war, ergab sich die Besatzung der Zitadelle alsbald den Franzosen. Sie behandelten den Verwundeten nach der Eroberung der Festung ausgezeichnet und erwiesen ihm alle Höflichkeit und Aufmerksamkeit. Nach 12 oder 15 Tagen, die er noch in Pamploiiii verblieb, ließen sie ihn in einer Sänfte in seine Heimat bringen. Dort erwies sich sein Zustand als äußerst schlecht, deshalb ließ er aus vielen Orten alle möglichen Aerzte und Chirurgen kommen. Ihre Meinung war, man müsse das Bein noch einmal brechen und die Knochen ein zweites Mal einrenken, denn, so erklärten sie, beim erstenmal seien sie schlecht eingerichtet worden oder sie hätten sich während des Transportes verschoben, deshalb seien sie nun nicht in der rechten Lage und so sei eine Heilung unmöglich. Daher machte man sich nun erneut an die „Schlächterei“. Dabei — wie auch bei allen anderen Eingriffen, die er zuvor schon durchgemacht hatte und später noch durchmachen sollte — kam kein Laut über seine Lippen, und er ließ sich den Schmerz nur dadurch anmerken, daß er seine Fäuste fest ineinander verkrampfte.

Trotzdem ging es ihm immer schlechter; er vermochte nicht mehr zu essen, und es traten die übrigen Anzeichen des nahen Todes auf. So kam der Tag des heiligen Johannes. Die Aerzte hatten kaum noch Hoffnung auf eine Besserung, und so gab man ihm den Rat, zu beichten. Er empfing die Sakramente, und am Vorabend des Festes Peter und Paul sagten die Aerzte: wenn er bis Mitternacht keine Besserung fühlt, müsse er sicher mit dem Tode rechnen. Der genannte Kranke hatte nun immer eine besondere Andacht zum heiligen Petrus gehabt; und deshalb war es der Wille unseres Herrn, daß er eben damals um Mitternacht sich besser zu fühlen begann. So rasche Fortschritte machte seine Genesung, daß man wenige Tage später der Ansicht war, er sei nun außer Todesgefahr.

Als nun die Knochen wieder fest miteinander zusammengewachsen waren, blieb unterhalb des Knies ein Knochenstück über das andere geschoben. Deshalb war dieses Bein kürzer als das andere, und das Knochenstück stand derart heraus, daß es ein häßlicher Anblick war. Das konnte er nicht anstehen lassen, da er entschlossen war. seine weltliche Karriere fortzusetzen. Da er nun meinte, daß jenes hervorstehende Knochenstück ihn entstelle, erkundigte er sich bei den Clrrurgen, ob man es nicht entfernen könne. Sie antworteten, es ließe sich schon abschneiden, aber die Schmerzen dabei seien schlimmer als alles, was er bisher durchgemacht habe, da die Knochen schon fest miteinander verwachsen seien und man eine gute Zeit für die Operation brauche. Trotzdem blieb er dabei, sich auf eigenen Wunsch hin martern zu lassen, obgleich sein älterer Bruder sich darüber entsetzte und meinte, er selber würde es sich nicht unterfangen, solche Schmerzen auf sich zu nehmen. Der Verwundete ertrug das Ganze geduldig wie immer.

Nachdem nun das Fleisch und das überstehende Knochenstück abgeschnitten waren, war man darauf bedacht, verschiedene Mittel anzuwenden, damit das Bein nicht gar so kurz bliebe. Man rieb es mit vielerlei Salben ein und streckte das Bein beständig mit Vorrichtungen, die ihn viele Tage lang quälten. Aber unser Herr schenkte ihm die Genesung. Und so gründlich war die Heilung, daß er sich sonst ganz wohlauf fühlte, bloß konnte er sich nicht gut auf dem Bein aufrechthalten. So war er gezwungen, zu Bett zu bleiben. Da er auf die Lektüre von Büchern mit weltlichem und erfundenem Inhalt schon immer versessen war — man nennt sie gewöhnlich Ritterromane — und da er sich nun gesund genug fühlte, bat er um einige solcher Bücher, um sich damit die Zeit zu vertreiben. Jedoch fand sich in jenem Haus nichts von seiner üblichen Lektüre. Deshalb gab man ihm ein Leben Christi und eine Sammlung von Heiligenleben in spanischer Sprache.

In d iesen Büchern las er oftmals, und in etwa begeisterte er sich für das, was er da geschrieben fand. Wenn er seine Lektüre unterbrach, richtete er manchmal seine Gedanken auf die Dinge, die er eben gelesen hatte, und dann wieder auf die Dinge der Welt, an die er früher immer gedacht hatte. Unter den vielen eitlen Gedanken, die sich ihm so aufdrängten, hatte besonders einer sein Herz in Beschlag genommen, so daß er sofort, ohne es zu merken, durch zwei und drei und vier Stunden hindurch wie versunken in diesen Gedanken war. Er stellte sich nämlich vor, was er im Dienst einer Dame zu tun habe, wie er es anstellen könne, um an ihren Aufenthaltsort zu gelangen, was für schöne Verse und welche Worte er zu ihr sagen werde, und was für Waffentaten er in ihrem Dienst vollbringen wolle. So ganz hingegeben war er an diese Vorstellung, daß er gar nicht darauf achtete, wie unmöglich ihre Verwirklichung war. Denn die Dame war nicht von gewöhnlichem Adel oder bloß Gräfin oder Herzogin, sondern ihr Stand war viel höher als all dieses.

Jedoch kam ihm unser Herr zu Hilfe, indem er derartigen Gedanken andere folgen ließ, die ihren Ausgangspunkt in dem hatten, was er eben las. Bei der Lektüre des Lebens unseres Herrn und der Heiligen machte er sich nämlich Gedanken und überlegte bei sich: Wie wäre es, wenn ich all das täte, was der heilige Franziskus getan hat, oder das, was der heilige Dominikus tat? Solche Ueberlegungen stellte er über vielerlei an, was ihm gerade gut erschien. Dabei nahm er sich immer schwierige und mühsame Aufgaben vor; und wenn er sich solche vornahm, meinte er, in sich Kraft genug zu finden, um sie auch wirklich durchzuführen. Seine ganze Ueberlegung bestand darin, daß er zu sich selber sagte: Der heilige Dominikus hat dies getan, also muß auch ich es tun; der heilige Franziskus hat jenes getan, also muß auch ich es tun. Auch diese Gedankengänge dauerten geraume Zeit an. Ihnen folgten, wenn irgend etwas anderes dazwischen kam, die welt-. liehen Gedanken, von denen schon zuvor die Rede war, und auch bei diesen hielt er sich wieder lange auf. Dieses Nacheinander so grundverschiedener Gedankengänge dauerte bei ihm lange Zeit an, und jeweils war er ganz in eben den Gedanken verloren, der ihm gerade kam, waren es nun die weltlichen Großtaten, die er zu vollbringen wünschte oder jene anderen Taten für Gott, die sich seiner Phantasie aufdrängten, bis er, müde geworden, wieder davon abließ und sich anderem zuwandte.

Indessen gab es dabei diesen einen Unterschied: wenn er sich mit weltlichen Gedanken beschäftigte, hatte er zwar großen Gefallen daran; wenn er aber dann, müde geworden, davon abließ, fand er sich wie ausgetrocknet und mißgestimmt. Wenn er jedoch daran dachte, barfuß nach Jerusalem zu gehen und nur noch wilde Kräuter zu essen und alle anderen Kasteiungen auf sich zu nehmen, die, wie er las, die Heiligen auf sich genommen hatten, da erfüllte ihn nicht bloß Trost, solange er sich in solchen Gedanken erging, sondern er blieb zufrieden und froh, auch nachdem er von ihnen abgelassen hatte. Allerdings gab er darauf nicht acht, und er hielt nicht inne, um diesen Unterschied richtig einzuschätzen, bis ihm schließlich eines Tages die Augen darüber ein wenig aufgingen. So fing er endlich an, diese Verschiedenheit als merkwürdig zu empfinden und darüber nachzugrübeln. Aus seiner Erfahrung ergab sich ihm, daß er nach den einen Gedanken trübsinnig und nach den anderen froh gestimmt blieb; und allmählich kam er dazu, darin die Verschiedenheit der Geister zu erkennen, die dabei tätig waren, nämlich einmal der Geist des Teufels und das andere Mal der Geist Gottes. Dies war die erste Ueberlegung, die er über die Dinge Gottes anstellte. Und als er später die Exerzitien verfaßte, begann er von hier aus Klarheit über die Lehre von der Verschiedenheit der Geister zu gewinnen.

Da er bei dieser Lektüre nicht wenig Erleuchtung erhielt, fing er an, ernster über sein vergangenes Leben nachzudenken, und er erkannte, wie notwendig es für ihn wäre, Buße dafür zu tun. Hier drängte sich ihm das Verlangen auf, die Heiligen nachzuahmen, wobei er nicht so sehr auf Einzelheiten einging, sondern sich einfachhin vornahm, mit der Gnade Gottes das zu tun, was jene getan hatten. '

Aus „Der Bericht des Pilgers“, übersetzt von P. B. Schneider S]., Verlag Herder, Freiburg

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