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Alexander Freiherr v. Spitzmüller

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Der letzte Amtsträger und Repräsentant des Reichsgedankens der Habsburgermonarchie ist mit Alexander Spitzmüller, dem Beschließer der Reihe der „k. u. k. Gemeinsamen Finanzminister“ Oesterreich-Ungarns, aus dem Kreise der Lebenden geschieden. Seltsam widerspiegelt sich in seinem Schicksal das Vergehen des alten Reiches, der letzte Glanz, der Hereinbruch der Dämmerung mit der Krise der dualistischen Verfassung des Gesamtstaates, und dann kommt, von Versäumnissen und noch mehr von schwerer Schuld und Fehle herbeigeführt, die dunkle Stunde der Katastrophe des alten Staatsgebäudes und Trägers der mitteleuropäischen Ordnung. Mit den schuldbar Werdenden ringen und ihnen unterliegen zu müssen, das ist die Tragik, die über das Leben Alexander Spitzmüllers gebreitet ist. Außerordentliche Begabungen, klassisch geschult, ungewöhnliche Präzision des Denkens und der

Rede zeichnen schon den jungen Beamten der Finanzprokuratur aus. In rasch aufsteigender Linie führt ihn seine Laufbahn in die obersten Ränge der öffentlichen Verwaltung. Zu seinem Aufstieg haben nicht Biegsamkeit, Anpassungsfähigkeit, Konnexionen beigetragen. Anspruchslos und streng gegen sich selbst, kompromißlos in Kritik und Analyse, eine ästhetisch veranlagte und dabei herbe, zum Pessimismus geneigte Natur, war er nicht böse, wenn ihm seine Freunde lächelnd vorhielten, daß er, der gläubige Katholik, eigentlich ein „kalvinischer Puritaner“ sei. Einmal sollte dieses Wesen ihm, ohne daß er darauf abzielte, zustatten kommen, als es ihm das Vertrauen des Thronfolgers Franz Ferdinand gewann, der darauf aus w;ar, Männer mit reinen Händen, die unabhängig seien von bürokratischem und höfischem Schranzentum, in seine Nähe zu ziehen. Franz Ferdinand schätzte bald seinen Rat in wirtschaftspolitischen Dingen und zog ihn auch zu seinen staatspolitischen Konzepten heran. Spitzmüller stand der weltanschaulichen Einstellung des Thronfolgers nicht nahe, er war nach seiner Erziehung und seinem Lebenskreis einer jener gemäßigten Liberalen alten Schlages, die ihr irdisches Weltbild aus nationalökonomischen Orientierungen formten, geistig zugehörig dem Kreise um Böhm-Bawerk und Philippovich, Gegner im Gefecht mit Konservativen, ohne eine Brücke zu den Dogmatikern der christlichen Sozialreform, einem Vogelsang, Schindler, Alois Liechtenstein oder Franz Kuefstein zu finden. An Spitzmüller hielten seine Freunde „kalvinisch seine zähe Rechtsbehauptung; er war in der geistigen Auseinandersetzung ein fairer, aber harter Kämpe, der das Gegenargument bis zum letzten auszuschöpfen pflegte. Bezeichnend für seine nach links geneigte Stellung, daß er als leitender Direktor der Creditanstalt die sozialistische Gründung der Hammerbrotwerke durch Dr. Benno Karpeles finanzieren half. Ein realistischer Idealist, dessen Gedankengängen und Folgerungen der Katholik nicht immer zu folgen vermochte, war Spitzmüller stets eindeutig in der Reinheit seiner Absichten und seiner Vaterlandsliebe, die in seiner grundsätzlichen verstandesmäßigen Erkenntnis der Funktion des alten Staates für die europäische Friedensordnung wurzelte und veredelt war durch ein gemütstiefes Empfinden, das aus seinem Wesen zuweilen wie ein halbverborgener Diamant aufblitzte. Seine noble österreichische Gesinnung entflammte ihn zu leidenschaftlichem Protest, als er — damals als Handelsminister im Kabinett Clam-Martinitz — im Juni 1917 sein Portefeuille auf den Tisch schleuderte und auf seine Ministerschaft verzichtete, weil er empört der Auffassung Ottokar Czernins von Ministerverantwortlichkeit und Ministerehre, als dieser die pflichtgemäße Deckung des Kaisers für dessen Friedensvermittlungsversuch verweigert hatte, die eigene entgegensetzte.

Ein Jahr später stand er als Reichsfinanzminister dem Grafen Stephan Tisza gegenüber, einem wirklichen Kalviner, der ihm ähnlich war an Charakter und Lebensart. Beide waren ihrer Sache aus Vaterlandsliebe

verschworen, beide Menschen von hoher Integrität und Geisteskraft, beide beseelt von demselben zähen streitbaren Beharrungswillen, der Oesterreicher, der für die Monarchie die vielleicht noch mögliche Rettung in der Verwirklichung der nationalen Autonomie ersah, und auf der anderen Seite der ungarische Staatsmann, der nie aus der Vorstellungswelt des magyarischen Herrschaftsanspruches sich zu befreien vermocht hatte. Und doch verlangte die Lage, auf das schärfste zugespitzt durch Wilson und sein professorales Schlagwort von dem „Selbstbestimmungsrecht der Völker“, das in kurzer Frist schwerste Vergewaltigungen erleiden sollte, gebieterisch eheste Entscheidung. Keiner der Staatsmänner des kaiserlichen Kronrates war damals im Frühherbst 1918 durch sein Amt mit größerer Verantwortung an der Lösung des inhaltsschwersten, des südslawischen Problems verpflichtet als Spitzmüller, der gemeinsame Finanzminister und oberste Verwalter der Reichsländer Bosnien-Herzegowina. Aus fester Ueberzeugung Anhänger der staatsreformeri-schen Pläne Franz Ferdinands, vertrat er in Uebereinstimmung mit dem österreichischen Kabinettschef Freiherrn von Hussarek die Grundforderung nach einer trialistischen Vereinigung der südslawischen Ländergebiete des Reiches. Wenn noch irgendeine Hoffnung bestand, das aus dem Südosten sich herar /äl-zende Unheil zu beschwören, so war sie durch die politisch unantastbare Persönlichkeit Spitzmüllers gegeben. Um persönlich einzugreifen, rüstete er Anfang September zu einer Reise nach Bosnien. Vor ihm erschien aber auf dem Schauplatz zu einem Unternehmen auf eigene Faust Stephan Tisza, der ungeeignetste Mann, wenn eine friedliche Verständigung mit den rebellischen Führern der Serben und Kroaten versucht werden sollte. Der eisige Empfang, der ihm wurde, hätte ihm alles sagen sollen. Aber in dieser gefährlichen Atmosphäre verlor seine Herrennatur alle politische Klugheit. In maßloser Unbeherrschtheit warf er den Mitgliedern des Nationalausschusses, die auf seine Ladung in Sarajevo sich um ihn mit finsteren Mienen versammelten und ihn über ihr Verlangen nicht im Zweifel ließen, rasend vor Zorn die Worte

zu: „Mag sein, daß wir zugrunde gehen, aber vorher werden wir noch die Kraft haben, euch zu zermalmen!“ Worauf die also Apostrophierten ihn unter Entrüstungskundgebungen verließen. — Das einherschreitende Unheil hätte keinen größeren Antrieb erfahren können. Als kurz darauf Spitzmüller in Sarajevo eintraf, fand er die letzten Verständigungsmöglichkeiten, die er zu eröffnen versucht hatte, hoffnungslos zerstört.

Wenige Wochen später bekannte Stephan Tisza dem Führer der kroatischen Rechtspartei, Abgeordneten Dr. Horvath, in bitterer Selbstanklage die Grundfehler seiner Nationalitätenpolitik. Zu spät.

Noch einmal wurde Alexander Spitzmüller in die erste Reihe gerufen, als es nach dem Zusammenbruch galt, den komplizierten Abbau der Oesterreichisch-ungarischen Bank einzuleiten.

Das zunehmende Alter legte ihm schwere physische Bürden auf. Aber fast schien es, als ob in demselben Maße, als seine körperliche Beweglichkeit litt, sein rastloser Geist noch an Frische zu gewinnen vermöchte.

Manche Züge in seinem Greisenalter konnten an Kaiser Franz Joseph erinnern, den er als Mensch und Herrscher bewunderte und wegen seiner Pflichttreue, seiner unerschütterlichen Beharrlichkeit und seiner maßvollen Weisheit tief verehrte. Zur Feier seines 90. Geburtstages veranstalteten seine Freunde in intimem Kreise eine stimmungsvolle Feier; die Glückwünsche waren dargebracht, als zur nicht geringen Ueberraschung der Jubilar, der sich nur mit Krücken mühselig zu bewegen vermochte, sich auf das Podium heben ließ und in freier einstündiger Rede die Gedenkworte seines Freundes ergänzte und in bezwingender Sachlichkeit wie ein Maler sein Selbstporträt entwarf. Dieser große Oesterreicher hatte die Gnade, zwischen Ehre und Macht, unbeirrt von Hochmut, ein Wahrheitsucher und Wahrheitfinder zu sein. Ein Kronzeuge von historischer Bedeutung für ein ereignisschweres Zeitalter, hinterläßt Alexander Spitzmüller, kurz vor seinem Tode fertiggestellt, die Aufzeichnung seiner Erinnerungen, ein wertvolles Geschenk für die Nachwelt. f

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