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Als Gandhi tanzen lernte

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Im Londoner „Tablet“ vom 30. August frischt ein Mitarbeiter eine Erinnerung an die Jugend Gandhis auf, aus der Joseph J. Doke, ein Baptistenprediger von Johannesburg, eine folgenreiche Episode erzählt. Doke, der Gandhi während seiner südafrikanischen Jahre kennenlernte, berichtet darüber in einem Buche: Gandhi war während seiner vorausgegangenen Studien in London nahe daran gewesen, die Lebensweise der westlichen Welt anzunehmen. Ein alter guter Bekannter aus Indien hatte dem jungen Gandhi verheißen, er werde aus ihm einen englischen Gentleman machen. Gandhi selbst erzählte, wie er, getreu diesem Programm, nun in London Tanz- und englische Sprachstunden nahm und sogar Violinlektionen begann, „da ich dachte, die einzige Art, ein richtiger englischer Gentleman zu werden, sei, sich diese Kenntnisse anzueignen“. Aber er blieb bei der Ablehnung der Fleischnahrung, wie er es von daheim gewohnt war. Eines Tages, als Gast in einem Restaurant, wollte er wissen, woraus die Suppe bereitet - sei, worauf ihm der ergrimmte Wirt, der die Ehre seiner Küche angegriffen glaubte, erklärte, er passe wohl nicht in eine anständige Gesellschaft und solle lieber die Türe von draußen zumachen. Gandhi ging, verkaufte seine Violine, gab das Tanzen und die Sprachstunden auf und lebte fortan hauptsächlich von Porridge in einem Vegetariergasthaus. Es war eine Wendung in seinem Leben.

Wieder einmal hatte sich an einem kleinen Steinchen die Weltgeschichte auf ihrem Wandel durch die Jahrhunderte gestoßen und plötzlich kehrt gemacht. Wäre der grobe Wirt in dem Holbornrestaurant höflicher gewesen, wäre Gandhi, wie ungezählte Hunderttausende seiner Landsleute, wahrscheinlich ein verwestlerter Inder geworden, hätte keine panindische Bewegung gegründet, nicht zahllosen englischen Staatsmännern schlaflose Nächte bereitet, vürde heute noch Indien eine englische Kronkolonie sein und brauchte nicht einen in diesem Lande noch nicht dagewesenen Hexensabbath erleben. So formen sich zuweilen ungeheure Weltereignisse wie von ungefähr, also sollte uns stolzen, künste-und listenreichen Menschen immer wieder gesagt werden, wie wenig unsere Staatsklugheit Anteil hat an dem großen Gang der Welt.

Auf den Ebenen zwischen Stettin, Königsberg und Breslau wird über kurz oder lang der vorletzte große Krieg geschlagen, hier werden Ost und West zusammentreffen. Ebenen sind ein Ubelstand, Flächen ein Unglück, der Krieg hat hier die gefährlichsten Instinkte. Ach, und auch die Kriege werden prosaisch. Alles Heldentum hört auf und ein wenig realistische Wissenschaft und Geld werden alles entscheiden. In einigen Jahren gewinnt der Teil den Krieg, der die meisten Eisenbahnen und Maschinen besitzt. Dann wird der letzte Tropfen Blut der Welt ausgepreßt werden.

Heinrich Laube: „Reisenovellen“, 1836 erschienen in „Reise durch das Biedermeier“, Wilhelm-Andermann-Verlag, Wien

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