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Alte Wunden brechen auf

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„Die türkisch-griechische Freundschaft ist tot, und niemand weiß, was die Zukunft bringen wird.“ Diese pathetischen Worte des türkischen Staatspräsidenten Gürsel markieren deutlich den derzeitigen Tiefpunkt der türkisch-griechischen Beziehungen, Die Ereignisse auf

Zypern haben es mit sich gebracht, daß alter Haß beide Völker „zu neuem Kampf und Streit“ reizt, so daß man glauben könnte, das Jahr 1924 und nicht 1964 zu schreiben.

Zu einer „Entente cordiale“ war es zwischen den beiden heutigen NATO-Partnern zwar nie gekommen, doch gab es eine Zeit, da man von gutnachbarlichen Beziehungen zwischen der Türkei und Griechenland sprechen konnte: 1930 bis 1938, das Zeitalter Kemal Atatürks und Eleutherios Venizelos. Nach den Wirren der Befreiungskriege, 1920 bis 1922, die mit einer totalen Niederlage der griechischen Invasionsarmee in Kleinasien endete, kam es 1923 zum Friedensvertrag von Lausanne, der die völkerrechtliche Grundlage für die Souveränität der am 29. Oktober 1923 proklamierten jungen türkischen Republik wurde. Der im Lausanner Vertrag vereinbarte griechisch-türkische Bevölkerungsaustausch war zwar eine schmerzliche, jedoch zur Neuordnung und politischen Stabilisierung Im ägäischen Raum unbedingt notwendige Maßnahme. Die beiden großen Staatsmänner erkannten frühzeitig die Unmöglichkeit des Zusammenlebens ihrer beiden Völker in einem Staatswesen und ent-echieden sich daher für eine „völkische Amputation“. Etwa 1,5 Millionen Griechen mußten die ägäischen Küstenstreifen Kleinasiens verlassen und wurden in Griechenland angesiedelt, während zirka 500.000 Türken ostwärts zogen. Nur die alteingesessenen Griechen Istanbuls und die in dem zu Griechenland gehörenden Westthrazien an-

sässigen Türken durften als Minderheiten in ihrer Heimat bleiben.

In den Jahren nach dem zweiten Weltkrieg und nach Beendigung des griechischen Bürgerkrieges schien mit dem Beitritt beider Länder zum NATO-Pakt eine neue Periode der Freundschaft und der Zusammen-

arbeit angebrochen zu sein. Es gab praktisch nur einen Streitfall zwischen den beiden Nachbarn: Zypern! An diesem Problem erhitzten sich die nationalistischen Gemüter diesseits und jenseits der Ägäis immer mehr, so daß es schließlich zur „Kristallnacht“ des 6. September 1956 kam, in der viele griechische Geschäfte und Kirchen Istanbuls verwüstet wurden.

Ein Kompromiß wird geschlossen

Unter dem Eindruck dieses Fanals und unter dem Druck der Westmächte einigten sich die streitbaren Verbündeten nach jahrelangen Verhandlungen auf einen Kompromiß, der sowohl den Anschluß Zyperns an Griechenland als auch die Teilung der Insel ausschloß und zur Gründung der unabhängigen Republik Zypern führte. Eine komplizierte, allzu konstruierte Verfassung, die bekanntlich einen ethnischen Proporz zwischen den beiden Volksgruppen auf der Insel vorsah, drückte der jungen Republik von vornherein den Stempel eines Provisoriums auf.

Als vor Weihnachten die Schüsse in der Altstadt von Nikosia den Auftakt zu einem hartnäckigen Bürgerkrieg bildeten, war auch den optimistischesten Befürwortern eines unabhängigen Zyperns klar, daß es niemals ein zypriotisches Staatsbewußtsein geben werde. Es hat sich gezeigt, daß ein friedliches Miteinanderleben beider Völker in einem zentralistisch verwalteten Staat heute genauso eine Fiktion bleiben muß wie in den Jahren nach dem ersten Weltkrieg.

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