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An jenem Abend in Holy Cross

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Es war ein schöner Sonntagnachmittag Ln einem südenglischen Städtchen. Nach dem Mittagessen hatte der katholische Pfarrer, dessen Kaplan ich für einige Wochen vertrat, im Holy-Cross-Kloster angerufen, ob dort der Besuch eines fremden Geistlichen erwünscht sei. „Jederzeit herzlich willkommen“ hatte die Antwort auf der anderen Seite gelautet. Eine gelegentliche Bemerkung bei Tisch, daß sich innerhalb des katholischen Seelsorgspren- gels ein protestantisches Frauenkloster befinde, das nach der Regel des heiligen Benedikt lebe, hatte meine Neugierde und mein Interesse im höchsten Grad erweckt.

Gespannt wanderte ich am frühen Nachmittag in der angegebenen Richtung an gepflegten Rasen und friedlichen Häuserreihen vorbei, um bald etwas abseits am Rande des Städtchens ein großes Gebäude, einen roten Ziegelbau im typischen englischen Stil der neunziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts, zu sichten, der auf die Beschreibung meines Pfarrers paßte.

Es dauerte nicht lange, und aus einer Tür tritt eine Klosterfrau heraus, der ich mich vorstelle, worauf sie erklärte, ich würde bereits erwartet. Die paar Sätze, die wir wechselten, gaben mir Gelegenheit festzustellen, daß ich eine richtige Klosterfrau vor mir hatte mit einer Ordenstracht, die ich im Augenblick zwar mit keiner mir bekannten Ordenstracht identifizieren konnte, die aber vom Scheitel bis zur Sohle die Tracht „irgendeiner Klosterfrau“ war. Ein gesundes, von Wind und Sonne gebräuntes Gesicht guckte aus dem „klösterlichen Rahmen“ hervor. Zwei gütige und freundliche Augen, bescheidene und höfliche Gebärden, die dem Kleide entsprachen, luden mich ein, ins Sprechzimmer zu kommen. „The Reverend Mother will be glad to see you“ — und schon war sie verschwunden. Ich hatte kaum Zeit, das Sprechzimmer, das mit einigen geschmackvollen kleinen Kunst- bildem, die dem Raum eine vornehme Note gaben, ausgestattet war, zu betrachten, als es klopfte und die „Reverend Mother des Klosters eintrat, um mich zu begrüßen. Ich stellte wieder fest: die gleiche klösterliche Tracht, wie ich sie auch zu Hause in irgendeinem Kloster sehen könnte. Zum Zeichen ihrer Würde trug sie ein kleines Brustkreuz — etwa in der Art, wie es Äbtissinnen in unseren Benediktinerklöstern tragen. Die Unterhaltung ist etwas formell, wie es zwischen Fremden, die sich zum erstenmal sehen, der Fall ist. Reverend Mother ist nach meiner Schätzung etwas über Vierzig. Die feinen Gesichtszüge erinnern mich an Frauenbildnisse von Gainsborough, wie ich sie vor einigen Tagen in der National Gallery gesehen habe.

Ich hatte kaum erzählt, wer ich sei, wöher ich käme, als ein Glockenzeichen aus der Ferpe die Reverend Mother aufstehen ließ. Sie entschuldigte sich freundlich, sie müsse zur Vesper gehen. Ich sei herzlich eingeladen, daran teilzunehmen, Beim Eingang zur Kirche erwartete mich bereits eine Schwester, um mir ein Vesper- Antiphonale in die Hand zu drücken. Neugierig schlage ich die ersten Seiten auf und stelle zu meinem Erstaunen fest, daß es eine echte Ausgabe von Solesmes, dem katholischen Benediktinerkloster in Frankreich, ist.

Genau nach den Weisungen des Pfarrers, der mich zur Vorsicht noch einmal genau instruiert hatte, welches Verhalten in diesem Lande in bezug auf die Com- municatio in Sacris (Teilnahme an religiösen Feiern von Nichtkatholiken) üblich sei, bleibe ich unauffällig im Hintergründe der Kirche in der Nähe des Einganges und lasse, im Schatten einer großen Säule stehend, die Klosterfrauen zwei und zwei im feierlichen Zuge an mir vorüberziehen. Die Klosterkirche ist ein wunderschöner gotischer Bau, ganz im Stile norddeutscher Kirchen. Der Zug der Klosterfrauen hatte inzwischen das Presbyterium erreicht, wo das ewige Licht brennt. Die Klosterfrauen genuflektieren zu zweit, um sich dann an ihre Plätze im Chorgestühl zu begeben. Der festliche Orgelklang leitet, allmählich ruhiger werdend, über zum „Deus in ad- jutorium intende“. Nun folgt die lateinische Vesper genau so, wie sie in einem katholischen Kloster gesungen wird. Nach dem Gloria Patri des letzten Psalmes wird die Magnifikatantiphon angestimmt, und kurz darauf verläßt der anglikanische Geistliche die Sakristei in Talar, Chorrock und Birett. Ein zufälliger Besucher aus der Heimat hätte nicht den geringsten Anlaß gehabt, daran zu zweifeln, daß er sich in einer katholischen Kirche befinde. Für mich war jetzt der Augenblick gekommen — die vorsorgliche Instruktion meines Pfarrers hatte auch den Fall der „Bene- dictio Eucharistica“ vorgesehen —, den kirchlichen Bereich zu verlassen. Ein Glockenzeichen kündete den Augenblick des Segens, und dann setzte das Plenum der Orgel zum Auszug ein.

DieReverendMother kommt jetzt mit dem anglikanischen Chaplain des Klosters, um mich ihm vorzustellen. Bevor ich der Einladung des Chaplain zum Tee in seinem Zimmer Folge leiste, darf ich mich der Führung der beiden anvertrauen, um Kloster und Kirche näher kennenzulernen. Die Kirche hat zwei Seitenkapellen: die eine mit einer Statue des hl. Benedikt heißt Benediktuskapelle; die andere mit einer Muttergottesstatue ist die Kapelle of „Our Lady“. Ich werde auch in das Refektorium der Klosterfrauen geführt. Hell, sauber und praktisch ist die Anordnung der Tische, die bereits für das Abendessen gedeckt sind. Bevor ich diesen Raum verlasse, werde ich auf ein kleines Tischchen in der Fensternische aufmerksam gemacht. Hier liegt aufgeschlagen die Regel des hl. Benedikt, aus der zu Beginn einer jeden Mahlzeit ein Abschnitt gelesen wird. Ansonsten wird sowohl das Mittag- wie das Abendessen stillschweigend Angenommen und die übliche Tischlesung gehalten. Auf dem Weg durch das Haus begegnen wir immer wieder Klosterfrauen, die mit einer tiefen Verbeugung zu Reverend Mother schweigend vorübergleiten.

Während ich mich verabschiede, um dem Chaplain ins Gästehaus zum Tee Folge zu leisten, fällt mir wieder auf, daß eine religiöse Weihe und Atmosphäre das Haus durchdringt. Es sind ohne Zweifel Menschen, die durch Gebet und ernstes religiöses Streben miteinander verbunden sind.

Inzwischen nähere ich mich mit meinem Begleiter dem Gästehaus, das durch einen großen Garten vom eigentlichen Klostergebäude getrennt ist. Eine Reihe von Fragen bedrängt mich. Ich warte darauf, daß mein Begleiter zu sprechen beginnt. Inzwischen ergeht sich aber dieser in allgemeinen Redensarten über das Wetter, den Garten usw. Schließlich betrete ich sein Zimmer, wo bereits der Tee auf uns wartete. Während ich in einem „easy chair“ Platz nehme, fällt mein Blick auf ein Bild auf dem Gesimse eines der voll gefüllten Bücherkästen: ein schönes Photo von Pius XII. — „Ich wundere mich, in Ihrem Zimmer ein Bild Pius’ XII. zu sehen“, falle ich meinem Gegenüber ins Gespräch. „Nicht wahr, das hätten Sie in meinem Zimmer nicht erwartet“, erhalte ich zur Antwort. — Damit war das Eis gebrochen, und wir sind sofort mitten in dem Gespräch, das uns beide so sehr interessierte. Unsere Unterhaltung dauerte sehr lange.

Ich erhielt folgenden Einblick in die geistigen Hintergründe all der Dinge, die ich in Holy Cross sah und über die ich mich wunderte. „Für mich ist der Bischof von Rom das Oberhaupt der von Christus gestifteten Kirche.“ „Ja, gut“, erwiderte ich, „warum schließen sie sich dann nicht auch äußerlich der Kirche von Rom an? Sie unterstehen doch dem anglikanischen Bischof von Chichester?“ — „Ich zweifle nicht mehr daran“, erwiderte darauf mein Gastgeber, „daß die protestantische und anglikanische Kirche verschiedene . Irr- tümer in ihr Lehrgut eindringen ließen und keine Garantie zuverlässiger Überlieferung der christlichen Lehre bieten. Ich habe zum Beispiel keine Schwierigkeit, das neue Dogma von der Assumptio Mariens anzunehmen.“ — Dann erzählte mir der bewußt unverheiratet gebliebene Anglikaner folgendes: „Ich bin überzeugt, daß ich vom anglikanischen Bischof, der mich ordinierte, die Konsekrationsgewalt erhalten habe. Ich kann nicht glauben, daß die Successio apostolica durch die Reformation unterbrochen wurde.“ Dann höre ich weiter zu, wie mir der Chaplain des anglikanischen Frauenklosters darlegt, daß er genau nach den Vorschriften des römischen Missale, nach den Vorschriften der Rubriken und liturgischen Bücher dei römischen Kirche die Messe liest. Er sei überzeugt, daß er Brot und Wein verwandle kraft der Gewalt, die der katholische Priester besitzt. Aus diesem Grund brenne in der Kirche auch das ewige Licht und machen die Klosterfrauen vor dem Tabernakel ihre Kniebeuge. Und er be- richtęt mir weiter, daß ęr jede Woche die Beichte der Klosterfrauen entgegennehme, ohne allerdings die Frage der Jurisdiktion lösen zu können. Jetzt bringe ich aber meine Gegengründe vor. Wenn die katholische Kirche auf Grund einer eingehenden Untersuchung unter Leo XIII. erklärt hat, daß die anglikanischen Weihen ungültig sind (vgl. Apostolica Curae vom 13. September 1896), so müssen Sie doch zumindestens Zweifel bekommen an der Gültigkeit Ihrer Weihe, müßten Sie alles daransetzen, um die Priesterweihe in der katholischen Kirche empfangen zu können.“ Darauf kam der Hin wand, der nicht -mehr auš der ratio allein stammte: „Dann müßte ich zugėbėn, daß alles, was ich bis jetzt in der anglikanischen Kirche getan habe, ungültig, vielleicht Betrug war … Sehen Sie, das kann ich nicht.“

Irgendwie glaubte ich die tragische Situation dieses Mannes verstanden zu haben. Die Möglichkeit und die Notwendigkeit einer Priesterweihe in der katholischen Kirche mußte er immer wieder in Erwägung ziehen. Ob er den Mut aufbringen wird, über sein bisheriges Tun zu sprechen: „Erravi“ — die Frage ist an jenem Abend offengeblieben.

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